Muss wieder vermehrt getestet werden? Will man genaue Zahlen zu Impfdurchbrüchen, ist das wohl die beste Strategie.

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Die Corona-Impfungen schützen effektiv vor schweren Verläufen und Todesfällen – das zeigen Daten aus Großbritannien, Israel und Kanada. Wie gut sie auch vor Infektionen schützen, ist noch nicht abschließend geklärt. Zu Beginn ließen Studien noch vermuten, dass vor allem mRNA-Impfstoffe – wie jene von Biontech/Pfizer und Moderna – eine hohe Schutzwirkung sowohl vor Infektionen als auch vor einer Weitergabe des Virus haben. Mit Delta hat sich das aber geändert.

Das Problem: Die Durchbruchsinfektionen werden von Impfzögerern oft als Argument genutzt: Wenn ich mich trotzdem anstecken kann, warum soll ich mich dann überhaupt impfen lassen? Allerdings reduziert die Impfung die Ansteckungsgefahr deutlich und bietet vor allem einen sehr guten Schutz vor schwerem Krankheitsverlauf, das zeigen internationale Daten konsequent. Alle Fragen im Überblick.

Frage: Was ist ein Impfdurchbruch?

Antwort: Ein sogenannter Impfdurchbruch liegt vor, wenn jemand sich trotz vollständiger Immunisierung mit Sars-CoV-2 ansteckt und auch Symptome wie Fieber, Husten, Kurzatmigkeit oder Geruchs- und Geschmacksverlust entwickelt. Vollimmunisierte, also doppelt geimpfte Menschen erkranken deutlich seltener, die Infektionszahlen in dieser Gruppe steigen aber. An sich kommt das aber nicht unerwartet, denn keine Impfung bietet hundertprozentigen Schutz.

Frage: Wie häufig sind Infektionen unter Geimpften?

Antwort: Seit Jahresbeginn haben 1.656 Personen in Österreich trotz des Impfschutzes Symptome aufgrund einer Sars-CoV-2-Infektion entwickelt, wie Zahlen der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) zeigen (Stand 3.8.2021). 1.560 Personen erkrankten symptomatisch nach zweifacher Impfung mit den Vakzinen von Biontech/Pfizer, Moderna und Astra Zeneca, 96 Infektionen geschahen nach der einmaligen Impfung mit dem Vakzin von Johnson & Johnson.

Wie viele Menschen ins Krankenhaus mussten bzw. an einer Infektion sogar verstorben sind, hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) mit Stand 23. Juli zuletzt erfasst: "16 Personen sind verstorben (15 Biontech/Pfizer und 1 Moderna), drei Fälle wurden als lebensbedrohlich eingestuft, und bei 20 weiteren Patientinnen und Patienten wurde ein Krankenhausaufenthalt gemeldet", heißt es im entsprechenden Bericht.

Keine österreichweiten Daten gibt es dazu, wie viele Menschen mit Impfdurchbruch aktuell hospitalisiert sind. Auf STANDARD-Nachfrage liefert der Wiener Gesundheitsverbund, der mit acht großen Kliniken mehr als drei Viertel der Spitalsversorgungsleistungen in Wien erbringt, Zahlen: In den acht Wiener Häusern waren mit Stand Dienstag, 11 Uhr, 30 Menschen mit Covid-19 stationär aufgenommen, vier davon befanden sich auf der Intensivstation. Von diesen 30 sind zwei Personen vollständig geimpft, alle anderen sind ungeimpft. Die beiden geimpften Personen befinden sich auf der Normalstation, eine ist immunssupprimiert, eine hat Vorerkrankungen.

Diese 1.656 Impfdurchbrüche machen rund 0,6 Prozent der 266.411 gesamten Infektionen im Jahr 2021 aus. Die Ages beruft sich bei den aktuellen Angaben auf Zahlen aus dem Epidemiemeldesystem und auf Impfdaten. Wobei hier anzumerken ist, dass von den Gesamtinfizierten viele Menschen gar keine Symptome entwickelten, bei den Impfdurchbrüchen aber nur die Fälle mit Symptomen gerechnet werden. Flächendeckende Tests gibt es für diese Gruppe nicht. Das lässt den Schluss zu, dass die tatsächliche Zahl der Impfdurchbrüche deutlich höher ist.

Die Durchbruchsinfektionen steigen außerdem auch im Verhältnis an, zu Jahresbeginn bzw. in den ersten Monaten waren die Impfzahlen ja noch deutlich niedriger. Mit steigenden Impfzahlen steigen natürlich auch die Durchbruchsinfektionen. Für den Juli zeigen die Zahlen der Ages, dass fast jede elfte erkannte Erkrankung auf vollständig Geimpfte entfiel (738 von 8.584) und fast jede sechste auf zumindest Teilimmunisierte (1.368 von 8.584).

