Wien – Das heurige Jahr hat in der österreichischen Start-up-Landschaft ein neues Zeitalter eingeläutet. Plötzlich sind Investments jenseits der 100-Millionen-Euro-Marke möglich geworden. Die Onlinenachhilfeplattform Gostudent sammelte in zwei Runden 275 Millionen Euro ein, die Krypto-Firma Bitpanda in nur einer 152 Millionen Euro. Beide erreichten damit den Einhornstatus. Die Fabelwesenbezeichnung bekommen Unternehmen, die mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden.

Bereits im Juni stand also unterm Strich eine neue Rekordsumme, die in heimische Jungunternehmen geflossen ist. Sie übertraf damit das gesamte Jahr 2020. Insgesamt waren es laut dem EY Start-up-Barometer 518 Millionen Euro – die 148 Millionen im Vergleichszeitraum des Vorjahrs gegenüberstehen. Dabei wurde im Corona-Jahr bereits ein Finanzierungsrekord erzielt. Im Start-up-Barometer Österreich der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY werden Unternehmen mit Hauptsitz in Österreich, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt, erfasst.

Goldenes Zeitalter?

Ist in Österreich das goldene Zeitalter für Start-ups angebrochen? Nicht unbedingt. Ohne Bitpanda und Gostudent hätte es eher mau ausgesehen, gingen doch mehr als vier Fünftel der Finanzierungen in diese beiden Firmen. Gäbe es diese Investments nicht, wäre in den ersten sechs Monaten sogar ein Rückgang zu 2020 zu verzeichnen gewesen. Die Anzahl der Finanzierungsrunden ist im ersten Halbjahr um rund 17 Prozent von 77 auf 64 zurückgegangen. Das durchschnittliche Volumen der Deals, bei denen eine Summe veröffentlicht wurde, hat sich zwar von knapp 2,5 Millionen auf rund neun Millionen Euro mehr als verdreifacht. Aber wie gesagt, ohne die Nachhilfe- und Krypto-Mega-Deals hätte sich der leichte Rückgang auf rund 1,7 Millionen Euro summiert.

Erstmalig wurden hierzulande Summen jenseits der 100 Millionen Euro in Start-ups investiert. Das goldene Zeitalter für junge Digitalunternehmen ist dennoch nicht ausgebrochen.
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Dass Finanzierungsrunden größer ausfallen, ist wenig verwunderlich, wie Oliver Holle vom Risikokapitalgeber Speedinvest erklärt: "In allen Anlagekategorien, egal, ob bei Immobilien oder Aktien, steigen die Preise. So ist das auch bei Start-ups. Die Pandemie hat die Digitalisierung extrem beschleunigt." Ohne das Geld von internationalen Investoren wäre so etwas in Österreich allerdings nicht drin.

Warum ist das so? Es gibt hierzulande keinen Wachstumsfinanzierer, der so etwas ermöglicht. Speedinvest selbst investiert in der Frühphase und hilft jungen Unternehmen beim Wachsen.

Mehr Förderung

Holle fordert: "Sowohl kapitalstarke Unternehmen wie Banken oder Versicherungen als auch der Staat müssen junge, digitale Unternehmen mehr fördern. Die erfolgreichsten Firmen der Welt sind digital getrieben, wir können es uns aussuchen, ob wir mitziehen oder nicht."

Die ersten fünf Wochen des zweiten Halbjahres lassen allerdings darauf schließen, dass sich heuer doch noch einiges tun könnte. So flossen zum Beispiel in den vergangenen anderthalb Wochen fast 120 Millionen Euro in drei Unternehmen. Am Freitag gab Nuki eine Finanzierungsrunde in der Höhe von 20 Millionen Euro bekannt. Das Grazer Start-up baut digitale Türschlösser und verwandelt das Smartphone zum Haustürschlüssel.

Nuki konnte einen Investor überzeugen, 20 Millionen Euro bereit zu stellen. Das Grazer Start-up baut digitale Türschlösser.
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Noch höher fielen die Runden für Refurbed und Storebox aus. Refurbed vertreibt erneuerte Elektrogeräte wie Smartphones oder Laptops über eine Plattform. 45,5 Millionen Euro gab es dafür von Investoren. Storebox darf sich über 52 Millionen Euro freuen. Das Logistik-Start-up bietet eine "digitale Selfstorage Lösung an". Man kann sich darunter ein Konzept wie Airbnb für Lagerflächen und Lagerräume vorstellen. Mittlerweile haben die Wiener auch ein Franchise-System aufgebaut.

Holle sieht 2021 als "extrem positive Zäsur" für Österreichs Start-ups. "Mit zwei global anerkannten Unicorns und weiteren Kandidaten wie Refurbed, Bitmovin oder Tourradar, die in ihren Bereichen ganz oben mitspielen, ist ein Riesenschritt gelungen. Holle wünscht sich jedoch Beschleunigungen und Erleichterungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, um Talente herzubringen. "Anders können wir die Top-Firmen nicht im Land halten. Wir schießen uns da oft ins eigene Knie." (Andreas Danzer, 8.8.2021)