Die Reiselust, die die Deutschen in den vergangenen Wochen zunehmend gepackt hat, wird in den kommenden Tagen massiv eingeschränkt. Mit 95 Prozent Zustimmung hat sich die deutsche Gewerkschaft der Lokführer (GdL) am Dienstag für einen Streik ausgesprochen, und dieser hat auch gleich noch am Dienstagabend begonnen.

Zunächst fielen ab 19 Uhr nur Güterzüge aus, seit der Nacht werden auch Personenzüge bestreikt. Die ÖBB erwartet auch Ausfälle im internationalen Zugverkehr von und nach Deutschland in Österreich: "Wegen des Lokführerstreiks kann die Deutsche Bahn internationale Züge ab den Grenzbahnhöfen nicht übernehmen", sagte ein ÖBB-Sprecher. Betroffen davon seien sowohl Tages- als auch Nachtverbindungen in Österreich von und nach Deutschland (siehe Ende des Artikels).

Ob der Arbeitskampf über Freitag hinausgeht, ließ die Gewerkschaft am Mittwochmorgen offen: "Ob wir weiter streiken und wann, entscheiden wir nicht am Freitagmorgen, wenn wir aus dem Streik rausgehen, sondern das entscheiden wir nächste Woche", sagte GDL-Chef Claus Weselsky im ZDF. An den Verhandlungstisch werde die GDL erst dann zurückkehren, wenn die Bahn ein besseres Angebot mache.

Wer trägt die Schuld?

Den Unmut vieler Reisender versucht Weselsky Richtung Deutsche Bahn zu lenken. "Diesen Arbeitskampf verantwortet das Management der Deutschen Bahn", sagte er. Dieses fülle "sich selbst die Taschen" und mute den Eisenbahnern Reallohnverluste zu.

Viele Fernzüge werden in den nächsten Tagen stehenbleiben.
Foto: Imago

Das ließ die Bahn natürlich nicht auf sich sitzen. "Es liegt alles auf dem Tisch, um zu Lösungen zu kommen", erklärte Deutsche-Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Der Streik sei eine "unnötige Eskalation auf dem Rücken der Bahnkunden".

Die Bahn reagiert mit Ersatzfahrplänen. Am Mittwoch und Donnerstag sind im Fernverkehr allerdings nur 25 Prozent der Züge im Einsatz. Priorität haben die besonders stark genutzten Verbindungen zwischen Berlin und der Rhein-Ruhr-Region und zwischen Hamburg und Frankfurt sowie die Anbindung von Flughäfen.

Kampf um Macht

Die Gewerkschaft fordert bessere Arbeitsbedingungen, Lohnerhöhungen von rund 3,2 Prozent und eine Corona-Prämie fürs laufende Jahr. Die Bahn hingegen verweist auf ein Minus während der Corona-Pandemie, weil so wenige Menschen Zug fuhren, zudem auf große Schäden in den Flutgebieten. Sie bietet eine Nulllohnrunde für 2020, 1,5 Prozent Gehalt ab 2022 und dann ein Plus von 1,7 Prozent ab dem Jahr 2023.

Es geht in diesem Konflikt aber nicht nur um höhere Gehälter und bessere Arbeitszeiten, sondern auch um einen Machtkampf zwischen den beiden Eisenbahnergewerkschaften GdL und EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft).

Während Deutsche-Bahn-Personalvorstand Martin Seiler von einer "unnötigen Eskalation auf dem Rücken der Bahnkunden" spricht, poltert GdL-Chef Claus Weselsky, das Management fülle "sich selbst die Taschen" und mute den Eisenbahnern Reallohnverluste zu.
Foto: imago/Stefan Zeitz

Die äußerst selbstbewusste GdL hat rund 37.000 Mitglieder (darunter rund 20.000 Lokführer), die wesentlich größere, aber pflegeleichtere EVG 184.000 Mitglieder. Ende 2020 ist der Grundsatztarifvertrag der Bahn mit beiden Organisationen ausgelaufen, nun will die Bahn das Tarifeinheitsgesetz aus dem Jahr 2015 anwenden.

Dieses besagt, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gilt. Sind zwei Gewerkschaften vertreten, dann wird mit der mitgliederstärkeren verhandelt. Die GdL ist mittlerweile in 71 der 300 Bahn-Betriebe vertreten, hat aber nur in 16 die Mehrheit. Weselsky, der der GdL seit 2008 vorsteht, will diese Einschränkung aber nicht akzeptieren. Er ist bereit, den Streik noch sehr viel weiter auszudehnen. (Birgit Baumann aus Berlin, APA, 11.8.2021)