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Wien – "Besondere Monate" sieht ORF-General Alexander Wrabetz noch bis Jahresende, wenn er die Führung von Österreichs größtem Medienkonzern an Roland Weißmann übergeben muss, den der Stiftungsrat am Dienstag bestellt hat. Er besteht auch nach seiner Niederlage im Stiftungsrat darauf, dass er noch bei GIS, Gesetz und Newsroom entscheidet.

"Ich trage die alleinige Verantwortung gemäß ORF-Gesetz, was in den nächsten Monaten geschieht", sagte Wrabetz nach der Abstimmung. "Ich werde daher sehr wichtige Projekte vorantreiben, weil wir keine Zeit haben, Unterbrüche zu machen, bis jeder seinen Platz gefunden hat." Wrabetz nannte als Beispiele den Newsroom, eine Aufstellung der Programme für konjunkturell schwächere Zeiten und eine Gesetzesänderung für digitale Möglichkeiten.

Politische "Erwartung in neue Führung besonders groß"

"Es ist bekannt, dass weder der kommende Generaldirektor noch die Direktoren Erfahrung in der Geschäftsführung haben", sagte Wrabetz. Und Weißmann starte nach der vor allem von der ÖVP betriebenen und entschiedenen Besetzung "mit einem großen Korb an negativen Vorschusslorbeeren, weil so eindeutig klar ist, wie dieser Bestellungsprozess gelaufen ist". Deshalb sei "die Erwartungshaltung an die neue Geschäftsführung besonders groß".

Wrabetz will nun schauen, dass diese Erwartungen "nicht in dem Ausmaß" erfüllt würden, "wie es sich so mancher vielleicht erwartet": Er wolle den "Kollegen Weißmann ein bisschen unterstützen im Vorfeld" der Übergabe. Damit "er sich leichter tut, um Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, nicht zu erfüllen".

Wen hätte Wrabetz gerne in der künftigen Newsroom-Führung? Armin Wolf sei in der "ZiB"-Chefredaktion schon für Digital/Social Media zuständig, er wäre Wrabetz' Wunschkandidat als Digitalchefredakteur im Newsroom. Als weitere mögliche Kandidaten nannte Wrabetz ORF-2-Chefredakteur Matthias Schrom für eine TV/Audio-Chefredaktion und Gabi Waldner, Vize-Chefredakteurin im Radio, für Audio/Radio.

Roland Weißmann und Stiftungsratschef Norbert Steger (FPÖ) sehen das deutlich anders – sie erwarten, dass Wrabetz nun wesentliche Entscheidungen mit Weißmann abstimmt.

Beschlussantrag für Zusammenarbeit zurückgezogen

Gleich auf Weißmanns großen Sieg folgte eine kleine Niederlage: Kaum war dieser zum neuen ORF-Chef bestellt, da wollten die türkise Mehrheit im Stiftungsrat und dessen Vorsitzender Steger Wrabetz zum "Einvernehmen" mit dem neu bestellten ORF-Chef bringen, bis der die Führung übernimmt.

Denn es stehen fundamentale Entscheidungen im ORF noch diesen Herbst an: Wrabetz will die Führung des künftig gemeinsamen Newsrooms für TV, Radio und Online sowie die Ressortleitungen noch selbst ausschreiben und bestellen. Weißmann will den Newsroom erst beziehen und dann bestellen – wenn er im Amt ist. Und es steht im Herbst ein Antrag auf Gebührenerhöhung an – da geht es um die Finanzierung des ORF in den nächsten Jahren. Mit 650 Millionen Euro macht die GIS schon heute zwei Drittel der ORF-Einnahmen aus.

Vorsitzender Steger legte also einen Antrag vor, den er mit der türkisen Mehrheit im Stiftungsrat vorbereitet hatte. Der Stiftungsrat sollte den amtierenden ORF-Chef Wrabetz "ersuchen", "relevante Verfügungen, die über das Tagesgeschäft hinausgehen, (...) nur mehr im Einvernehmen" mit dem neu bestellten Weißmann zu treffen.

Schlag nach bei Wrabetz

Das war nicht ganz neu: Als der Sozialdemokrat Wrabetz im Sommer 2006 zum ORF-General bestellt wurde und die unterlegene ÖVP-Kandidatin Monika Lindner noch bis Jahresende bestellt war, gaben ihnen die Stiftungsräte eine ähnliche Aufforderung mit in die gemeinsamen Monate. Wrabetz und Lindner stritten dennoch munter etwa über einen "Sommergespräch"-Termin von Wrabetz’ entscheidendem Wahlhelfer, dem damaligen BZÖ-Chef Peter Westenthaler. Wrabetz wollte den Termin auf Westenthalers Wunsch verschieben, Lindner lehnte das mit Weisung ab.

