Um eine weitere Provinzhauptstadt, Afghanistans zweitgrößte Stadt Herat, wird aktuell erbittert gekämpft.

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Kabul / New York – Die radikalislamischen Taliban haben im Kampf gegen die Regierung in Kabul mit Zaranj erstmals eine Provinzhauptstadt eingenommen und damit kurz vor Abzug der letzten US-Soldaten einen bedeutsamen Sieg errungen. Zudem töteten sie am Freitag den Chefsprecher der Regierung, Dawa Chan Menapal. Am Samstag wurde die Eroberung einer weitere Provinzhauptstadt, Sheberghan, durch die Radikalislamisten gemeldet.

Die Islamisten belagern noch mehrere weitere der 34 Provinzhauptstädte. Sheberghan liegt rund 130 Kilometer von Mazar-i-Sharif entfernt an einer wichtigen Ost-West-Verbindung in Nordafghanistan. Die Stadt mit geschätzt 130.000 Einwohnern gilt als wichtiges Tor zu den nördlichen und nordöstlichen Regionen des Landes. Sie ist seit langem der Machtsitz des umstrittenen ehemaligen Kriegsfürsten und Ex-Vizepräsidenten und Warlords Abdul Rashid Dostum. Als Teil der sogenannten Nordallianz bekämpften seine Milizen im Bürgerkrieg der 1990er-Jahre die Taliban, gegen sie gibt es aber auch zahlreiche Vorwürfe wegen Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Auch in den aktuellen Gefechten um die Stadt waren seine Milizen unter Führung seines Sohnes im Einsatz. Dostum selbst kehrte erst jüngst aus dem Exil in das Land zurück.

Fraglicher Friedenswille der Islamisten

Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen stellte die Leiterin der Uno-Hilfsmission für Afghanistan (UNAMA), Deborah Lyons, den Friedenswillen der Taliban infrage und erklärte, der Krieg sei in eine neue, tödlichere und destruktivere Phase eingetreten. Im vergangenen Monat seien mehr als tausend Zivilsten während der Offensive der Taliban getötet worden. "Eine Partei, die aufrichtig einer vereinbarten Einigung verpflichtet wäre, würde nicht so viele zivile Opfer riskieren", so die Kanadierin Lyons. Die Taliban hatten den USA zugesagt, mit der Kabuler Regierung eine Verhandlungslösung zu suchen.

Die Hauptstadt Zaranj der Provinz Nimruz im Süden des Landes sei von den radikalen Islamisten eingenommen werden, teilte die Provinzpolizei mit. Deren Sprecher machte das Ausbleiben von Verstärkungen durch die Zentralregierung in Kabul für die Niederlage verantwortlich. Ein Beobachter in der Provinz berichtete, die Taliban hätten den Gouverneurspalast, das Polizeipräsidium und einen Posten nahe der iranischen Grenze besetzt.

Gezielte Tötung von Regierungssprecher

Ein Taliban-Kommandant, der namentlich nicht genannt werden wollte, sah eine strategische Bedeutung in der Eroberung: "Dies ist der Anfang, und Sie werden sehen, wie die anderen Provinzhauptstädte rasch in unsere Hände fallen." Die Taliban, die eine fundamentalistische Variante des Islam mit Gewalt durchsetzen wollen, haben in den vergangenen Monaten dutzende Bezirke und Grenzübergänge unter ihre Kontrolle gebracht. Ende August sollen die letzten US-Soldaten ausgeflogen werden.

Der enge Mitarbeiter des Präsidenten Ashraf Ghani, Regierungssprecher Menapal, wurde nach Angaben des Innenministeriums beim Freitagsgebet ums Leben gebracht. Die Taliban sprachen von einer gezielten "Strafaktion". Die Tötung Menapals ist die jüngste in einer Reihe anderer, die darauf abzielen, Ghanis demokratisch gewählte, vom Westen unterstützte Regierung zu schwächen. Zu den Opfern zählen Aktivisten, Journalisten, Beamte, Richter und bekannte Personen, die sich für einen liberalen islamischen Staat einsetzten.

Der Vertreter Russlands im Sicherheitsrat warnte, Kämpfer aus Afghanistan könnten verkleidet als Flüchtlinge in die Region einsickern. Dies sei eine Gefahr für alle zentralasiatischen Staaten. Der Vertreter Chinas rief die USA auf, die Bemühungen zum Erhalt der versprochenen Stabilität in Afghanistan zu verstärken. (APA, red, 6.8.2021)