Stiftungsratsmitglieder Sigrid Pilz und Lothar Lockl am Rande der Weißmann-Kür: Mit einem Deal wollen die Grünen den ÖVP-Einfluss begrenzt haben.

Foto: Heribert Corn

Der Protest hält sich mit keinen langwierigen Erklärungen auf, zu eindeutig erscheint den Urhebern die Causa. "Jetzt auch noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk!", setzt die Kritik auf Facebook an, um in einem amikal adressierten, aber schonungslosen Vorwurf zu gipfeln: "Lieber Werner Kogler! Unterwerfung ist hässlich!"

Es sind keine anonymen Poster, sondern namhafte Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die dem Vizekanzler und Grünen-Chef da ins Gewissen reden. Elfriede Jelinek, Monika Helfer, Robert Menasse, Michael Köhlmeier, Doron Rabinovici und Robert Schindel machten ihrem Ärger über die Wahl des ORF-Generaldirektors Luft – noch ehe diese überhaupt gelaufen war. Denn schon vor der Kür am Dienstag war ausgemacht, dass Favorit Roland Weißmann im Stiftungsrat nicht nur – was allein schon genügen würde – mit den der übermächtigen ÖVP zugerechneten Stimmen gewählt werde. Auch die grünen Vertreter schickten sich an, für den derzeitigen TV-Chefproducer, Vizefinanzdirektor und orf.at-Geschäftsführer zu votieren.

Komplizen der Kanzlerpartei

Einen guten Grund dafür kann der Kritiker Rabinovici schlicht nicht erkennen. Der Autor sieht in der ORF-Wahl "ein demokratiepolitisches Debakel", bei dem sich die Grünen zu Komplizen der ÖVP machten. Eigentlich sollten die Mitglieder des Stiftungsrats "nach freiem Gewissen" den kompetentesten Kandidaten für die Spitze wählen, tatsächlich aber diktierten die Parteien die Linie, äußert sich Rabinovici missbilligend. Indem die Grünen bei diesem abgekarteten Spiel mitmachten, hätten sie von vornherein die Möglichkeit hintertrieben, dass die Stiftungsräte Eigenverantwortung entwickeln und in überraschenden Koalitionen womöglich doch einem anderen Anwärter zum Durchbruch verhelfen.

Düster sieht Rabinovici die Zukunft des ORF unter türkiser Dominanz: "Ich befürchte, die ÖVP wird die Umfärbung vorantreiben und den öffentlich-rechtlichen Charakter zurückdrängen. Dass auch nur dieser Anschein entstehen konnte, ist schlimm genug. Wir fordern die Grünen auf, dazu nicht einfach Ja und Amen zu sagen."

Das tue auch niemand, hält Eva Blimlinger entgegen. Von "Unterwerfung" sei keine Rede, sagt die grüne Mediensprecherin, und Steigbügelhalter könnten ihre Parteifreunde im ORF schon aus arithmetischen Gründen nicht spielen: "Tatsache ist, dass die ÖVP im Stiftungsrat die Mehrheit hat, Weißmann allein zu wählen. Die Stimmen der grünen Stiftungsräte sind genau genommen irrelevant."

Erkaufter Einfluss

Warum dann die Einwilligung? Blimlinger bestätigt eine Vereinbarung der Stiftungsräte, die bereits kolportiert wurde: Mit der Zustimmung zu Weißmann ergebe sich die Möglichkeit, bei der Bestellung des Führungsteams, die am 16. September stattfinden wird, ein gewichtiges Wort mitzureden. Dass es den grünen Stiftungsräten zustehe, zwei von vier ORF-Direktoren – jene für Finanzen und Programm – zu nominieren, dementiert die Parlamentarierin nicht. So könne für eine "ausgewogenere Situation" gesorgt werden: "Würden die grünen Vertreter bei der Wahl Weißmanns nicht mitgehen, wäre der Einfluss der ÖVP im ORF am Ende größer."

Um eigennützige Ziele, nur eben unter grünen Vorzeichen, gehe es dabei nicht, beteuert Blimlinger: Die Stiftungsräte werden Direktorinnen und Direktoren aussuchen, die "jedenfalls für Kompetenz stehen". Damit wolle sie Weißmann aber keineswegs nachsagen, dass dieser lediglich ein ÖVP-Günstling sei und keine Qualität liefern könne, schickt sie nach. Die Anwürfe des bisherigen Generaldirektors Alexander Wrabetz im ORF-Wahlkampf seien da unglaubwürdig: "Wenn Weißmann so unfähig ist, wie Wrabetz nun tut – warum hat er unter ihm dann Karriere gemacht?"

Aus grüner Sicht ist der Titelverteidiger überdies nicht das Bollwerk gegen türkisen Einfluss, als das ihn seine Unterstützer von der SPÖ handeln: Auch in den Reihen der kleinen Regierungspartei beklagen sich manche über Kanzlerfestspiele im ORF.

Kritik aus eigenen Reihen

Aus den Reihen der Grünen tönte am Dienstagnachmittag aber auch eine kritische Stimme. "Dass Weißmann neuer ORF Generaldirektor ist, überrascht mich nicht", schrieb Viktoria Spielmann, Gemeinderätin in Wien, auf Twitter: "Überraschender ist, was in Österreich alles möglich ist & dass wir Grünen dabei zuschauen, wie sich die Demokratie (gesellschaftlicher Diskurs, Politik, Medien) in eine türkis-autoritäre Richtung entwickelt. Das ist falsch."

Der in dem Protestposting der Schriftsteller direkt angesprochene Vizekanzler Kogler wollte auf Anfrage nicht Stellung nehmen: Er lässt in ORF-Fragen lieber Lothar Lockl, grünen Vertreter im Stiftungsrat, reden. Neuland ist diese Art Debatte für die Parteispitze allerdings nicht. Immer wieder schlägt den Grünen der Vorwurf entgegen, den Mehrheitsbeschaffer für lupenreine ÖVP-Politik zu spielen – und ebenso regelmäßig verteidigen sie sich damit, Schlimmeres verhindert zu haben.

Die Hoffnung fahren gelassen

Gerade die bisherige Erfahrung lässt den Kritiker Rabinovici aber daran zweifeln, dass dies dank eines Deals mit der ÖVP im ORF gelingen könne. Schon im Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland oder das Ende des Untersuchungsausschusses hätten die Grünen ihren Spielraum nicht ausgenützt, befindet er: "Ich rechne nicht damit, dass es im ORF anders kommen wird."

Die Grünen dürften nicht zum "Beiwagerl" werden, sonst liefen sie Gefahr, "dass ihr die Klientel davon läuft", warnt Rabinovici, räumt aber eines ein: Natürlich sei es ein Stück weit ungerecht, dass sich der Protest auf Facebook allein an die Grünen richte, zumal es ja die ÖVP sei, die den ORF in ihren Einfluss zu ziehen versuche. "Doch bei den Grünen nehmen wir noch an, ein offenes Ohr zu finden", sagt er: "Bei dieser türkisen ÖVP haben wir jede Hoffnung fahren lassen." (Gerald John, 10.8.2021)