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Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Ökonom Lukas Sustala fordern im Gastkommentar mutige Reformen der Regierung für das österreichische Steuer- und Abgabensystem.

Für uns Österreicher ist die "Steinzeit" eine Gefahr. Allerdings liegt das nicht an einem vermeintlichen Rückschritt durch zu viel Klimaschutz, wie Bundeskanzler Sebastian Kurzwarnt, sondern an zu wenig Reformmut – besonders offensichtlich ist das in Geldfragen. Denn kaum etwas ist derart veraltet und rückwärtsgewandt wie das österreichische Steuer- und Abgabensystem. Hunderte, komplizierte Ausnahmen, unökologische Pendlerförderungen und die anachronistische kalte Progression zeigen, dass in der Steuerpolitik seit Jahrzehnten an besonders kleinen Schrauben gedreht wurde.

Die Steuerzahler hatten davon wenig bis nichts. In den vergangenen Jahrzehnten vermochte kaum eine Steuerreform nachhaltige Impulse zu setzen. Die OECD hat jüngst wieder gezeigt, dass das Arbeitseinkommen eines Durchschnittsverdieners nur noch in Belgien und Deutschland höher besteuert wird, hierzulande sind es 47,3 Prozent. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Abgabenbelastung in Österreich nicht reduziert. Andere Sozialstaaten wie Dänemark oder Schweden haben es in den vergangenen Jahren hingegen geschafft, den Faktor Arbeit mit mutigen Reformen nachhaltig zu entlasten.

Steigende Preise

Woran liegt das? Ein Grund ist die kalte Progression – sie ist das Körberlgeld für den Finanzminister, weil das Steuersystem geflissentlich "vergisst", dass die Preise in Österreich steigen. Sie sorgt für einen steuerlichen Jo-Jo-Effekt. Auf eine kurzfristig erfolgreiche Diät folgt ohne eine nachhaltige Umstellung wieder eine Zunahme der Steuerlast. Solange die Preise und Löhne steigen, sorgt die kalte Progression für automatische Steuererhöhungen – und zumindest die Preise steigen nach der Pandemie schon kräftig.

Dieser Tage ruft auch der "Tax Freedom Day" in Erinnerung, dass der Staat hierzulande einen besonders großen Teil der Einkommen mit Sozialabgaben und Steuern belastet. Im Schnitt arbeiten wir demnach erst ab dem 8. August für die eigene Tasche, und das spricht eigentlich für eine große Steuerreform. Wenn nun die Regierung am Ende ihres Sommerministerrats auf allen Kanälen verspricht, "weiter entlasten" zu wollen, dann muss schon genau hingeschaut werden. Denn geplant hat Türkis-Grün eine Entlastung der Arbeitseinkommen über eine kleine Senkung der Einkommensteuersätze. Wie klein?

Steuerpolitisch werde in Österreich seit langem an viel zu kleinen Schrauben gedreht, kritisieren die Neos. Sie sehen eine Art Jo-Jo-Effekt, was die Steuerlast betrifft.
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Wenn Türkis-Grün die Einkommensteuertarife wie angekündigt auf 20/30/40 Prozent für die ersten drei Steuerstufen anpasst, bringt das nur 2,3 Milliarden Euro. Würde sie die Steuerstufen hingegen mit der Inflation anpassen, dann wäre der Entlastungseffekt im Vergleich zu 2016, dem Jahr der letzten Steuerreform, 2,8 Milliarden Euro. Die Regierung würde mit ihren Steuerplänen also nicht mehr als die kalte Progression kompensieren.

Die international sehr hohe Steuerlast finanziert nicht nur den gut ausgebauten Sozialstaat. Die Abgabenbelastung ist zunehmend auch die Bestrafung der Steuerzahlenden für die Reformmüdigkeit der Regierenden. Daher muss mit dem steuerlichen Klein-Klein jetzt Schluss sein, weil wir nach der Pandemie mehr brauchen, um aus der Krise zu kommen. Der Fachkräftemangel, die Schwierigkeit von Unternehmen, Mitarbeiter zu finden, wird dadurch verschärft. Die Arbeitslosigkeit liegt zwar noch immer über dem Vorkrisenniveau, trotzdem gibt es bereits einen massiven Fachkräftebedarf.

Parteiübergreifende Reform

Zuletzt waren beim AMS 113.000 offene Stellen gemeldet – ein Rekord. Neben dem Ausstieg aus der Kurzarbeit kann auch die Entlastung des Faktors Arbeit dazu beitragen, die Problematik zu entspannen. Schließlich sorgt der Staat aktuell dafür, dass Mitarbeiter zu viel kosten und zu wenig verdienen: as ist ein großer Anreiz, Standorte aus Österreich abzusiedeln oder zu automatisieren, und macht auch den Vermögensaufbau unnötig schwierig.

Mit einem parteiübergreifenden und mutigen Reformkurs ist eine große Entlastung möglich, das haben genug andere Länder vorgemacht. Die Zeit dafür ist längst reif, und eine Reform der Besteuerung von CO2-Emissionen ist ein perfekter Anlass dafür, den Faktor Arbeit wesentlich stärker als bis dato kommuniziert zu entlasten. Die Spielräume für die Entlastung können geschaffen werden: durch eine Standortstrategie, die in den Themenfeldern Digitalisierung und Bildung von den internationalen Vorbildern lernt; durch eine Föderalismusreform, die Doppel- und Dreifachgleisigkeiten abbaut und gerade die Länder aus der Komfortzone reißt, zwar viel Geld ausgeben zu können, aber sich nicht um die Einnahmen kümmern zu müssen; und natürlich durch mehr Generationenfairness, indem die Menschen wie in anderen entwickelten Wohlfahrtsstaaten später in Pension gehen.

Aus der Steinzeit

Was die Regierung nun ankündigt, wird nicht verhindern, dass in Österreich auch weiter Durchschnittsverdiener Steuern und Abgaben wie anderswo Spitzenverdiener zahlen. Wenn man sich ansieht, wie stark eine Entlastung ausfallen müsste, um die Besteuerung des Faktors Arbeit wieder auf den Schnitt der Eurozone zu senken, kommt man auf eine Summe von rund zehn bis zwölf Milliarden Euro. Das wäre ein erster Schritt, um steuerpolitisch aus der Steinzeit und rein in die Zukunft zu kommen. (Beate Meinl-Reisinger, Lukas Sustala, 9.8.2021)