Frage: Welche Rolle spielt die Delta-Variante bei den Impfdurchbrüchen?

Antwort: Tatsächlich haben sich zuletzt die Nachrichten vermehrt, dass die Impfung mit der fortschreitenden Ausbreitung der Delta-Variante immer weniger effektiv ist. Neueste Daten aus Kanada zeigen, dass sie bei der Delta-Variante nur noch zu 85 Prozent vor Ansteckung schützt. Daten aus dem israelischen Gesundheitsministerium legen sogar nur noch einen Schutz von 40 Prozent bei jenen Menschen, die bereits im Jänner oder Februar vollständig geimpft waren, nahe. Diese Zahlen geben vielen Menschen Anlass zur Sorge. Doch die Daten zeigen auch: Die Impfung schützt sehr zuverlässig vor schweren Verläufen.

Der Grund für diese vielen Impfdurchbrüche dürfte sein, dass die Virenlast im Rachenraum bei Delta bis zu tausendmal höher ist als bei allen anderen Varianten, wie eine chinesische Studie am Guangdong Provincial Center for Disease Control, die kürzlich als Preprint veröffentlicht wurde, gezeigt hat.

Und wenn es um die Verhinderung von schweren Erkrankungen geht, sind die Impfstoffe weiterhin wirksam. Die Effektivität gegen Hospitalisierung nach einer Infektion mit Delta liegt britischen Daten zufolge bei 96 (Biontech/Pfizer) bzw. 92 Prozent (Astra Zeneca). Auswertungen der kanadischen Gesundheitsbehörden bestätigen die Ergebnisse. Israelische Daten zeigen 91 Prozent Schutzwirkung. Und auch die österreichischen Daten reihen sich da ein. Laut Ages schützt die volle Impfung, verteilt über alle Vakzine, zu 91 Prozent vor einem schweren Verlauf.

Frage: Wer ist von Impfdurchbrüchen betroffen?

Antwort: Die Datenlage aus Israel zeigt, dass es vor allem die ältere Bevölkerungsgruppe ist, bei der Impfdurchbrüche auftreten. Das liege daran, dass Ältere nach einer Impfung ohnehin eine etwas schwächere Immunantwort haben, sagen die Expertinnen und Experten. Vermutlich sind solche Impfdurchbrüche die Folge einer verminderten Immunreaktion mit niedrigeren Antikörpertitern.

In der Auswertung wurden mehrere Gemeinsamkeiten zwischen den Patientinnen und Patienten und jenen Risikogruppen festgestellt, die auch ohne Impfschutz ein hohes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben: Unter den Betroffenen waren überwiegend ältere Männer – das mittlere Alter der Kohorte betrug 71 Jahre – und Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen. Jene mit einer schweren Durchbruchsinfektion litten sogar etwas häufiger an Vorerkrankungen als Menschen, die ohne Impfung schwer an Covid-19 erkrankten.

"Wir haben schon früh beobachtet, dass diese Personengruppe verminderte Antikörper und T-Zellen gebildet hat", bestätigt Leif Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung an der Berliner Charité, die israelischen Zahlen in einem virtuellen Pressegespräch. "Zudem wurden sie als Erste geimpft, und der Impfschutz lässt nun langsam wieder nach." Sander hält die Auffrischimpfungen für Ältere deshalb auch "für sinnvoll".

Frage: Wie infektiös sind Menschen, die trotz vollständiger Impfung erkrankt sind?

Antwort: Hier sind die Daten noch nicht ganz klar. Studien aus den USA und Singapur zeigen, dass die Virenlast bei Erkrankten nach Impfdurchbruch gleich hoch ist wie bei Ungeimpften, jedoch sinkt die Virenlast im Verlauf der Infektion bei Geimpften schneller ab.

Neue Erkenntnisse dazu liefert die React-1-Studie des Imperial College in London, die den Schutz vor Infektion in Geimpften und Ungeimpften untersucht hat. "Vollständig Geimpfte haben ein 50 bis 60 Prozent niedrigeres Infektionsrisiko als Ungeimpfte, und bei Geimpften, die sich infiziert hatten, war die Viruskonzentration bis zu zehnfach niedriger als bei Ungeimpften", erklärt Judith Aberle, Virologin an der Med-Uni Wien.

"Die Daten zeigen außerdem, dass die Antikörper bei Geimpften im Fall einer Infektion innerhalb weniger Tage ansteigen, dadurch können vorhandene Viren schneller eliminiert werden", sagt Aberle. "In welchem Ausmaß vollständig Geimpfte das Virus noch übertragen, kann man aus den CT-Werten nicht schließen. Dazu muss man die epidemiologischen Daten abwarten."

Frage: Wie kann es überhaupt zu Impfdurchbrüchen kommen?

