DER BÄCK‘N HANSL (hellblau), ein jahrhundertealtes Bauernhaus im Ortskern von Öblarn, soll nach bisherigen Plänen zwei Apartmenthäusern weichen.

Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

Wenn Michael Trinker vor seinem Haus aus Fichtenholz steht, kann er über seinen Heimatort blicken, Öblarn im steirischen Ennstal. Er sieht dann Einfamilienhäuser und alte Bauernhöfe, ein Kirchturm leuchtet weiß vor gewaltigen Bergen. Für einen Besucher wirkt Öblarn idyllisch, aber Trinker, grauer Bart, sonnengebräuntes Gesicht, traut dem Frieden nicht.

Die Kammspitze, den Stoderzinken, den Grimming, all die Gipfel, die er von seinem Haus aus sieht, hat der Lehrer der Ski-Akademie Schladming bestiegen. Nun hat Trinker aber ein Gegenüber, dem man mit Klettergurt und Steigeisen nicht beikommen kann: die Investoren.

Es geht um ein Immobilienprojekt. Ein jahrhundertealtes Bauernhaus, der sogenannte Bäck’n Hansl, soll zwei Apartmentgebäuden weichen. Das Dorf würde sich verändern, unumkehrbar, glaubt Trinker. "Wir wollen nur unser Ortsbild schützen und dass Öblarn leistbar und lebenswert bleibt", sagt er.

Er steht mit einer Bürgerinitiative nicht nur internationalen Geldgebern gegenüber. Nein, auch lokale Größen treiben die bisherige Idee voran, das alte Gasthaus Bäck’n Hansl abzureißen und einen Apartmentkomplex mit Gastronomie, Wellness, Saunen und Tiefgarage in die Dorfmitte zu zwängen.

Laut einer Broschüre aus dem Vorjahr sollten das alte Gasthaus und ein Stall zwei Gebäuden mit 29 Apartments Platz machen. Dieses Konzept sei nicht mehr aktuell, heißt es aus der Errichtungsgesellschaft. Das beruhigt Trinker aber nicht. "Man kann doch den Ortskern nicht an Investoren verhökern", sagt er.

Projektgegner Michael Trinker warnt vor dem Ausbau von Buy-to-let-Apartments im Zentrum von Öblarn: "Unser Ort wird dann nicht mehr leistbar und lebenswert."
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

Allgemein wird in Österreichs Gemeinden immer größer gedacht und größer gebaut. Vor Seen- und Alpenkulissen werden teure Apartments, Ferienhäuser oder gleich "Chalet-Dörfer" hochgezogen. Je luxuriöser die Immobilie, umso größer die Rendite der Projektentwickler. Käufer versprechen sich wiederum eine sichere Anlage und einen komfortablen Zweitwohnsitz.

Gerade das Modell "Buy to let" ("Kaufe, um zu vermieten") stößt bei Bewohnern auf Widerstand. Denn dies gilt als Hintertür zum Zweitwohnsitz: Eine Immobiliengesellschaft reicht einen Hotelbetrieb ein, teilt das Gebäude allerdings in Apartments auf, die einzeln verkauft werden.

Die Käufer verpflichten sich, ihre Wohnung zunächst touristisch zu vermieten. Nach ein paar Jahren wird sie aber ein Zweitwohnsitz. Wenn dann rund 350 Tage im Jahr die Zimmer dunkel bleiben, profitiert die Gemeinde nicht. Ein Buy-to-let-Konzept befürchtet Trinker auch beim Bäck’n Hansl in Öblarn.

Widerstand gegen das Kapital

Der Tourismusort Lech am Arlberg hat kürzlich sogar eine Bausperre für solche "Investorenmodelle" beschlossen, um sich vor ungeliebten Kapitalgebern zu schützen. In vielen anderen Gemeinden wirbt man noch um die Gunst von Investoren. In kaum einem Ort verlaufen die Grenzen zwischen öffentlichen Ämtern und geschäftlichen Interessen dabei so unscharf wie in Öblarn in der Steiermark.

Die Geschichte von Öblarn und dem Kampf um die Ortsmitte begann vor ein paar Jahren. Jene Familie, die den Bäck’n Hansl als traditionelles Gasthaus führte, fand keinen Nachfolger und wollte das renovierungsbedürftige Haus verkaufen. Im Oktober wechselte das Gebäude den Besitzer, das Wirtshaus ist derzeit geschlossen.

Käuferin war die Bäck’n Hansl Errichtungs GmbH. Wer an dieser Gesellschaft beteiligt ist, ließ viele Öblarner aufhorchen. Neben der niederländischen Firma Alpin Rentals (20-Prozent-Anteil) und mehreren österreichischen Investoren sind laut Firmenbuch auch Bürgermeister Franz Zach und zwei Gemeinderäte (alle ÖVP) mit je vier Prozent beteiligt.

