Zur Oma rollen? Geht auch ohne Parkpickerl.

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Die Wiener ÖVP ist gegen die Ausweitung des Parkpickerls auf ganz Wien. In einer aktuellen Kampagne wird fast schon dramatisch geschildert, warum. Zum "Arzt des Vertrauens"? Geht nicht mehr. Abkühlung in der Alten Donau? "Mit dem Parkpickerl nicht mehr möglich", warnen nur zwei Motive der Social-Media-Kampagne der Wiener ÖVP. Menschen ohne Auto kommen nach Ansicht der Wiener ÖVP nicht von A nach B, was ausgerechnet in einer Großstadt mit einem funktionierenden und großen Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln und Radwegen eine skurrile Botschaft ist.

In der Kampagne tauchte auch ein Lebensbereich auf, der oft verwendet wird, um Angst vor Veränderungen zu schüren: die Familie. Ja, auch die sei durch das Parkpickerl bedroht, weil am Nachmittag die Enkel die Oma nicht mehr besuchen könnten.

Nachdem wir uns wiederum wundern, warum das bloß nicht mehr gehen sollte (Öffis?), und die Oma verzweifelt die Hände vors Gesicht hält, während eh ihre Enkelin direkt vor ihr steht, ist es wieder einmal da. Das Gegenargument Familie.

Eine alte Methode

Geht es um jegliche Neuerung, wird von konservativen und rechten Parteien weltweit die Familie bemüht. Sie muss immer dann herhalten, wenn alles beim Alten bleiben soll. Besonders gern wird sie gegen Frauenrechte und Gleichstellung zwischen Heterosexuellen und LGBTQI* ins Feld geführt. Dass nun sogar ein Parkpickerl die Familie schwächen soll, das ist zwar neu, die Methode an sich aber nicht.

Ihrer bedienen sich Autokraten wie Viktor Orbán ebenso wie rechtspopulistische Parteien wie die FPÖ und konservative Parteien wie die ÖVP. Als 2018 in Ungarn das Studienfach Gender-Studies aus den Universitäten verbannt wurde, argumentierten das Regierungsvertreter unter anderem damit, Geschlechterforschung "untergrabe die Fundamente christlicher Familie".

In Österreich hat die ÖVP erst nach einem höchstgerichtlichen Urteil die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare "akzeptiert". 2017 hatte sich die ÖVP, damals in einer Regierung mit der FPÖ, klar gegen die "Ehe für alle" positioniert. Und als 2015 das Adoptionsverbot für homosexuelle Paare vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde, musste der damalige ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner doch noch betonen, dass die ÖVP weiter die traditionelle Familie mit Vater, Mutter und Kind forcieren und fördern wolle. Die FPÖ sprach gar von einem "schwarzen Tag für die Kinder".

Die "bedrohte Familie"

Kinder waren übrigens auch Vorwand für Orbáns im Juni beschlossenes LGBTQI-Gesetz, das etwa in der Werbung verbietet, Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität darzustellen. Damit wird so ganz nebenher Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt, eine Erzählung, die auch im Rest Europas noch nicht Geschichte ist. In Österreich galt immerhin bis 1981 eine Werbeverbot mit offen homosexuellen Menschen und Inhalten.

Mag das aktuelle Beispiel von der Familie, die sich wegen einem Parkpickerl weniger sieht, noch so verquer und deshalb lediglich Anlass für Witze sein. Doch die Erzählung vom Schutz der Familie bedarf tatsächlich einiger Wachsamkeit. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Orbáns LGBTQI-Gesetz.

Die Soziologin Kristina Stöckl erzählte kürzlich in einem Gespräch über die Politik von Viktor Orbáns LGBTQI-Gesetz, dass das Argument des Schutzes der Familie aus den USA kommt. In den 1970er-Jahren gab es dort den sogenannten "Rights-Turn" in der konservativ-christlichen Politik. Und genau der habe uns die inzwischen weit verbreitet Rhetorik vom "Recht auf Schutz der Familie" gebracht – mit Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Familienzerstörerin statt Männerhass

Die Politikwissenschafterin Judith Götz sagte in einer Arte-Dokumentation ("Die heilige Familie der ÖVP"), dass der Familienbegriff etwa im Antifeminismus inzwischen eine wichtige Rolle übernommen habe. Früher wurde Feministinnen gern Männerhass unterstellt, um ihre Vorschläge zu diskreditieren, heute würde man ihnen vorwerfen, mit diversen Ideen und Maßnahmen zur Gleichstellung Familien zerstören zu wollen.

Wenn selbst ein fehlender Parkplatz schon Anlass zur Sorge ist, dass die Familienbande schwächeln, dann sollten wir sehr aufmerksam sein, was oder wem da sonst noch familienzerstörerische Kräfte unterstellt werden. (Beate Hausbichler, 11.8.2021)