Der Beginn einer Zeitreise: links der Grenzposten im Kalten Krieg, in den es dezent einzugreifen gilt, rechts ein Fenster hin zur heutigen Zimmerstraße.

Foto: House of Tales

Der Soldat ist nicht auf seinem Posten. Aber man spürt, dass er jederzeit zurückkommen könnte. Seine Uniformjacke hängt noch an einem einsamen Haken an der Wand in dem kleinen Raum. Man beginnt nervös alles zu durchsuchen, dreht die Knöpfe an einem alten Weltempfänger, durchsucht hektisch die Jackentaschen und den kleinen Tisch mit dem Stadtplan. Schon das Betreten des verlassenen Grenzhäuschens war gar nicht so einfach. Aber immerhin, so weit ist man gekommen. Weit zurück in die Vergangenheit.

Zeitreise

Wir befinden uns nämlich mitten im Kalten Krieg. Am Checkpoint Charlie, der seinen Namen als dritter Grenzübergang der Amerikaner aus dem Buchstabieralphabet (Alpha, Bravo, Charlie) erhalten hatte. Wer genau für solche Details und Codes ein Faible hat und gerne Spuren sucht und Rätsel löst, kommt hier weiter – und muss sich entscheiden, auf welcher Seite er oder sie als mutmaßlicher Spion oder gar Doppelspionin am Ende stehen will. Das eigene Hab und Gut hat man schon am Anfang in einem Vorraum zur Zeitreise in eine Kiste gelegt und versperrt. Der Schlüssel zur Kiste baumelt um den Hals.

Die Fahne ist gehisst, und den Scheinwerfern entgeht nichts.
Foto: House of Tales

Tatsächlich ist der historische Checkpoint Charlie nur wenige Gehminuten vom "House of Tales" entfernt. Das Haus, das mehrere Escape-Rooms anbietet, hat Corona überlebt, weil es auch auf diverse City-Rundgänge im Freien und Online-Escape-Spiele umgesattelt hatte.

Nun darf man wieder in Gruppen von zwei bis zehn Spielerinnen und Spielern in die liebevoll nachgebauten Kulissen der verschiedenen Räume kommen. Das Spiel "Checkpoint Charlie" bietet sich schon ob der historisch-geografischen Lage an.

Was haben die geheimnisvollen roten Punkte auf dem Stadtplan zu bedeuten?
Foto: House of Tales

House of Tales ist in der Zimmerstraße, an der entlang einst die Berliner Mauer verlief, wo der Versuch, von einer Seite auf die andere zu gelangen, bekanntlich alles andere als ein unterhaltsames Spiel war. Unübersehbar ist in der Zimmerstraße etwa das Mahnmal für den am 17. August 1962 hier zwei Häuserblocks entfernt erschossenen Peter Fechter, einen 18-jährigen gelernten Maurer, der mit einem Kollegen in den Westen wollte. Er war einer der ersten sogenannten Mauertoten, deren Tod international für Aufsehen sorgte.

Hauch der Geschichte

Doch fast 60 Jahre später hat das abstrakte Agentenspiel mit dem Gedenkorten auf derselben Straße nicht viel gemein. Draußen weht der Hauch der Geschichte um jede Ecke, drinnen wird bloß mit historischen Versatzstücken eine gute Old-School-Agentenstory gebaut.

Es kracht plötzlich aus einem bisher nicht bemerkten Lautsprecher, und man bekommt in strengem Ton weitere Anweisungen von einem Big Brother, der alles sieht und hört, was man (nicht wirklich) eingeschlossen und ohne Handy fieberhaft miteinander tuschelt und hantiert. Der strenge Ton kommt aber tatsächlich vom sympathischen Spielleiter des Abends namens Samuel, der ziemlich sicher noch gar nicht auf der Welt war, als die echte Mauer fiel.

Big Brother is watching you. Damit muss man im Escape-Room leben. Familiäre Streitigkeiten sollte man lieber austragen, wenn man wieder draußen ist.
Foto: House of Tales

Man betritt einen weiteren Raum mit vielen Rekordern, Verstärkern, Bildschirmen und Abhörgeräten. Würde sich hier der Geist Ulrich Mühes aus "Das Leben der Anderen" mit Kopfhörern zu einem umdrehen, würde man sich für die Störung entschuldigen und weitergehen. Man klettert auf Wachtürme und in geheime Büros mit leeren Wodkaflaschen und russischen Soldatenmützen, man knackt Codes, steckt Kabel um und entscheidet sich am Ende zum Beispiel für die USA. Doch in der Gruppe entscheidet die Mehrheit, und nach einer Stunde steht man möglicherweise mit einem sowjetischen Pass da. Hallo Moskau!

Wer noch lieber nach Honkong oder Kairo möchte, dem stehen auch Escape-Rooms wie "One Night in Hongkong" oder "Der Fluch des Pharaos" zur Auswahl. Dass gerade der Checkpoint Charlie bei Berlin-Touristen besonders beliebt ist, kann man bei House of Tales so nicht bestätigen. Die meisten Besucher kämen nämlich aus Berlin und Brandenburg. Wie auch immer: Wer gerne rätselt, den Teamgeist der eigenen Familie oder des Freundeskreises erproben will und auf Retrokulissen und Agententhriller steht, ist hier richtig. (Colette M. Schmidt aus Berlin, 8.8.2021)