Der Öblarner Bürgermeister
Franz Zach ist an der Bäck’n Hansl Errichtungs GmbH beteiligt.
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

"Ich bin minimal beteiligt, weil ich bei den Vorgesprächen und über die nächsten Schritte informiert bleiben möchte", erklärt Zach, vom STANDARD zu seiner Doppelrolle als Bürgermeister und Immobilienentwickler gefragt. Wichtig sei ihm, dass "in dieses Haus wieder ein Gasthaus reinkommt". Geht es ihm nicht um Profit? "Ich bin froh, wenn wir bei dem Projekt nichts dazuzahlen müssen", entgegnet Zach. "Das wird wirklich am Limit kalkuliert."

Tatsache ist: Laut Grundbuch kaufte die Bäck’n Hansl Errichtungs GmbH die Liegenschaft um 460.000 Euro. Auf einer deutschen Plattform wird eines der geplanten Apartments noch um einen Quadratmeterpreis von mehr als 5000 Euro angeboten. Kaum vorstellbar, dass das Projekt kein Geschäft werden sollte, selbst bei weniger als 29 Apartments.

Schwere Interessenkonflikte

Gemeindekassier Roland Nerwein (SPÖ) nennt die Konstellation, dass sich ein Bürgermeister an einem Immobilienprojekt beteiligt, "einzigartig" und will das nicht als Kompliment verstanden wissen.

Auch Gerlind Weber, emeritierte Professorin für Raumplanung an der Boku Wien, ortet auf Nachfrage schwere Interessenkonflikte: "Ein Bürgermeister hat eine behördliche Funktion, indem er Entscheidungen über die Nutzung von Flächen trifft. Wenn ein Bürgermeister sich an einem Bauprojekt beteiligt, wird er zugleich Nutznießer."

Nicht nur Gemeindekassier Roland Nerwein (SPÖ) wundert sich über die Doppelrolle des Bürgermeisters und zweier Gemeinderäte, die sich im eigenen Ort al Immobiliengesellschafter betätigen.
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

In Österreich ist ein Bürgermeister die Baubehörde erster Instanz. Wegen dieser Rolle hat ÖVP-Bürgermeister Zach künftige Entscheidungen über Gewerbeobjekte nun an die Bezirkshauptmannschaft (BH) Liezen abgetreten, dies hat der Gemeinderat beschlossen. Weber kann dem Schachzug wenig abgewinnen. Eine BH sei "eine reine Verwaltungsbehörde, die sich die Dinge nur rechtlich ansieht", sagt sie. "Raumplanung sollte aber eine Frage des politischen Willens sein."

Eine Saloon-Fassade

Im Gasthaus Schernthaner sitzt Michael Trinker mit seinem Verbündeten Harald Gruber, der Rauchfangkehrer und Nachbar des Bäck’n Hansl ist. Der Schernthaner, ein altmodisches Gasthaus mit karierten Tischdecken und Zipfer-Bier-Laternen vor der Tür, ist nun der letzte Wirt in Öblarn, zumindest vorläufig.

Trinker und Gruber hocken im Halbdunkel neben der alten Kegelbahn, und auch ihre Stimmung ist finster. Trinker warnt vor Buy-to-let-Apartments im Ortskern: "Dann wird es definitiv Leerstände geben." Aparthotels, die von der niederländischen Betreiberfirma Alpin Rentals in den Salzburger Gemeinden Kaprun und Zell am See geführt werden, hätten schließlich nicht allzu viele Gäste in diese Orte gebracht.

Gruber würde auch der alten Bausubstanz des Bäck’n Hansl nachtrauern. "Zur Straße hin wollen sie scheinbar das Alte belassen", kritisiert er, "eine Saloon-Fassade wie im Wilden Westen." Falls wie in ersten Plänen Apartmenthäuser mit zwei Obergeschoßen gebaut werden, "würden diese Baukörper mich als Nachbarn erdrücken", sagt Gruber.

In der 2000-Seelen-Gemeinde Öblarn sind neben der Bahntrasse fünf neue Apartmenthäuser, die als "Sonnendorf" vermarktet werden, so gut wie fertig.
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

Vom Bürgermeister erfährt man, dass die Firma Alpin Rentals wahrscheinlich nicht der Betreiber sein und auch nicht ausschließlich ein Buy-to-let-Konzept kommen werde. "Der aktuelle Plan lautet, die Nutzung aufzugliedern. Man würde teils Wohnungen verkaufen und teils einen Hotelbetrieb führen", sagt Zach.

Die Bürgerinitiative würde dies nicht besänftigen. Denn nachdem Zweitwohnsitze in Öblarn grundsätzlich erlaubt sind, wären dies dann wohl keine Zweitwohnungen durch die Hintertür, sondern durch die Vordertür. Dabei sind gerade erst fünf neue Apartmenthäuser in Öblarn fertiggebaut worden. Der oberösterreichische Bauträger vermarktet diese Anlage unter dem Namen "Sonnendorf" und als Chance zum Zweitwohnsitz. "Vergessen Sie Sparbücher und Aktien", heißt es auf der Homepage.

