Ein Ausflug zum Wiener Flughafen

Es war meine mit Sicherheit gleich nach der alpinen Ski-WM in Cortina d’Ampezzo faszinierendste Dienstreise des Jahres. Das will was heißen, denn die Destination Schwechat ist selbst für einen Bewunderer der tonnenschweren Vögel nicht unbedingt ein Heuler. Aber es war quasi eine Reise zu den Olympischen Spielen, wenn auch nur an die Peripherie.

Von dort, aus Tokio, kam Kristina Timanowskaja angeflogen. Die wegen Kritik an Funktionären in Belarus flugs in Ungnade gefallene Sprinterin beehrte Wien auf dem Weg ins politische Asyl in Polen mit einer Stippvisite – aus Sicherheitsgründen.

Es hätte vielleicht auch anders kommen können, wenn etwa Österreich der 24-Jährigen Asyl angeboten hätte. Dann hätte sie sich wohl der Presse gestellt. Das wäre spannend gewesen. Dass Staatssekretär Magnus Brunner diesen Part übernahm, war, nun ja, so lala. Dass er als einziger beim Termin ohne Mund-Nasen-Schutz auskam, war immerhin ein bisserl skandalös. (honz)

Foto: APA/BKA/FLORIAN SCHRÖTTER

Die Nemesis aus Niederkreuzstetten

Am Sonntag vor zwei Wochen ereignete sich am Fuß des Fuji ein heftiges sportliches Beben. Von den insgesamt 340 vergoldeten Triumphen dieser Spiele war der 20. Olympiasieg, jener im Straßenradrennen der Frauen, am wenigsten vorher zu sehen. Selbst für Expertinnen. Sie habe Siegerin Anna Kiesenhofer nicht unterschätzt, versicherte die zweitplatzierte Favoritin, Annemiek van Vleuten, nach 137 epischen Kilometern glaubhaft. Sie habe die Niederösterreicherin schließlich gar nicht gekannt.

Der Ärger, eine gleich beim Start entflohene Konkurrentin schlicht übersehen zu haben, war drei Tage später verflogen. Da beliebte die Niederländerin nach ihrem souveränen Sieg im Einzelzeitfahren schon wieder zu scherzen: "Ich bin Erste, stimmt’s?". Kiesenhofer schlief sich da schon daheim in Niederkreuzstetten aus. Die Einzelzeitfahrspezialistin durfte ja mangels Quotenplatz nicht gegen die Uhr radeln. Nur eines der vielen Nebengeräusche der größten österreichischen Geschichte dieser Spiele. (lü)

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Bewusstlos gewürgt, mit Bronze belohnt

Mit derartigem Widerstand hatte Chizuru Arai nicht gerechnet. Judo, Klasse bis 70 kg, Nippon Budokan: Die spätere Olympiasiegerin aus Japan trifft im Halbfinale auf Madina Taimasowa. Als die 22-jährige Russin die Matte betritt, ist sie bereits schwer gezeichnet. Ihr rechtes, violettes Auge ist angeschwollen, als wäre sie zwei Runden mit Mike Tyson im Ring gestanden.

Aber was kümmert das Taimasowa im Kampf um die Medaillen? Gar nichts. Mehr als 16 Minuten lang wird sie von Arai bearbeitet, ehe ihr im Würgegriff schwarz vor Augen wird. Arai verlässt die Matte als Siegerin – und lässt Taimasowa bewusstlos liegen.

War’s das schon? Feierabend? Mitnichten. Taimasowa kommt wieder zu sich, gewinnt kurz darauf gegen Weltmeisterin Barbara Matić und beendet den Tag mit Bronze um den Hals. ORF-Expertin Hilde Drexler relativiert: Sich bewusstlos würgen zu lassen "tut nicht weh. Man wird fast ein bisschen high." Na dann. (phb)

Foto: imago images/Xinhua

Dramatik bis zum letzten Griff

Die Premiere ist gelungen. Dass Sportklettern in Tokio erstmals zu olympischen Ehren kam, war höchst an der Zeit. Die Athleten und Athletinnen dankten es mit packenden Wettkämpfen. Im Speed hetzte die Polin Aleksandra Miroslaw wie Spiderwoman zum Weltrekord hoch.

Der Laie konnte mitfiebern, wie die Boulderprobleme auf der Kletterwand am besten zu überwinden waren. Von vorn, rücklings, mit dem Kopf nach unten. Zu guter Letzt der Vorstieg, der das Klassement nochmals ordentlich durchwürfelte. Jakob Schubert sicherte sich so noch Bronze, Jessica Pilz schrammte haarscharf dran vorbei.

Das Kombinationsformat, für das die Platzierungen aus den drei Disziplinen multipliziert wurden, dürfte nur Mathematik-Begabte gefreut haben. Aber damit hat sich der Sport auf der größten Bühne etabliert. In Paris 2024 wird Speed von den anderen zwei Disziplinen entkoppelt. Das bedeutet mehr Bewerbe, mehr Medaillen, mehr Spaß für das TV-Publikum. (ag)

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Stricken, springen, glücklich sein

Sieht man selten – einen jungen Mann, der strickt. Wobei das Stricken generell aus der Mode gekommen ist. Als unsereiner noch in den Kindergarten ging, war das ganz anders, da wurde Buben wie Mädchen der Umgang mit Stricknadeln und Wolle gelehrt. Die Oma bekam einen kratzigen Schal und revanchierte sich mit einem kratzigen Pullunder.

Der britische Wasserspringer Tom Daley, der in Tokio auf der Tribüne saß und strickte, ist aufgefallen. Das Stricken macht ihn glücklich, sagt er. Nebenbei hat sich die Followerzahl seines Instagram-Strick-Accounts auf fast eine Million verzehnfacht. So ein Glück. Er ist mit dem Oscar-prämierten texanischen Filmemacher Dustin Lance Black (Milk) verheiratet, sie haben einen dreijährigen Sohn. Wie sein Mann setzt er sich für LGBTQ-Rechte ein. Auch das ist ein Glück.

Daley (27) sprang als 14-Jähriger olympisch, Tokio waren seine vierten Spiele. Dabei kam erstmals Gold heraus. Jetzt wird es aber fast schon kitschig. (fri)

Foto: REUTERS/Stefan Wermuth

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Herzerwärmende Hochspringer

Nun könnte man meinen, dass die Betonung olympischer Ideale wie Freundschaft und Respekt im Angesicht erbitterter Medaillenduelle nichts als Schwafelei ist. Der Sieg ist das, was zählt. Deshalb war es umso berührender, als der italienische Hochspringer Gianmarco Tamberi seinem Kontrahenten Essa Mutaz Barshim aus Katar um den Hals fiel.

Dreimal scheiterten die beiden Männer jeweils an der Marke von 2,39 Metern, sie steckten bei 2,37 fest. Der Kampfrichter fragte beide, ob sie in ein Stechen gehen oder das Ergebnis so stehen lassen wollten. Barshim fragte zunächst ungläubig nach: "Wir können beide Gold haben?"

Der Schiedsrichter bejahte förmlich, Tamberi und Barshim schauten einander an, und der Rest dieser ergreifenden Jubelfeier geht in die olympische Geschichte ein. Jubelnde, weinende Männer, die einander umarmen: Kann es bessere Bilder geben für diese zerstrittene Welt da draußen? Wohl nicht nur mir sind ein paar Tränen gekommen. (vet, 9.8.2021)

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