Die Sozialstruktur von Giraffen ist neuen Erkenntnissen zufolge komplexer als gedacht. Eine im Fachjournal "Mammal Review" veröffentlichte Studie von Forschern der Universität Bristol kommt zum Schluss, dass das soziale Netzwerk der Tiere von starken Bindungen der Weibchen zum Nachwuchs auch nach der reproduktiven Phase geprägt ist. So helfen "Großmutter-Giraffen" offenbar auch bei der Aufzucht des Nachwuchses.

Giraffen wiegen bei der Geburt rund 50 Kilogramm sind mehr als eineinhalb Meter groß.
Foto: Zoe Muller

Diese Erkenntnis über komplexe, mehrschichtige Verbandsstrukturen stehe im Kontrast zu langjährigen Annahmen, wonach Giraffen keine starke Sozialstruktur hätten, schreiben die Autoren. Erst seit rund zehn Jahren ändere sich das Bild. "Es ist erstaunlich, dass so eine ikonische, große und charismatische Gattung so lange missverstanden wurde", sagte Studienautorin Zoe Muller. Sie hoffe, mit ihrer Arbeit das Bild der Giraffe als intelligentes, soziales Tier neu zu prägen und so auch zum Überleben dieser Spezies beizutragen.

Kooperative Aufzucht

Als wenig sozial galten die höchsten landlebenden Tiere der Welt lange allein schon aufgrund ihrer aufwendigen Lebensweise: Bis zu 30 Kilogramm Blätter benötigen die Wiederkäuer täglich, sie sind im Schnitt etwa 15 Stunden pro Tag mit der Suche und Aufnahme von Nahrung beschäftigt. Auch ihren Flüssigkeitsbedarf stillen Giraffen hauptsächlich über Pflanzen. Bleibt da überhaupt Zeit für komplexe soziale Beziehungen?

Eine Gruppe weiblicher Giraffen im Rift Valley in Kenia.
Foto: Zoe Muller

Zumindest bei Weibchen offenbar schon. Sie leben meist in Gruppen von einigen wenigen bis zu mehreren Dutzend Tieren. Das bietet offenbar nicht nur Vorteile bei der Nahrungssuche und dem Schutz vor Raubtieren, sondern auch bei der Aufzucht der Jungen, wie Muller und ihr Kollege Stephen Harris berichten. Die hohe Lebenserwartung weiblicher Giraffen auch nach dem Ende ihrer Fortpflanzungsfähigkeit deute darauf hin, dass diese älteren Tiere eine wichtige Funktion in der Gruppe haben: Sie dürften dabei helfen, die Überlebenswahrscheinlichkeit der Jungtiere zu erhöhen.

Bedrohte Wiederkäuer

Die Biologen räumen ein, dass es noch viel Forschungsbedarf zu Giraffen gibt. Künftige Studien sollten sich auf das Verhalten der Tiere in Gruppen fokussieren und insbesondere die Rolle älterer Giraffen genauer beleuchten. "Ein besseres Verständnis der Sozialstruktur wird auch dabei helfen, die Schutzmaßnahmen für diese ikonischen Tiere zu verbessern", sagte Muller.

In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Giraffen-Bestände nach Angaben der Weltnaturschutzunion (IUCN) um fast 40 Prozent verringert. Insgesamt gibt es nur noch knapp 70.000 Giraffen aller Arten in der Natur – Tendenz sinkend. Die Organisation stufte die Wiederkäuer daher schon 2016 von "gefährdet" auf "bedroht" hoch. Demnach werden die Lebensräume der Giraffen immer kleiner. In freier Wildbahn leben die Tiere nur noch südlich der Sahara, vor allem in den Grassteppen Ost- und Südafrikas. (dare, APA, 8.8.2021)