Stegers Antrag wurde zurückgezogen – offenbar nach kritischen Stimmen aus dem Stiftungsrat. Die Kritik, grob nachgezeichnet: Mit dem Antrag würde die alleinige Haftung des amtierenden Geschäftsführers mit einer Haftung des nächsten Geschäftsführers überkreuzt.

"Protokollanmerkung"

Also wurde daraus laut Steger eine "Protokollanmerkung", dass Wrabetz zusichere, er werde alle wesentlichen Entscheidungen, etwa in Sachen GIS oder neues ORF-Gesetz, mit dem künftigen General treffen und abstimmen. Steger betonte, eine solche Protokollierung habe "juristische Auswirkungen". Wrabetz habe ihm versichert, er werde ihn bei wesentlichen Punkten einbeziehen, sagte Weißmann. Bei der von Wrabetz geplanten Besetzung des Newsrooms sieht Weißmann "keine Front" gegenüber Wrabetz. Wie bisher werde man abgestimmt vorgehen, sagt der neu bestellte General.

Und was passiert, wenn sich Wrabetz und Weißmann nicht einigen? "Wir werden die wesentlichen Fragen ausdiskutieren wie in den vergangenen Jahren." Man werde sich "auf Augenhöhe" einigen.

Steger geht davon aus, dass Wrabetz im Interesse des Unternehmens handeln werde, und rechne nicht mit "kleinen Streitereien" mit Weißmann.

Die drei Stiftungsräte der Grünen – Lothar Lockl, Andrea Danmayr und Sigrid Pilz – haben Weißmann mit der geschlossenen türkisen Mehrheitsfraktion unterstützt. Sie dürften dafür wesentlich bei zwei von vier Direktorenjobs für den ORF mitreden – kolportiert werden Ö3-Chef Georg Spatt als Direktor für Programm und Eva Schindlauer als Direktorin für Finanzen.

Der neu bestellte Weißmann schlägt die Direktoren dem Stiftungsrat vor. Das ORF-Organ bestellt die Direktoren am 16. September mit einfacher Mehrheit. Zusammen mit Steger und vier den Türkisen nicht ganz fernstehenden Unabhängigen kam Weißmann auf die Zweidrittelmehrheit.

Zweidrittelmehrheit im ORF-Gremium war bis 2001 für die Bestellung eines Generals in geheimer Abstimmung nötig. 2001 führte die Regierung von ÖVP und FPÖ die offene Abstimmung mit einfacher Mehrheit ein.

ORF-1-Managerin Lisa Totzauer erhielt fünf Stimmen im Stiftungsrat – von drei der vier freiheitlichen Mandate, die Stimme der Neos und die der unabhängigen Betriebsrätin Christiana Jankovics.

In der ZiB2 verteidigte Weißmann seine Bestellung: Er sei nie der "Kandidat einer Partei" gewesen. Er habe schon Monate vor der Wahl Gespräche mit verschiedenen Stiftungsräten geführt. . Dass er den Grünen für deren Unterstützung Zusagen für zwei Direktorenposten gegeben habe, verwies er ins Reich der Spekulationen: "Von mir nicht."

ORF

Er werde sich dafür einsetzen, dass Beiträge in der ORF-TVthek länger als sieben Tage verfügbar sind, erwäge aber auch, dafür Geld zu verlangen.

Gratulant Grasl

Für Wrabetz stimmten fünf rote Stiftungsräte sowie der Vertreter des SPÖ-regierten Kärnten.

Der nach 15 Jahren und drei Amtszeiten scheidende Wrabetz hielt im Stiftungsrat eine emotionale Rede. Schon am Vorabend im Hearing auf ORF 3 ging er davon aus, dass er nicht verlängert wird.

Als einer der Ersten gratulierte auf Twitter Richard Grasl "Roli" Weißmann zur Bestellung. Weißmann war über viele Jahre engster Mitarbeiter Grasls im ORF, bis der damalige Finanzdirektor 2016 bei der Generalswahl Wrabetz unterlag. Grasl ist heute Vize-Chefredakteur im "Kurier" und weiter sehr interessiert an den Vorgängen im ORF. Eine Rückkehr auf den Küniglberg hat Grasl auf Anfrage mehrfach ausgeschlossen.

