Wie ein heimischer Lehrer aus den 1970er-Jahren: Erich Honecker.

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Der Bau der Berliner Mauer im August vor 60 Jahren hat die hohe Kunst des logischen Denkens um etliche Paradekunststücke bereichert. Noch heute bemühen die geschätzten Kollegen der linken Hamburger Zeitschrift Konkret zur Kennzeichnung des Bauwerks einen Ausdruck, dessen bloße Nennung bei den Genossen Ulbricht und Co im Politbüro unter Garantie für Heiterkeitsstürme gesorgt haben muss: "antifaschistischer Schutzwall".

Die Besonderheit dieser mit Tötungsfallen gespickten Anlage bestand in der gewitzten Inversion. Richten sich Wälle für gewöhnlich gegen auswärtige Aggressoren, so hielten die Genossen es mit der Befestigung ihrer Mauerkronen umgekehrt – sie boten zuvörderst den eigenen Landsleuten, den Arbeitern und Bauern, die mit Stacheldraht bekränzte Stirn. So kam es, dass ich, ein kleiner Boomer in den sonst so weltoffenen Bruno-Kreisky-Jahren, Ostdeutsche für technologisch rückständige Marsmenschen hielt. Für Klingonen. Nur dass sie nicht in Schlachtkreuzern durch die Weiten des Alls schwebten, sondern in elastischen Würfeln über Land rutschten. Immerhin besaßen ihre Autos Räder.

Hammer und Sichel

Rein optisch ähnelten Fernsehbekanntschaften wie der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker anno 1970 ff. dem Leitungspersonal unserer Pflichtschulen. Engeren Kontakt mit dem Hammer-und-Sichel-Deutschland schloss ich erst, als ich 1988, bei Freunden in Hessen, ohne Unterlass DDR-Fernsehen schauen durfte. Ich betrachtete, von Schauern der Faszination geschüttelt: verwirrend schöne Moderatorinnen in glitzernden Overalls aus Synthesekautschuk. Der Gesichtsausdruck dieser Nornen ließ auf Verstimmungen des Magens schließen. Ich beobachtete, wie greise Politbüromitglieder in Gurkenkombinaten die Fangfrische der Feldfrüchte vornübergebeugten Hauptes inspizierten. Ihre Nasen bildeten zusammen mit den Gurken ein einziges Gemenge.

Viele Jahre später lernte ich Egon Krenz, in seiner Pankower Nachbarschaft, persönlich von Angesicht kennen. Er trug unglaublich große Pantoffeln. Seine Nase schien mir angemessen. Er trank Westbier aus Flaschen und sagte: "Ich bin der Egon!" (Ronald Pohl, 11.8.2021)