Ulrich Biene, "Die Welt von oben. 75 Jahre Faller". € 29,90 / 184 Seiten. Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2021

Foto: Faller

Die große, weite Welt ganz klein; so simpel stellt sich das dar, wenn man sich in der Ära des Wirtschaftswunders nach den Weltkriegen in eine Sorglosigkeitswolke zurückziehen wollte. Hans Fallada beantwortete sich selbst die Herausforderung mit einer Gegenfrage: Kleiner Mann, was nun?; Heinrich Böll spielte Billard um halb zehn, Simmel verzichtete auf Kaviar. Peter Alexander, Vico Torriani und Caterina Valente beamten ihr Publikum schunkelnd ins geistige Abseits. Zur kollektiven Flucht in eine Art Neobiedermeier gehörte auch die Welt liebevoll angelegter Welten en miniature. Sehr praktisch. Auf den im Wohnzimmer oder im Kellerabteil kunstvoll angelegten Modellbaulandschaften konnte jedermann, weniger jede Frau, Kapitän, Zugsführer und lästiger Fahrgast in Personalunion sein.

Männer bleiben Kinder

Der sogenannte Hobbyraum mutierte so zur großen, weiten, grosso modo unerreichbaren Welt. Um diesem Mikrokosmos auf die Schliche zu kommen, hat Autor Ulrich Biene sich in das Universum der Modellbauten aufgemacht. In seinem reich bebilderten Erinnerungsalbum Die Welt von oben lässt er 75 Jahre Faller Revue passieren. Was die Gebrüder Faller an Zubehör und Dekor kreierten, ist unglaublich, nahezu unfassbar. Wer einmal eine Eisenbahnanlage sein Eigen nennen konnte, wird eine Reise in die Kindheit unternehmen. Allein die detailgetreuen Modelle der Autos, Busse, Bahnen sind grandios, Berufs-, Menschengruppen sowieso.

Vorstadtgartenidyllen spiegeln sich in den Fachwerkhäusern ebenso wie die kleinkarierten, patriarchalischen Gedankenwelten. Gut, dass die reale Welt sich verändert (hat). Dennoch heißt es so oft: Männer bleiben ihr Leben lang Kinder – nur Art und Größe ihrer Spielzeuge ändern sich. (Gregor Auenhammer, 11.8.2021)