Wie es im ORF weitergeht: Der große Umbau nach der Generalswahl

Der ORF steht vor zwei fundamentalen Veränderungen, und die können erklären, warum die ÖVP einen Vertrauensmann an der Spitze des Küniglbergs wollte.

  • Eine große ORF-Information: 2022 sollen die bisher getrennten ORF-Redaktionen von TV, Radio und Online in einen gemeinsamen Newsroom ziehen – und eine neue Struktur, eine neue Führung und einen zentralen Newsdesk bekommen, über den alle aktuellen News für die ORF-Medien laufen sollen. Eine Schaltstelle für die Information des Landes. Der amtierende ORF-Chef Wrabetz will Führung und Ressortchefs noch selbst besetzen, Weißmann erst nach seinem Dienstantritt Anfang 2022. Der Stiftungsrat forderte sie am Dienstag auf, bis Jahresende zusammenzuarbeiten.
  • 600 Jobs nachzubesetzen: In den nächsten fünf Jahren werden rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF in Pension gehen – von 3.000 im ORF (weitere 1.000 arbeiten in den Tochterfirmen). Der ORF-General hat die Personalhoheit zur Nachbesetzung. Darin könnten türkise Hoffnungen auf einen grundlegenderen Umbau des ORF liegen.
  • Entscheidende Strukturen: Weißmann widmet im Bewerbungskonzept viel Raum der Kritik an verschleppten Entscheidungen, unklaren Strukturen sowie Doppelgleisigkeiten. Er verspricht schnellere Entscheidungen, eine Führung im Team mit klarer Verantwortung.
  • Direktoren zur Wahl: Weißmann schlägt bis zu vier Direktoren und Direktorinnen sowie Landesdirektoren vor, mehr Frauen als bisher zwei sind versprochen. Weißmann hat Direktoren wie bisher für Programm, Radio, Finanzen, Technik angekündigt. Die Grünen wollen Ö3-Chef Spatt für Programm und Eva Schindlauer (ORF 3) für Finanzen, weitere Kandidaten sind noch unbekannt. Der Stiftungsrat bestellt die Direktoren am 16. September.

Was das Publikum erwartet: Streaming und GIS-Gebühr

Eine der ersten Veränderungen im ORF dürfte das Publikum im Börserl spüren, mehr zu sehen bekommt es schon im September.

  • GIS-Erhöhung steht an: Im Herbst muss der ORF nach fünf Jahren wieder einen Gebührenantrag stellen, üblicherweise auf Erhöhung. Den Antrag stellt noch der amtierende ORF-Generaldirektor. Wirksam wird die Erhöhung voraussichtlich im Frühjahr. Derzeit kostet die GIS etwa in Wien 26,33 Euro pro Monat; fünf Prozent wären beispielsweise rund 1,32 Euro mehr.
  • Gebühr für Streaming: Derzeit ist nur für ein empfangsbereites Rundfunkgerät GIS zu zahlen, Streaming ist gebührenfrei. Der ORF fordert schon lange GIS für Streaming, dafür braucht es eine Gesetzesänderung.
  • ORF-Streamingplattform: Der ORF arbeitet schon lange an einer Streamingplattform, Arbeitstitel ORF-Player, heißen soll sie voraussichtlich "ORF On". Im September soll ein erster Info-Teil dieses Players starten. Einen Sportkanal hat die Medienbehörde nach geltendem Gesetz gerade abgelehnt. Der Player ist ein zentrales Projekt in den Bewerbungen, auch von Weißmann. Der ORF will allein fürs Web – also den Player oder Social Media – produzieren dürfen. Auch dafür braucht er ein neues Gesetz. Für September ist noch eine "ZiB Tiktok" angekündigt, noch von Wrabetz initiiert.
  • Schärfere Programme: Im Programm hat auch Weißmann eine klarere Positionierung der TV- und Radiokanäle angekündigt. ORF 1 soll etwas älter werden, sich aber weiter österreichischem Infotainment, Fiction und Premiumsport widmen. FM4 soll etwas breiter werden. Und ORF 3 soll sich klarer seines Kernauftrages Kultur und Info besinnen.
  • Mehr aus den Ländern: Weißmanns Konzept verspricht mehr Budgets und mehr Sendezeit für die Landesstudios, auch mehr regionale Digitalaktivitäten.