Da ein politischer Hintergrund im Raum steht, ist das Landesgericht Korneuburg, wo der Mord an einem tschetschenischen Regimekritiker verhandelt wird, neuerlich gut gesichert.

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Korneuburg – In der Gerüchteküche der tschetschenischen Community brodelte es rund um den Mord an Martin B. nicht nur, die metaphorische Kochstelle stand im Vollbrand. 20 Millionen Euro Kopfgeld sollen auf den Kritiker von Ramsan Kadyrow, Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, ausgesetzt worden sein. Zahlbar, wenn man die Pistole, aus der am Abend des 4. Juli 2020 sechs Schüsse auf den 43-jährigen B. abgegeben worden sind, persönlich bei Kadyrow abliefere. Ob und wie viel Geld von wem geflossen ist, bleibt im Prozess gegen den 48-jährigen Herrn A. unklar – A. will mit dem Tod seines Landsmannes auf einem Werkstattgelände in Gerasdorf im Bezirk Korneuburg entgegen der Anklage nämlich nichts zu tun haben.

Das Landesgericht Korneuburg, in dem der Fall vor einem Geschworenengericht verhandelt wird, ist von uniformierten und zivilen Beamten gut gesichert. Der Angeklagte selbst wird in schusssicherer Weste, umringt von drei maskierten Justizwachebeamten, befragt.

Klärungsbedarf bei Generalien

Ungewöhnlicherweise gibt es zwischen A. und dem Vorsitzenden bereits während der Überprüfung der persönlichen Daten des Angeklagten mehrmals Klärungsbedarf. Das beginnt schon, als die Dolmetscherin ihn fragt, ob A. sein Name ist. "Natürlich!", echauffiert sich der 48-Jährige. "Wieso natürlich? Sie haben ja mehrere Aliasnamen benutzt", wirft der Vorsitzende ein. "Das stimmt nicht." Das Spiel wiederholt sich bei der Berufstätigkeit. "Ich habe gearbeitet", lässt der Angeklagte übersetzen. "Haben Sie nicht gesagt, Sie haben die letzten sieben Jahre nicht gearbeitet?", kontert der Richter.

Zur Frage der Vorstrafen sagt A., er sei nie in Haft gewesen. "Zwei oder drei Vorstrafen habe ich in Österreich", erklärt er. "Und im Ausland?", will der Vorsitzende wissen. Dort hat der Angeklagte gesammelt: In der Ukraine, Polen, Russland, Weißrussland und Deutschland saß er insgesamt rund fünf Jahre im Gefängnis.

Der Staatsanwalt wirft ihm nun vor, B. getötet zu haben. Warum, weiß der Anklagevertreter nicht: Es könnte ein Auftragsmord gewesen sein, um den in einem Youtube-Kanal gegen Kadyrow agitierenden B. zu beseitigen. Oder ein eskalierter geschäftlicher Streit: Aus Sicht der Staatsanwaltschaft wollte B. beim Angeklagten nämlich eine Pistole erwerben und dafür einen alten BMW in Zahlung geben.

Verteidiger bringt andere Tatverdächtige ins Spiel

Die Einvernahme von A. gestaltet sich schwierig, da er sich teils eklatant widerspricht. Sein Verteidiger plädiert allerdings an die Laienrichterinnen und -richter, andere denkmögliche Alternativen nicht aus den Augen zu lassen: dass B. nämlich von einem Unbekannten oder sogar seinem eigenen "Leibwächter" getötet worden sei. Diesen engagierte B., nachdem er das Angebot der Polizei für Personenschutz abgelehnt hatte. Der "Leibwächter" wurde mittlerweile nicht rechtskräftig wegen versuchten Mordes an A. zu 14 Jahren Haft verurteilt – er soll nämlich versucht haben, dem Flüchtenden nachzuschießen.

A. behauptet zunächst, B. habe ihn über einen Mittelsmann wegen einer Pistole für seinen Sohn kontaktiert. A. schickte ihm das Bild einer Glock. Für den 4. Juli sei vereinbart worden, dass der Angeklagte gleich drei Pistolen der Marke für 10.000 Euro liefern sollte. Als er sich mit B. traf, habe er keine Waffen und B. kein Geld gehabt. "Wieso fährt man von Linz nach Gerasdorf, wenn der eine kein Geld und der andere keine Puffn hat?", wundert sich der Vorsitzende. Er sei nur zufällig in der Gegend gewesen, da er einen Job als Taxifahrer in Aussicht hatte, behauptet der Angeklagte. Dass sein Auto schon Tage vor dem Anschlag in der Nähe des Tatorts gesehen wurde, tut A. als Zufall ab.

Wochen alte Schmauchspuren?

Dass Schmauchspuren auf seinen Händen und der Kleidung gefunden wurden, begründet er zunächst damit, dass er zwei Wochen davor in Berlin Waffen abgefeuert habe. "Sie haben sich zwei Wochen die Hände nicht gewaschen?", bricht aus dem Vorsitzenden hervor. "Ich bin geschieden", entschuldigt sich der siebenfache Vater. "Zum Händewaschen braucht man keine Frau", verweist der Vorsitzende auf männliche Unabhängigkeit.

A. bleibt dabei: Da das Geschäft nicht zustande kam, sei er wieder gefahren, da habe B. noch gelebt. Wie dann eine Blutspur des Opfers auf den linken Schuh des Angeklagten kam, kann dieser nicht erklären. Ein unbeteiligter Zeuge identifiziert den Angeklagten allerdings als jenen Mann, der an ihm vorbeigefahren sei, nachdem er Schüsse gehört habe. Bei seiner Festnahme in Oberösterreich wurden bei A. weder eine Waffe noch ein Mobiltelefon gefunden. Anhand eines Zeit-Weg-Diagramms weiß man aber, dass etwa 40 Minuten zwischen der Alarmierung der Polizei durch den "Leibwächter" und der Entdeckung A.s auf der S33 lagen. Und auf dem verschwundenen Handy noch eine Rufumleitung eingerichtet wurde.

Für die Geschworenen klingt die Version der Staatsanwaltschaft eindeutig plausibler: Sie verurteilen A. nicht rechtskräftig wegen Mordes, die Strafe lautet auf lebenslange Haft. (Michael Möseneder, 6.8.2021)