Roland Weißmann (re.) lacht als türkiser Favorit für die Generalswahl. Doch Alexander Wrabetz war schon für Wahlüberraschungen gut.

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Alexander Wrabetz schreibt schon an seiner Geschichte, während er noch um seine Zukunft kämpft. Das verspricht einen heißen Herbst auf dem Küniglberg, in der Zentrale des weitaus größten Medienkonzerns im Land. Heißer noch, als der 61-jährige ORF-Chef gerade seinen letzten Wahlkampf um die Führung des ORF anlegt.

Denn auch wenn Roland Weißmann, wie erwartet, am kommenden Dienstag zum nächsten Generaldirektor des ORF bestellt wird, ist Alexander Wrabetz noch bis zum 31. Dezember 2021 Alleingeschäftsführer des ORF. Und er hat vor, Schlüsselentscheidungen für die Zukunft des ORF noch selbst zu treffen. Sein kämpferischer Konfrontationskurs gegen Favorit Weißmann auf den letzten Metern der Generalswahl lässt reichlich Konfliktstoff für den Herbst erwarten.

Die Geschichte einer Ablöse

Vor seiner drohenden Abwahl beschwört Wrabetz folgende Erzählung: Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz und sein Medienbeauftragter Gerald Fleischmann haben eine der ÖVP nahestehende Mehrheit im Stiftungsrat, mit der sie erstmals seit einem halben Jahrhundert den Generaldirektor des ORF quasi alleine bestimmen können. Das hievt einen türkisen Vertrauensmann in den Chefsessel – Roland Weißmann, Vizefinanzdirektor des ORF. Auf den sei dann mehr Verlass als auf Wrabetz. Denn wegen seines Erfolgs werde man einen ORF-General doch bestimmt nicht absetzen, meint Wrabetz. Also kann es sich bei der Neubesetzung nur um Orbánisierung, also rigiden Zugriff der Regierung auf den ORF nach dem Vorbild des ungarischen Regierungschefs, handeln. Es würde hier Postenschacher wie bei der Öbag betrieben, so der Wrabetz’sche Gospel – nur dass Thomas Schmid wenigstens die – von ihm wesentlich mitformulierten – Ausschreibungskriterien erfüllt habe.

In der Tat ist Weißmann der Vertrauensmann der ÖVP, auch wenn er stets betont, er habe nie ein Parteibuch besessen.

Anpassungsfähigkeit

Wesentliche Türkise halten ihn offenbar für verlässlicher als Alexander Wrabetz, der schon acht Bundesregierungen – in allen Schattierungen von Schwarz-Blau über Rot-Schwarz bis Türkis-Blau und nun Türkis-Grün – an der Spitze des ORF überlebt hat. Dies auch dank großer Anpassungsfähigkeit an die jeweils Regierenden, nicht unbedingt wegen entschiedener Wehrhaftigkeit gegen ihre Wünsche – etwa bei der Bestellung und Ablöse von Führungspersonal. Alles, um den ORF abzusichern, würde Wrabetz sagen.

Wegen allzu großen Widerstands gegen Regierungswünsche wird Wrabetz also eher nicht abgelöst: Er hat schon 2018 passende Channel-Manager bestellt – und Österreichs meistgesehene Fernsehnachrichten, die ZiB 1 um 19.30 mit ihrem Millionenpublikum, fallen nicht unbedingt durch kritische Distanz auf. Dazu unterstützte der ORF verantwortungsbewusst den Regierungskurs in der Pandemie, auch die eine oder andere Sonder-ZiB mit ausführlichem Kanzlergespräch ging sich dabei im Hauptabend aus. Für Kanzler Kurz erfand Wrabetz unter türkis-blauer Bedrängnis mit Lebensretter sogar eine eigene Hauptabendshow. ZiB 2, Ö1-Innenpolitik oder auch der Report können jedoch weiter ihre kritischen Kontrapunkte liefern.

Fakt bleibt: Der Wunsch nach politischem Einfluss ist auch bei dieser ORF-Wahl unverkennbar. Die Hoffnung hatte noch jede Kanzlerpartei in den vergangenen Jahrzehnten, nach Kräften konterkariert von wehrhaften ORF-Redakteurinnen und -Redakteuren.

