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Die Taliban im Zentrum von Kundus. Die afghanische Armee konnte die Provinzhauptstadt nicht halten.

Foto: AP / Abdullah Sahil

Parallel zum Abzug der US- und der Nato-Truppen erkämpfen sich die Taliban die Kontrolle über weite Teile Afghanistans. Dabei rücken sie nicht nur in ländlichen Gebieten rasch vor, sondern nehmen auch Provinzstädte ein, die von der afghanischen Armee – teilweise mit US-Luftunterstützung – verteidigt werden.

Frage: Wer sind die Taliban eigentlich, woher kommen sie, was bedeutet der Name?

Antwort: Die afghanischen Taliban sind eine in den 1990er-Jahren entstandene Bewegung von paschtunisch-afghanischen Kriegsflüchtlingen, die in religiösen Seminaren in Pakistan ausgebildet wurden. Taliban bedeutet "Schüler, Studenten". In ihren streng puritanischen Islam mischen sich stark konservative paschtunische Stammestraditionen. Mitte der 1990er-Jahre eroberten die Taliban Afghanistan, die Hauptstadt Kabul nahmen sie im September 1996 ein. Im "Islamischen Emirat Afghanistan" fand die Terrororganisation von Osama bin Laden einen sicheren Hafen. Nach den Al-Kaida-Terroranschlägen in New York und Washington im September 2001 griffen die USA und ihre Verbündeten Afghanistan an und stürzten die Taliban.

Frage: Vor welchem Krieg waren die späteren Taliban aus Afghanistan geflüchtet, wen besiegten sie, als sie Afghanistan 1996 übernahmen?

Antwort: 1979 waren sowjetische Truppen in Afghanistan einmarschiert, 1989 zogen sie wieder ab, ohne dass es ihnen gelungen war, das Land zu befrieden. Sie wurden von islamistischen Warlords bekämpft, die über Saudi-Arabien und Pakistan auch US-Hilfe erhielten. Nach dem Abzug der Sowjets und dem Scheitern der von ihnen eingesetzten Marionettenregierung fielen diese Warlords, die oft ethnische Gruppen vertraten – Paschtunen, Usbeken, Tadschiken –, übereinander her. Deshalb wurde das Auftreten der Taliban von manchen zuerst als stabilisierend wahrgenommen.

Frage: Woher kam die militärische Stärke der Taliban?

Antwort: Die Taliban wurden vom Militärgeheimdienst Pakistans (ISI) bewaffnet und unterstützt, der Interesse daran hatte, in Afghanistan ein verbündetes Regime zu haben. Auch ideologisch haben die Taliban Verbindungen zu Pakistan: Ihre Mutterorganisation war die JUI (Jamiyat-i Ulama-i Islam, Gemeinschaft der Gelehrten des Islam). Sie wiederum hat ihre Wurzeln in der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen islamischen Erweckungsbewegung von Deoband.

Frage: Wer war der Chef der Taliban?

Antwort: Molla Mohammed Omar (gestorben 2013), der sich den Titel Amir al-Mu’minin (Beherrscher der Gläubigen) gab. Nur Pakistan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erkannten das "Islamische Emirat Afghanistan" (1996–2001) offiziell an. Das Regime war islamisch totalitär, die Vorstellung der Taliban von Scharia – unter der Frauen besonders zu leiden hatten – wurde mit brutalsten Mitteln durchgesetzt.

Mawlawi Hibatullah Akhundzada ist heute Chef der Taliban.
Foto: Der Standard

Frage: Was taten sie nach ihrer Niederlage 2001, und wer ist heute Chef der Taliban?

Antwort: Die prominenten Figuren waren im Untergrund, der "Führungsrat" (Rahbari Shura) siedelte sich im pakistanischen Quetta an. In den ersten Jahren erschien ihr Aufstand in Afghanistan aussichtslos. Ihre Rückkehr – unter den Augen von USA und Nato, die den Einsatz 2003 übernahm – lief in den vergangenen Jahren so richtig an. Ihr Führer ist heute Mawlawi Hibatullah Akhundzada. Sein Vorgänger Molla Akhtar Mohammed Mansour, der auf Molla Omar gefolgt war, wurde 2016 von den USA getötet.

Frage: Wie stark sind die Taliban, und wie finanzieren sie sich?

Antwort: Die Schätzungen gehen stark auseinander, sie liegen zwischen 58.000 und 100.000 ständigen Kämpfern. Das Geld kommt im Opiumland Afghanistan hauptsächlich vom Drogenhandel und -schmuggel. Aber die Taliban heben auch Schutzgelder und "Steuern" in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein, auch durch Entführungen wird Geld erpresst.

Foto: Der Standard

Frage: Und wie sind sie politisch organisiert?

Antwort: Die Führung besteht aus Akhundzada und drei Stellvertretern, ein jeder hat seine Zuständigkeit: Ideologie und Religion (Molla Mohammed Yacoub), Militär (Sirajuddin Haqqani) und Politik (Molla Abdulghani Baradar). Unter dieser "Präsidentschaft" steht der "Führungsrat", darunter gibt es thematische "Kommissionen", die als Art Ministerien fungieren. In den afghanischen Provinzen wurden Schattengouverneure und Militärkommandanten eingesetzt. Haqqani leitet gleichzeitig auch das afghanisch-pakistanisch grenzüberschreitende Haqqani-Netzwerk. Baradar war der Chefverhandler mit den USA.

Frage: Die Verhandlungen mit den USA: Wie ist es dazu gekommen, und was haben sie gebracht?

Antwort: Als die USA 2001 militärisch in Afghanistan eingriffen, sahen sie die Taliban als Teil von Al-Kaida, einer internationalen jihadistischen Terrororganisation. Je stärker nach fast zwei Jahrzehnten Krieg der Wunsch wurde, Afghanistan zu verlassen, umso mehr waren die USA bereit, dieses Bild zu revidieren: Demnach wären die Taliban eine nationale afghanische paschtunische Bewegung, die sich im Aufstand befindet und an der Macht beteiligt werden will. Afghanistan war militärisch nicht unter Kontrolle zu bringen, die von USA und Nato gestützte Regierung in Kabul blieb schwach und korrupt, und die Taliban wurden wieder stärker: Also ließ US-Präsident Donald Trump Verhandlungen eröffnen.

Im Februar 2020 wurde ein Vertrag unterschrieben, in dem sich die Taliban im Gegenzug zum US-Abzug dazu verpflichteten, mit der afghanischen Regierung Verhandlungen zur Machtteilung zu führen und nie wieder Terrororganisationen in Afghanistan ansiedeln zu lassen. Zumindest Punkt eins ist nun wahrscheinlich hinfällig. (FRAGE & ANTWORT: Gudrun Harrer, 10.8.2021)