Im 18. Jahrhunderten wurden die Ersten Völker Australiens von den britischen Invasoren wie Tiere behandelt, obwohl sie bereits seit Jahrhunderten auf dem Kontinent lebten.

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Eileen Cummings ist zu aufgewühlt, um selbst zu den Medien zu sprechen. Als kleines Mädchen gewaltsam durch die Behörden ihren Eltern entrissen, kann sie es nun, als betagte Aborigines-Frau, kaum glauben, dass ihr Kampf für Gerechtigkeit endlich Erfolg hat.

Soeben hat die australische Regierung angekündigt, eine Gruppe von 3600 Überlebenden für die Praxis der gewaltsamen Umsiedlung von Aborigines-Kindern zu entschädigen. Umgerechnet rund 47.000 Euro soll jedes Mitglied dieser "gestohlenen Generationen" erhalten.

Für viele Ureinwohner Australiens ist die oftmals gewaltsam vollzogene Trennung von Kindern und Eltern nichts anderes als eine Form des versuchten Genozids an den ersten Völkern des Kontinents. Nach der Invasion durch die Briten 1788 sahen viele Weiße die Aborigines mehr als Tiere denn als Menschen. Sie wurden vergiftet, erschlagen, versklavt, entrechtet, vertrieben.

Verachtete "Creamies"

Tausende starben an den Folgen eingeschleppter Krankheiten. Das Blut vieler Überlebender wurde mit jenem der Besatzer durchmischt – meist durch Vergewaltigung, ganz selten durch Liebe. "Creamies", so lautete die verächtliche Bezeichnung für die Betroffenen. Zu Tausenden wurden sie zwischen 1910 und 1972 ihren Eltern weggenommen, in Kinderheime gesteckt, oft in kirchliche Institutionen. Auch wenn es positive Ausnahmen gab: In vielen Fällen wurden die Kinder in weißen Haushalten als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Sexueller, psychischer Missbrauch gehörte oft zum Alltag.

Assimilierung war das Ziel – Eingliederung in die weiße Gesellschaft; niemand glaubte, dass die indigenen Kulturen eine Zukunft haben könnten. Betroffene leiden bis heute unter dem Unrecht, fühlen sich nirgendwo zugehörig. Der Faden zu ihrer Geschichte ist gerissen.

Auch wenn Aborigines-Organisationen die jüngste Kompensation mehrheitlich begrüßen, kann von Enthusiasmus nicht die Rede sein. Zum einen kommen nur jene Menschen in den Genuss der Abfindung, die zum Zeitpunkt ihrer Entführung in drei bestimmten Territorien gelebt haben. Landesweit warten noch weitere zehntausende Betroffene auf Gerechtigkeit: Bis zu 30 Prozent der rund 800.000 indigenen Australierinnen und Australier sollen zu den "gestohlenen Generationen" gehören.

Noch ein langer Weg

Die Regierungen einzelner Bundesstaaten arbeiten zwar an Kompensationen, doch die Zeit drängt: Viele Betroffene sind schon sehr alt, Tausende sind nicht mehr da wegen Alkoholmissbrauchs, physischer und psychischer Krankheiten und in so vielen Fällen auch wegen Suizids. Beobachter werten die neueste Ankündigung als wichtigen Schritt auf einem langen Weg zur Versöhnung. Noch viel mehr sei zu tun, um die Lebenssituation grundlegend zu verbessern. Trotz signifikanter Investitionen durch den Staat in den letzten Jahrzehnten haben Aborigines im Durchschnitt noch immer eine bis zu zehn Jahre kürzere Lebenserwartung.

Die Gründe wären oft vermeidbar: mangelhafte Gesundheitsversorgung und Krankheiten, die es sonst nur noch in Entwicklungsländern gibt. Bildungsdefizite, Diskriminierung am Arbeitsmarkt und vielerorts noch endemischer Rassismus tragen zur Situation weiter bei. (Urs Wälterlin aus Canberra, 6.8.2021)