Größter Umbau der ORF-Information

Nun aber steht die ORF-Information vor dem größten Umbau in ihrer Geschichte. 2022 ziehen die bisher getrennt arbeitenden aktuellen Redaktionen von Fernsehen, Radio und Online in einen neuen, gemeinsamen Newsroom auf dem Küniglberg. Mit gemeinsamen Ressorts, einer gemeinsamen Chefredaktion und einem gemeinsamen Newsdesk, der alle Kanäle zentral mit aktuellen News bestücken soll, von den ZiB Flashes bis zu Social Media.

Roland Weißmann beklagt zwar in seinem Bewerbungskonzept für den Job des ORF-Generals auf vielen Seiten bisher verschleppte Entscheidungen und mangelnden Mut – er wolle den Newsroom "endlich" starten. Nur eine Entscheidung könne getrost noch warten: Die Mannschaften von TV, Radio, Online sollen den Newsroom noch in ihren alten Führungsstrukturen besiedeln und erst nach einem halben Jahr eine neue Führung bekommen. Dann ist Weißmann, so er am Dienstag bestellt wird, als ORF-General im Amt.

Bestellung noch im Herbst

Hier hat Wrabetz einen kleinen Machtjoker in der Hand. Er hat angekündigt, dass er selbst noch im Herbst die Chefredaktion und Ressortleitungen bestellen wird, die 2022 die Führung im neuen ORF-Newsroom übernehmen – und damit für eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Denn es wird ein Newsroom, von dessen Einfluss und Kontrolle ein Werner Mück vielleicht geträumt hat: Mück war Chefredakteur Fernsehen, zuständig für die aktuelle Information und die Magazine. Seine zentralistische Führung ließ die ORF-Redakteure um ZiB 2-Anchor Armin Wolf 2006 rebellieren – die Begleitmusik von Wrabetz’ Bestellung zum ORF-Chef. Entschieden hat sie sein Deal mit dem damaligen BZÖ-Chef und ÖVP-Regierungspartner Peter Westenthaler. Das BZÖ bekam dafür drei ORF-Direktorenjobs.

Alle Bewerber um den Generalsjob beschwören im Chor mit den Fraktionssprechern im Stiftungsrat – insbesondere der Türkisen –, dass es die Unabhängigkeit und Vielfalt im Newsroom abzusichern gelte.

An vorderster Stelle Roland Weißmann, der als Favorit der Kanzlermehrheit am intensivsten dazu befragt wird. Er wird unter besonderer Beobachtung stehen, ob er die Unabhängigkeitsbeteuerungen umsetzt. Und ob er sich von seinem ehemaligen Chef Richard Grasl gelöst hat, der sich, inzwischen beim Kurier, noch immer mit dem ORF beschäftigt.

Der von ÖVP und FPÖ unterstützte Grasl unterlag 2016 Wrabetz, und mit ihm Tarockpartner Thomas Zach, der Sprecher des ÖVP-Freundeskreises im Stiftungsrat. Zach forciert nun seinen Mitspieler Weißmann. Diesmal will Zach das Spiel gewinnen.

Ein letzter Antrag auf GIS-Erhöhung

Es ist auch Alexander Wrabetz, der im Herbst Weichen für die Finanzierung des ORF in den nächsten Jahren stellt: Ein Gebührenantrag ist fällig, eine Erhöhung nach fünf Jahren wäre zu erwarten. Die GIS ist mit 650 Millionen Euro die wichtigste Finanzierungsquelle des Ein-Milliarden-Unternehmens ORF.

Beim Publikum könnte sich Wrabetz mit einem bescheidenen Antrag in Erinnerung halten. Hier aber entscheidet er nicht alleine. Wie viel mehr GIS 2022 anfällt für den ORF, bestimmen der ORF-Stiftungsrat und prüft die Medienbehörde. Und Wrabetz sagte gerade der Belegschaft, er "liebe" den ORF. (red, 7.8.2021)