Halb Oscar Wilde, halb Robert Smith: Marcel Kohler als Elis, Lea Ruckpaul als Anna.

Foto: APA/Barbara Gindl

Die Bühne ist ein Trümmerfeld. Nebel wabern über umherliegende Ziegelsteine, dunkle Gestalten kauern am Boden. Bühnenbildnerin Muriel Gerstner hat in das Salzburger Landestheater eine Szenerie für ein Endspiel gebaut, und wer da an Beckett denkt, der liegt an diesem Abend nicht ganz falsch.

Dabei wird Hugo von Hofmannsthal gespielt, ein Dramatiker, der mit dem irischen Meister des Absurden nun wirklich nicht viel gemein hat. Anlässlich der 100-Jahr-Festivitäten der Festspiele will man in Salzburg aber einen Hofmannsthal jenseits des Jedermann und der Opern-Libretti zeigen, einen Suchenden, einen Fragenden, einen Ratlosen. 25 Jahre alt war der Mitbegründer der Festspiele als er 1899 Das Bergwerk zu Falun schrieb, ein Stück mit zu vielen Protagonisten und einer sperrigen Dramaturgie. Halb Allegorie, halb Märchen, triefend vor Romantizismen und tief verankert im Symbolismus der Zeit.

Vollendet hat Hofmannsthal das Dramenfragment erst viele Jahre später, veröffentlicht hat er es aber nie. Zu nahe war ihm wohl das Schicksal seines Protagonisten Elis, eines Seefahrers und Bergmannes, den man durchaus auch als Künstler auf Sinnsuche lesen konnte. Als das Bergwerk von Falun schließlich 1949 von Heinz Hilpert in Konstanz uraufgeführt wurde, hatte dieses dunkle, märchenhafte Endspiel einen ganz neuen Anstrich bekommen.

Wachkoma-Stück

An die große Ratlosigkeit nach einer vermeintlichen Stunde Null knüpft auch Regisseur Jossi Wieler in seiner umgemein stimmigen Inszenierung in Salzburg an. Gemeinsam mit Dramaturgin Marion Tiedke hat er den Fünfakter entschlackt und mit nur sechs Schauspielern besetzt, die bis auf Elis und den alten Torbern jeweils mehrere Rollen spielen. Das macht Sinn. Denn genauso wie die Zeit in diesem Wachkoma-Stück aufgehoben scheint, so sind gleich mehrere Figuren Chiffren für die Sehnsucht nach Leben, Tod oder Begehren.

"Lebt nicht und stirbt nicht", heißt es gleich in den ersten Minuten, und auch wenn damit der Sohn der Fischersleut gemeint ist, so gilt dies um so mehr für die Protagonisten an diesem 100-minütigen Abend. Gebückt und mit unruhigem Blick schleicht der alte Torbern des wunderbaren André Jung durch die Ziegelsteinwüste, seit 200 Jahren dient er der Bergkönigin (Sylvana Krappatsch). Ein Untoter, der sterben möchte, sich aber nicht von seiner Königin lösen kann.

Er ist die eindrucksvolle Zentralfigur in diesem kalten Zauberspiel, in dem die Stimmen wie von einer Felswand vom Hall verstärkt werden werden. Noch immer treiben ihn dieselben Fragen um wie den jungen Elis, der noch einmal an die Oberfläche muss, bevor er von der Bergkönigin geholt wird. Wie im Jedermann ist es auch im Bergwerk zu Falun die Frage nach dem richtigen Leben, die im Mittelpunkt steht, nur dass sie hier auf der psychologisch-individuellen Ebene und nicht auf der gesellschaftlich-moralischen ausverhandelt wird.

Halb Wilde, halb Smith

Das macht das Stück zugleich moderner aber auch inhaltlich-flüchtiger als den Dauerbrenner vom Domplatz. Mit der Besetzung von Marcel Kohler als Elis zieht man zudem (bewusst oder unbewusst) eine optische Parallele zum Jedermann des Lars Eidinger, der Hofmannsthals Knittelverse in ein zeitgenössisches Gewand kleiden muss. Kohler hat es da einfacher: Er ist halb Oscar Wilde, halb Robert Smith, poetisch versponnen und sexuell offen, dem die poetisch-hochfliegenden Sätze wie Jugendslang von den Lippen gehen.

Aus dem abgründigen Zauberspiel schält sich so das Drama von der Sinnsuche unterschiedlicher Generationen, das durch die Begegnung von Elis mit Anna eine beinahe leichtfüßige Note bekommt. War es in seiner Zeit als Seemann der Knabe Agmahd so ist es jetzt die Tochter des Bergwerksbesitzers (Edmund Telgenkämper), die bei Elis so etwas wie Begehren entfacht. Die Ziegelsteine türmen die Brautleute zu Hausmauern, während die blinde Großmutter (Hildegard Schmahl) einen Bogen vom konservierten Bergmann im schwedischen Falun zu den Katastrophen von heute spannt.

Märchen statt Endspiel

Längst hat zu diesem Zeitpunkt das Märchen die Oberhand über das Endspiel gewonnen: Wie aus einer Produktion von Walt Disney scheint auch Anna in Gestalt der bezaubernd-strahlenden Lea Ruckpaul auf die Salzburger Landesbühne gebeamt – samt T-Shirt mit Anna-Schriftzug. Nach einem Jahr macht die Eis-, pardon, Bergkönigin dem rechtschaffenen Liebesglück einen Strich durch die Rechnung, die übrig gebliebenen Ziegelsteine formen sich zum Grab.

Am Ende verwehrt Hofmannsthal dem Zauberspiel eine versöhnliche Note, das Unbehagen von der Bühne scheint schlussendlich auch das Publikum erfasst zu haben. Das ist keine kleine Leistung dieser eindrucksvollen Salzburger Theaterexpedition. (Stephan Hilpold, 8.8.2021)