"Wollen wir uns direkt in die Sonne setzen?" Die Mutter sieht skeptisch zwischen ihren beiden Kindern und dem Tisch auf der Terrasse hin und her. In ihren Händen hält sie ein Tablett, im Kopf überschlägt sie wahrscheinlich das akzeptable Ausmaß an UV-Strahlung, dessen man sich während eines Mittagessens aussetzen darf. Der Platz, wo die Sonne niederbrennt, mag in Sachen UV-Strahlung nicht ideal sein, hat aber dafür einen anderen Vorteil: Von ihm kann man direkt auf den Wörthersee hinabblicken. Für solch einen Ausblick muss man anderswo viel zahlen. Hier, an der Raststätte Wörthersee, bekommt man ihn quasi als Beilage serviert.

Die Raststätte gehört zu längeren Autofahrten dazu wie Tanken und das Navi-Gerät. Sie versorgt Autoinsassen mit Kalorien, Koffein und Möglichkeiten, das alles wieder loszuwerden. Über diesen praktischen Wert hinaus hat sie aber auch einen symbolischen: Sie unterteilt Touren in bewältigbare Etappen und wird manchmal gar zum logischen Teil des Urlaubs. Ohne sie wär das Autofahren nur halb so schön und noch weniger machbar.

Ein Parkplatz am Wörthersee

Österreich besitzt eine ganze Reihe von wunderbaren Raststätten. Und wer sie häufig anfährt, der lernt etwas – über Menschen auf Reisen und auch ein bisschen das Land selbst.

Die Wörthersee-Raststätte, auf deren Terrasse sich Familien zwischen Sonne und Nichtsonne entscheiden müssen, ist eine der bekanntesten Wegmarken auf der Reise nach Süden, zumindest von Wien aus gesehen.

An einem heißen Julitag stehen Menschen auf ihrem Parkplatz Menschen in Tanktops und kurzen Hosen und kauen auf ihrer Jause herum. Man hört viel Deutsch, viel Slowenisch und ein bisschen Englisch. Das Gebäude ist ein Klotz. Aber das ist ein bisschen egal, der Star ist die Terrasse, unter der der See türkis vor sich hin funkelt. Die Menschen trinken Kaffee aus grünen Keramiktassen und genießen, was die österreichische Küche so hergibt. Auf circa 60 Prozent der Tische steht an diesem Tag zumindest ein Schnitzel – kein schlechter Wert.

Sauber soll’s sein

Was macht die perfekte Raststätte aus? Dazu fragt man am besten einen Profi. Thorsten Hensel ist Lkw-Fahrer bei Gebrüder Weiss in Lauterach in Vorarlberg. Der 54-Jährige kommt sehr viel herum. Hensel ist kritisch, wie es für einen Experten gehört. "Eine richtig gute Raststätte ist nicht leicht zu finden", sagt er. Meistens werde das Essen nur warmgehalten und zu deutlich überhöhten Preisen verkauft. Recht gut sei es an Autohöfen. "Wichtig ist mir, dass es saubere Duschen gibt." Das ist wahrscheinlich einer dieser Unterschiede zwischen den Raststättenamateuren und den Profis – Amateure duschen selten an einer Raststätte.

Und noch etwas gibt Hensel mit: "Die besten Raststätten gibt es definitiv in England. Dort ist das Essen besser, man hat mehr Platz zum Parken und kann gut schlafen. Insgesamt ist es auf der Insel am besten organisiert."

Teures Essen

Hensel ist mit seiner – höflich ausgedrückt – zurückhaltenden Haltung zu Raststättenessen nicht allein. Es ist zum einen recht teuer, quasi Tankstellenpreise. Über die würde man sich zu Hause vermutlich ärgern, auf dem Weg in den Urlaub akzeptiert man sie jedoch mit Gleichmut, solange man dafür zumindest nicht schlecht isst. Und dafür muss man als Österreicher nicht nach England fahren.

