Die Arbeit von Volunteers ist vielschichtig: Manche haben einen Bürojob, andere sind als Auskunftspersonen in der Stadt verteilt. Ausgewählte dürfen Hürden wegräumen.

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Der Schweizer Mathias Flückiger feierte seine Mountainbike-Silberne mit den Volunteers, die zuvor die Strecke sicherten.

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Am Fuji International Speedway – jener Ort, an dem Anna Kiesenhofer Gold holte – sprühten diese zwei Volunteers Wasser auf die Personen an der Rennstrecke, um sie von der brütenden Hitze zu kühlen.

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Katrin Jumiko Leitner verbrachte in den letzten zwei Wochen viel Zeit im olympischen Dorf in Tokio.

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Wer in Tokio die Olympischen Spiele nicht völlig ignoriert, erkennt Katrin Jumiko Leitners Rolle schon an ihrer Kleidung. Sie trägt die Uniform der Volunteers, der freiwilligen Helferinnen und Helfer, die den Ablauf der sportlichen Wettkämpfe ermöglichen. Doch um nicht sofort erkannt zu werden, hat sich Leitner extra ein anderes Leiberl angezogen, bevor sie ihre Wohnung knapp außerhalb von Tokio verließ. "Du spürst sonst schon ein paar bösere Blicke in der U-Bahn", sagt sie dem STANDARD. Erst vor Ort zieht sie sich dann das Volunteer-Shirt über. "Viele versuchen, unentdeckt durch die Stadt zu kommen. Das ist ein Nebeneffekt, weil man die Spiele jetzt so durchgedrückt hat."

Die 38-Jährige ist eine von insgesamt rund 100.000 Olympia-Volunteers. Die Stellen sind mit Stolz verbunden, immerhin haben sich doppelt so viele Menschen beworben. Doch eine verärgerte Bevölkerung und steigende Infektionszahlen lassen Leitner nichts davon spüren.

Angst und Ärger

Es hätten die Spiele des Wiederaufbaus sein sollen nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011. Die Organisatoren wollten sich der Nachhaltigkeit verschreiben und ein Zeichen für Diversität und Inklusion setzen. Davon ist heute kaum die Rede, vielmehr fürchten Japanerinnen und Japaner eine neue Infektionswelle. Aus Angst vor einer Ansteckung legten über 10.000 Volunteers ihr Amt zurück. Einige ärgert zudem das schlechte Image des Organisationskomitees: OK-Chef Yoshiro Mori musste nach sexistischen Äußerungen im Februar zurücktreten.

Leitner hat sich aus beruflichen Gründen als Volunteer beworben, aber nicht nur. Sie war einst Teil von Österreichs Judo-Nationalteam, die dreifache Jugendstaatsmeisterin pflegt bis heute eine Freundschaft zu Sabrina Filzmoser. Leitner hat eine japanische Mutter. Sie studierte Japanologie an der Uni Wien, promovierte nach ihrem Karriereende. Seit 2013 lebt sie im Ballungsraum Tokio, arbeitet als Associate Professor an der renommierten Privatuniversität Rikkyo am Institut für Sport und Wellness. Dort lehrt sie über die Sportsysteme in europäischen Ländern. An Olympia interessierte sie der Blick hinter die Kulissen: "Diese Erfahrungen kann ich dann in meiner Forschung einbringen."

Anders als die meisten Volunteers arbeitet sie direkt für das ÖOC, sie unterstützt die Delegation in erster Linie als Dolmetscherin. In der ersten Wettkampfwoche kümmerte sie sich um die Trainingspartner der Judoka, die nicht im olympischen Dorf wohnen durften. Und irgendwie gibt sie auch eine Lehrerin auf einem Skikurs ab: Wenn ÖOC-Athleten wieder abreisen, stellt Leitner sicher, dass die Hotelzimmer ordnungsgemäß hinterlassen werden. "Ich mache alles, was so anfällt", umschreibt es die gebürtige Steirerin.

Katrin Jumiko Leitner im ÖOC-Büro mit Shintaro Osada, den alle "Sigi" nennen. Er ist Trainer des japanischen Alpinski-Nationalteams und während den Olympischen Spielen wie Leitner Volunteer für den ÖOC.
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Schon 2019 hatte sie sich beworben, es folgten Einschulungen vor Ort und auch online. Es war chaotisch. "Japan ist in vielen Dingen sehr eigen. Alles dauert ein bisserl länger, vieles wird verkompliziert." Für jede Lebenslage gibt es ein Formular, "die Japaner lieben Zettel". Als die japanische Regierung kürzlich ankündigte, Faxgeräte in Behörden abschaffen zu wollen, hagelte es Kritik. "Man muss nicht alles verstehen", sagt Leitner.

Das Organisationskomitee war inzwischen dabei, sich bei der Austragung der Spiele zu verzetteln. Umfragen zeigten, dass sich 70 Prozent der Bevölkerung gegen den Großevent aussprachen. "Nicht alle wollten eine Absage", sagt Leitner, "eine weitere Verschiebung wäre den meisten lieber gewesen. Das war natürlich unrealistisch." Ihr Gefühl ist, dass die meisten die Spiele nun mit Bauchweh hinnehmen. Der Großteil freue sich über die Erfolge des japanischen Teams und fiebere vor dem Fernseher mit.

Andererseits sind die Infektionszahlen stark gestiegen. War die Inzidenz Japans im Juli noch im einstelligen Bereich, liegt sie mittlerweile über 60. Politiker machen sich in den Medien gegenseitig Vorwürfe, vereinzelt gab es sogar in der zweiten Wettkampfwoche noch Forderungen nach einem sofortigen Abbruch der Spiele.

Das Gesundheitssystem sei nicht schlecht aufgestellt, doch eine überalterte Bevölkerung sorge permanent für eine gewisse Auslastung der Kapazitäten, sagt Leitner. "Wenn jetzt viele Covid-Patienten dazukommen, hat das Auswirkungen." Nicht dringliche Operationen werden verschoben, einzelne Kliniken weisen Patienten ab. "Die Situation ist verschärft." Das olympische Dorf war teilweise abgeschottet, Athleten und Betreuer werden mit Shuttles zu den Wettkampfstätten gebracht. Doch die Blase glich einem Käse, ständig wurde sie von Volunteers durchlöchert, die abends in ihre Wohnungen zurückkehrten. "Viele Regeln lassen sich gar nicht umsetzen", sagt Leitner.

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Manchmal ist vollster Körpereinsatz gefragt – und richtiges Timing. Beim Startschuss sollten diese Volunteers die Ruderboote loslassen.
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Böse Blicke

7,5 Milliarden Dollar sollten die Spiele kosten, inzwischen rechnet man mit Ausgaben von 30 Milliarden. Ticketeinnahmen bleiben gänzlich aus. Auf ihre Bekleidung hat Leitner auf der Straße noch niemand angesprochen. "Auch wenn sie gerne etwas sagen würden: Dann stünden sie im Blickpunkt, das wollen sie vermeiden." Deshalb bleibt es bei den bösen Blicken. "Schade, dass die Spiele so negativ gesehen werden. Das ist eben jetzt so." (Lukas Zahrer, 7.8.2021)