Antwort: Sars-CoV-2 vermehrt sich in der Schleimhaut der oberen Atemwege und kann von dort direkt weitergegeben werden, erklärt Impfstoffexperte Sander. "Da ist es schwierig für das Immunsystem, eine Infektion komplett zu unterbinden." Kurz nach der Impfung scheint das noch sehr gut zu funktionieren.

Da die Impfung bei vielen Menschen aber schon einige Monate zurückliegt, kommt es zu einer Rückbildung der Immunantwort – was an sich normal und auch von anderen Impfungen bekannt ist, wie Christine Dahlke, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klinische Infektionsimmunologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erklärt. "Das, was wir jetzt sehen, ist normal und auch ein normaler immunologischer Vorgang, den wir auch bei Kinderimpfungen beobachten können."

Die Frage, wie lange die Schutzwirkung der Impfung bei den jeweiligen Personengruppen anhalten wird, können Wissenschafterinnen und Wissenschafter derzeit aber noch nicht beantworten. "Ich gehe aus Erfahrungen mit anderen Impfstoffen davon aus, dass wir boosten werden müssen. Zwar nicht alle sechs Monate, aber doch", lautet Sanders Einschätzung.

Genau das passiert jetzt in Israel aufgrund der hohen Zahl an Neuinfektionen. Menschen ab 60, die zur Risikogruppe gehören oder eine schwache Immunantwort haben, erhalten bereits den dritten Stich. Damit hofft man unter anderem einen weiteren Lockdown verhindern zu können.

Frage: Welche Gefahr geht von Impfdurchbrüchen aus?

Antwort: Aktuell sorgt ein "Superspreading-Event" in Massachusetts für mediale Aufmerksamkeit und große Beunruhigung. Auch die US-amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC zeigt sich darüber besorgt. Konkret handelte es sich dabei um eine Großveranstaltung von 4. bis 17. Juli, die vorwiegend in Innenräumen stattfand, es gab keine Hygienemaßnahmen. 469 Teilnehmer hatten sich infiziert, 346 davon (74 Prozent) waren bereits vollständig immunisiert.

Von diesen wiederum hatten 274 (79 Prozent) auch Symptome wie Husten, Kopfschmerzen, Halsweh oder Fieber. Vier mussten ins Krankenhaus, das sind 1,2 Prozent, Todesfall wurde keiner berichtet. Wie mittels PCR-Testverfahren festgestellt wurde, wies der Großteil der Betroffenen eine ähnlich hohe Viruslast auf wie Ungeimpfte.

Die Konsequenz: Die CDC empfehlen das Maskentragen in Innenräumen auch für Geimpfte, in zahlreichen Staaten wurde diese Regel in Innenräumen oder an Orten mit erhöhter Übertragungswahrscheinlichkeit wieder verpflichtend eingeführt. Die Behörde betont in einem Report außerdem, dass die Daten mit Vorsicht zu genießen sind, da nicht alle wissenschaftlichen Kriterien erfüllt wurden. Und sie bestätigt auch, dass die Impfung vor schweren Verläufen gut schützt.

Frage: Island verzeichnet derzeit enorm viele Neuinfektionen, trotz hoher Impfquote. Was bedeuten diese Zahlen?

Antwort: 93 Prozent Durchimpfungsrate liest man derzeit über Island, und trotzdem gibt es mehr Neuinfektionen als jemals zuvor. Diese Zahlen setzt der deutsche Immunologe Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund in einem Twitter-Thread in Relation: "93 Prozent Geimpfte klingt extrem viele, aber das bezieht sich nur auf die Bevölkerung über 16. Auf die gesamte Population bezogen sind etwa 70 Prozent voll geimpft."

Aktuell stecken sich vorwiegend die 18- bis 29-Jährigen an, die Daten zeigen, dass die ältere Bevölkerung sehr gut geschützt ist. Aber man muss die Zahlen richtig lesen, erklärt Watzl: "Bezogen auf den Impfstatus stecken sich auch in Island deutlich mehr Ungeimpfte als Geimpfte an. Die hohen Zahlen unter Geimpften entstehen auch dadurch, dass sie in Island genauso getestet werden wie die Ungeimpften." Es ist also auch dort so, dass sich vermehrt Junge und Ungeimpfte anstecken, dadurch ist die Zahl der Hospitalisierungen niedrig.

Watzl betont aber: "Man kann nicht darauf hoffen, sich mit Impfung nicht zu infizieren. Auch bei hoher Impfquote laufen die Infektionen weiter. Man kann sich als Ungeimpfter nicht auf Herdenimmunität verlassen, da diese aufgrund von Delta aktuell nicht erreichbar ist." (Pia Kruckenhauser, Julia Palmai, 11.8.2021)