Landzeit betreibt 16 Restaurants in Österreich. Die Raststation Mondsee zählt zu den besonders beliebten.
Nikolaus Ostermann

Die heimische On-the-Road-Gastronomie schneidet im europäischen Vergleich gut ab. Immer wieder wird dies von Automobilclubs getestet. Der letzte wirklich große Test, bei dem 65 Raststationen in 13 europäischen Ländern bewertet wurden, stammt zwar aus dem Jahr 2012 und ist damit nicht mehr ganz neu – aber er wurde triumphal von der Raststation Wörthersee gewonnen. Und auch sonst erhalten die österreichischen Raststationen immer wieder gute Noten.

Familiendrama

Die österreichische Raststättengastronomie-Szene war in der Vergangenheit Schauplatz eines mittleren Familiendramas. Das Rosenberger-Imperium wurde nach dem Tod des Patriarchen Heinz und einem Erbstreit in zwei Unternehmen aufgeteilt. So entstand zusätzlich zu der alten Marke Rosenberger ("Wir haben das Rasten erfunden", wird auf der Webseite vollmundig behauptet) eine neue: "Landzeit".

Der Landzeit-Teil des Clans gewann, zumindest vorläufig: Rosenberger musste 2018 beim Konkursgericht St. Pölten ein Sanierungsverfahren beantragen. Heute betreibt Landzeit 16 Restaurants, Rosenberger 14. Daneben gibt es noch einige andere Anbieter wie Oldtimer oder Marché mit deutlich weniger Standorten.

Das Waffelparadies

Und was essen die Leute dort so? "Wir haben viele Bestseller", sagt Elisabeth Rosenberger von Landzeit. In den Restaurants à la Carte sei das Kalbshüftsteak mit Gemüse, Serviettenknödeln und Eierschwammerln sehr beliebt, in den Marktrestaurants das Rösti mit geröstetem Lachs. Die hausgemachten Waffeln mit Früchten gingen immer und überall gut. Das ist verständlich, wer mag schon keine Waffeln.

Die Raststation Steinhäusl vor den Toren Wiens gehört zu den meistfrequentierten.
Nikolaus Ostermann

Die Raststätte Steinhäusl vor den Toren Wiens ist – verglichen mit ihren Kolleginnen in Tirol oder Salzburg – ein bisschen unscheinbar. Trotzdem ist sie beliebt und gehört zu den viel befahrenen in Österreich. Viele deutsche Touristen nutzen sie für einen Stopp auf der Fahrt Richtung Süden. An einem Freitagnachmittag schaut das dann so aus: Ein VW-Kombi mit einem AB-Nummernschild (Aschaffenburg) hält, die Türen fliegen auf, von den Rücksitzen schwirren zwei pubertäre Kinder in die Nachmittagssonne, um rebellisch eine Zigarette zu rauchen oder allgemein genervt zu sein. Ein paar Meter weiter sitzt eine türkischstämmige Familie beim Picknick und lässt sich auch nicht von den 18-Tonnern aus der Ruhe bringen, die sich gelegentlich an ihr vorbeischiebt.

Familienpause

All diese Familien, ob beim Picknick, beim Essen im Restaurant oder auch nur bei der Zigarettenpause – sie alle sind Teil einer langen Tradition von Familienpausen. Wer früher manchmal mit den Eltern im Auto auf Urlaub gefahren ist, der wird es vielleicht kennen: Manche Raststätte wird irgendwann Teil der Urlaubstradition. Zumindest wenn die Reise öfter in dieselbe geografische Richtung geht. Der Mensch braucht Routine. Für viele Familien beispielsweise gehört bei der Fahrt nach Italien die Abfahrt am ersten Autogrill dazu. "Espressi, Panini und eine Toiletti", wie es in dem Song der Band Euroteuro heißt.

"Espressi, Panini und eine Toiletti", heißt es im Song der Band Euroteuro über die italienische Raststationkette Autogrill, dem Klassiker jeder Italien-Reise.
Nikolaus Ostermann

In Österreich gibt es laut Asfinag 87 Raststationen, 55 Rastplätze und 106 Parkplätze. Der Unterschied besteht in der Ausstattung: Raststationen haben Tankstellen und eine umfangreichere Gastronomie oder ein Hotel dabei. Die Rastplätze verfügen zumindest über kostenfrei zugängliche WC-Infrastruktur und teilweise Shops, mehrheitlich jedoch Automaten mit Snacks und Getränken. Die Parkplätze sind die mit den einfachen Toilettenanlagen.

