Worauf warten wir eigentlich noch? Belastbare Informationen wie die Berichte des Weltklimarats unterstreichen seit 30 Jahren mit wachsender Sicherheit: Der Klimawandel ist großteils von menschlichen CO2-Emissionen verursacht. Und wir müssen diese dringend senken.

Psychologinnen und Neurowissenschafter kennen die Antwort auf diese Frage. Das Gehirn des Menschen tut sich ohne spezielle Bildung sehr schwer damit, große Zahlen, nichtlineare Trends und Statistiken zu verarbeiten. Noch dazu sorgt es – Stichwort kognitive Verzerrungen – dafür, dass wir uns selbst austricksen und unser eigenes Verhalten rechtfertigen, um so weitermachen zu können wie bisher. Denn die meisten Menschen hassen nun einmal Veränderungen der Pläne, die sie sich für die Zukunft zurechtgelegt haben, und der Routine. Vor allem, was eingefahrene Denkmuster angeht.

Das bisherige Bemühen um Klimaschutz beschwört nicht nur bei Aktivistinnen und Aktivisten ein düsteres Zukunftsszenario herauf.
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Das alles sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um die Klimakrise zu bewältigen. Wir müssen über unser Steinzeit-Ego und das zugehörige Gehirn hinauswachsen. Dazu ist der Mensch als soziales, kulturschaffendes und politisches Wesen prinzipiell in der Lage: Wir können unser Verhalten kritisch hinterfragen und uns an sich verändernde Bedingungen vorausschauend anpassen. Die große und aktuelle Frage ist nur, ob wir das auch wollen.

Gesundheits- und Wirtschaftskrisen

Denn die Befürchtung steht angesichts des aktuellen Berichts des Weltklimarats IPCC nicht grundlos im Raum: Was, wenn alles bleibt, wie es ist, und wir aufgrund der klimawandelbedingt immer schlimmer werdenden globalen und regionalen Gesundheits- und Wirtschaftskrisen sowie der Migrationsbewegungen auf Probleme zusteuern, die wir uns heute kaum ausmalen können? Jüngste politische Äußerungen, das nahezu alibihafte bisherige Bemühen um Klimaschutz und ein Populismus, der ökonomiebedingt schnellen Wandel als unmöglich abstempelt: Das alles beschwört ein düsteres Zukunftsszenario herauf. Und das mittlerweile nicht nur bei Aktivistinnen und Aktivisten, sondern bei jeder Person mit gesundem Menschenverstand.

Viele werden erst auf die immer deutlicher werdende, umfassende Klimakrise aufmerksam, wenn ihnen das Wasser wortwörtlich bis zum Hals steht. Das ist für einige im diesjährigen Sommer der Fall gewesen. Je länger wir uns Zeit lassen, umso häufiger und heftiger fallen in Zukunft die prognostizierten Extremereignisse aus. Aber selbst dann werden sich hochrangige Investorinnen und Politiker in Villen und Dachgeschoßlofts mit Klimaanlage eine Weile einen relativ unbeeinträchtigten Lebensstil leisten können. Der Großteil der Bevölkerung ihres Landes aber nicht – ganz abgesehen vom Rest der Welt.

Wir können nicht darauf warten, dass es für die Privilegierten ums nackte Überleben geht. Wir sind fähig, wissenschaftsbasierte und vorausdenkende Entscheidungen zu treffen – das wird bei Wahlen bitternötig sein. Und wir müssen die Klimakrise zur Priorität machen und Verantwortung übernehmen.

Wofür? Für nichts weniger als die Zukunft aller Bürgerinnen und Bürger, im eigenen Land und auf der Erde. Ja, insbesondere auch für jene in Ländern des globalen Südens, die die volle Härte der Erwärmung schon jetzt zu spüren bekommen. Und zu Recht vor den Toren der westlichen Welt stehen und um Hilfe und Einlass bitten. (Julia Sica, 10.8.2021)