Immobilienkrise in Lech

Im wohlhabenden Tourismusort Lech am Arlberg hat man ganz andere Sorgen als in Öblarn. In Lech will man die Investoren mittlerweile nicht ins Dorf locken, sondern fernhalten. Bürgermeister Stefan Jochum steigt in sein Hybrid-Dienstauto und erklärt die Immobilienkrise von Lech anhand einer Rundfahrt.

Im Tal zwischen den Gipfeln von Kriegerhorn, Mohnenfluh und Rüfispitze, die Lech zur reichen Skisportgemeinde gemacht haben, stehen neben den altbekannten Hotels auch viele neue Apartmenthäuser und Chalets. In vielen Neubauten habe aber noch nie Licht gebrannt. "Wir fahren vorbei an toten Häusern im Zentrum, in schönsten Lagen", sagt Jochum.

Neben der Bahntrasse wurden in Öblarn die neuen Apartmenthäuser errichtet.
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

Der Gemeinderat von Lech hat im Juli eine für zwei Jahre gültige Bausperre beschlossen, die Investoren die Laune verderben soll. Es darf zwar schon noch gebaut werden in Lech, doch wer investiert, wird in die Pflicht genommen. Die Gemeinde will in jedem Bauverfahren sicherstellen, dass es ein Hotel, ein Gastrobetrieb, ein Wohn- oder Mitarbeiterhaus wird. Ein Gebäude müsse der Gemeinde nützen. Lech fordert, dass das Land Vorarlberg Investorenmodelle künftig unmöglich macht – über ein neues Raumplanungsgesetz.

Buy to let

Im Winter 2018/2019, vor Corona, zählte Lech mehr als 800.000 Übernachtungen. Das Dorf braucht Hotelbetten. Es sei aber in Mode gekommen, sagt Bürgermeister Jochum, dass Investoren einfach Hotels und Apartmenthäuser kaufen und nicht weiterführen, sondern die Immobilie filetieren und einzelne Einheiten weiterverhökern. Es sind jene Investorenmodelle, die oft unter "Buy to let" laufen – eine Wertanlage für den Investor, aber ein Leerstand für den Tourismusort.

"Es läuten bei uns die Alarmglocken, wenn ein gut laufender Betrieb gekauft wird und dann einzelne Einheiten weiterverkauft werden. Dann gibt es statt eines Besitzers zum Beispiel plötzlich 20 Besitzer", erzählt Jochum. "Selbst wenn die Besitzer ihre kleinen Einheiten zur Vermietung freigeben und es einen Betreiber gibt, funktioniert kein Hotelbetrieb. Die Erfahrungen haben uns gelehrt, dass ein solcher Weg in 80 Prozent der Fälle kein guter ist."

Warnung vor dem Geld

Das Dorf würde sich verändern, unumkehrbar, meinen Projektgegner.
Foto: J.J. Kucek, Rainer Wegscheidler

Österreichs Gemeinden stehen in Konkurrenz im Kampf um Einwohner und Arbeitsplätze. Dem Lockruf der Investoren ist schwer zu widerstehen. Eine Steuerungsmöglichkeit ist das Verbot von Zweitwohnsitzen: Das Land Salzburg hat Gemeinden eine Quote von 16 Prozent verordnet, Tirol eine von acht Prozent. Freilich bleiben Umgehungen möglich.

Raumplanerin Gerlind Weber rät Gemeinden, die das Bauen stoppen wollen, als Sofortmaßnahmen zu einer Revision des Flächenwidmungsplans, genauen Bebauungsplänen oder einer Bausperre. Auch wenn die örtliche Raumplanung verfassungsgemäß Sache der Gemeinden sei, sagt sie, die Landesgesetze ließen noch zu viel Spielraum.

In Öblarn hofft Bürgermeister Zach, dass bald neu gebaut wird. Dann könnten die Apartmenthäuser anstelle des Bäck’n Hansl im Jahr 2023 eröffnet werden. Dass im kommenden Jahr ein Rückhaltebecken zum Hochwasserschutz fertiggebaut wird, wodurch die Grundstücke im Ortszentrum inklusive der Liegenschaft Bäck’n Hansl aufgewertet werden, mag ein günstiger Zufall sein.

Projektgegner Michael Trinker kritisiert, die Bürger würden über die Pläne kaum informiert: "Es wird auf Zeit gespielt." Er hat Angst, dass man bald vor vollendeten Tatsachen stehe. Sollte es so kommen, dann werden im Ortskern von Öblarn zwei überdimensionierte Apartmenthäuser stehen.

Anrainer Harald Gruber formuliert es so: "Wenn sie das so wie geplant bauen, dann wird man in Öblarn besichtigen können, was Geld alles anrichten kann." (Lukas Kapeller, 7.8.2021)