Wegmarke, alle 40 Kilometer

Rastplätze werden von durchschnittlich 1.500 bis 2.000 Personen am Tag anfahren, wobei das sehr deutlich schwanken kann. An den Raststationen wird nicht gezählt, aber anhand von Umsatzzahlen schätzt die Asfinag die Zahl der Besucher auf jeweils zwischen 300.000 bis 600.000 im Jahr. Unter den beliebten Raststationen finden sich sowohl schöne Klassiker wie Wörthersee oder Tauernalm, von der aus täglich hunderte Niederländer den atemberaubenden Blick auf die umgebenen Berghänge bestaunen. Es gibt aber auch jene, die ihre Wichtigkeit vor allem der Lage im europäischen Streckenkreuz verdanken, wie die Station Voralpenkreuz bei Wels oder Europabrücke auf der Brennerautobahn.

Dass die Raststationen dort sind, wo sie sind, ist kein Zufall. "Raststationen wurden ursprünglich von der damaligen Bundesstraßenverwaltung, dem Vorläufer der Asfinag, so geplant, dass zumindest circa alle 40 Kilometer eine Möglichkeit zum Rasten und Tanken bestand", erklärt Alexandra Vucsina-Valla, Asfinag-Sprecherin für Wien, Niederösterreich und das Burgenland. Für damalige Verhältnisse, insbesondere im Hinblick auf Treibstoffverbrauch und mangelnden Reisekomfort, sei das die richtige Entfernung gewesen. Die Asfinag unterzieht die Verfügbarkeit von Stellplätzen und Rastmöglichkeiten heute einem ständigen Monitoring. "Für die Verkehrssicherheit ist speziell ein ausreichendes Angebot an Lkw-Stellplätzen wichtig", sagt Vucsina-Valla. Das sei auch der Hauptgedanke gewesen, ab 2005 die Raststätten zu den Raststationen zu etablieren.

(Nicht-)Konsum

Von der Raststation Wörthersee sind es 238 Straßenkilometer zu einer weiteren Berühmtheit. Die Raststation Mondsee, gerade noch in Oberösterreich, bietet einen fantastischen Ausblick auf den namensgebenden See unter ihr. An solchen sehr schönen Raststätten sollen durchaus auch immer wieder die Einheimischen essen gehen, erzählt man sich – das Ikea-Restaurant-Phänomen. Am Mondsee müsste man für den Ausblick allerdings nicht mal etwas konsumieren. Die Raststation verfügt über eine Wiese, die jedem offensteht – ein konsumfreier Raum, als wäre das Ganze von Studierenden der Politikwissenschaft geplant worden.

Die Landzeit-Raststation am Mondsee zählt aufgrund ihres Ausblicks zu den beliebtesten Anfahrtspunkten in Österreich.
Nikolaus Ostermann

Dirndln und Mozartkugeln

Hier am Mondsee ist alles ein wenig traditioneller: Es gibt ein breites Angebot an Mehlspeisen, die Kellnerinnen tragen Dirndln und schauen dabei nicht mal unnatürlich aus. In dem dazugehörigen Shop gibt es alles, was man so braucht (Schnaps, Mozartkugeln, Mozartkugelschnaps) beziehungsweise vielleicht nicht so wirklich: wie ein Kissen mit zwei Rehen und dem Satz "Familie ist, wo Liebe ist".

Die Mittagszeit an der Raststätte Mondsee geht zu Ende. Die Familien setzen sich wieder in ihre Kombis und setzen ihre Fahrt nach Süden beziehungsweise wieder zurück fort: um einige Euros leichter, aber dafür ausgeruht, gestärkt und motiviert – bis zum nächsten Halt an der Raststation zumindest. (Jonas Vogt, 7.8.2021)