Zeit ist im Marvel Cinematic Universe (MCU) allerspätestens seit Loki ja so eine Sache. Paralleldimensionen, Zeitsprünge, alternative Realitäten – wie auch immer man es nennen und benennen mag, die Zeit zu manipulieren, ist nun einmal einfach ein gutes Mittel, um frischen Wind in vielleicht etwas abgestandene Charaktere und Geschichten zu bringen. Also, dachte man sich wohl im MCU, warum dieses Stilmittel nicht auf einfach alles anwenden?

Wie cool ist der klassische Captain-America-Schild bitte mit dem Union Jack darauf?
Foto: Marvel Studios 2021

Schwuppdiwupps, schon ist What If...? da. Und für die erste Folge setzen die Macher auch dort an, wo, zumindest im MCU, alles angefangen hat. Nämlich beim First Avenger, Captain America. Die Prämisse ist klar. Steve Rogers soll zum Super-Soldaten gemacht werden, um das Ruder im Zweiten Weltkrieg rumzureißen. Nun die Veränderung: Peggy Carter verlässt in der alternativen Zeitlinie nicht den Raum und Steve Rogers wird vom Attentäter schwer verletzt. Also schwingt sich die Agentin selber in die Kapsel und wird stattdessen zum Captain America, besser gesagt, zur Captain Carter.

In Hitlers Kopf

Das kommt natürlich bei den Befehlshabern nicht gut. Was? Eine Frau? Als Supersoldatin? Was soll das bringen? Oder besser ausgedrückt: "Women aren’t soldiers, and they sure as hell don’t fight on the front lines."

Das widerlegt Captain Carter bereits in der nächsten Szene, in der sie in bester Captain-America-Manier einen Boxsack mit dem linken Haken in die Ecke befördert und danach ein Gewicht als Schild benutzt und dieses in der Wand versenkt: "If only I was allowed to do that to Hitler’s head."

Steve Rogers, der gutmenschigste Gutmensch aller Zeiten, findet diese Verschiebung der Ereignisse natürlich nicht weiter schlimm, sah er sich selbst doch eh nie wirklich in dieser Rolle. Wir wollen nicht alles verraten, aber der immer noch schmächtige Rogers bekommt auch noch seinen Auftritt.

Bucky Barnes (2. v. l.) kommt mit seiner Truppe übrigens auch wieder vor.
Foto: Marvel Studios 2021

Captain Carter darf natürlich noch in den Einsatz, unter anderem dank der Hilfe von Howard Stark (fantastisch übrigens, dass man mehr vom schlagfertigen Arroganzgenie sieht), der kurzerhand Peggys Kostüm ein paar Upgrades verleiht und sie damit ein paar Nazi-Ärsche treten kann. Und eines muss noch gesagt werden: Wie cool ist der klassische Captain-America-Schild bitte mit dem Union Jack darauf?

Das alles ist in einem fantastischen Stil gehalten. Zeichentrick trifft hier auf aufwendige Animationsarbeit. Die Figuren sind ihren Originalschauspielern nachempfunden und die Actionszenen sind so rasant, gleichzeitig aber auch überschaubar geschnitten, dass man sofort merkt: Die hätte es in einer Live-Action-Verfilmung niemals so gegeben. Und das Writing überzeugt mit einer guten Portion Witz, der zum Comic-Stil passt. Hie und da wird es auch etwas quatschig, aber alles in einem annehmbaren Rahmen. Alle Originalsprecher hat man leider nicht bekommen, weswegen die, die doch anwesend sind, für angenehme Überraschungen sorgen.

Supersoldat auf Amok?

Und wo wir schon bei etwas Kritik sind. Das Konzept scheint klar: eine Heldenstory mit einer anderen Heldenstory auszutauschen. Das funktioniert gut, macht Spaß und lässt, vor allem aufgrund des Trailers, Fans hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass etwas Potenzial verlorengeht. Nur als Beispiel aus der ersten Folge: Wie interessant wäre es gewesen, eine Captain Carter zu sehen, die ja im Gegensatz zu Steve Rogers nicht dafür ausgesucht wurde und deswegen zu irgendeinem Zeitpunkt ihre Macht missbraucht? Was macht man mit einem Supersoldaten, der den Zweiten Weltkrieg beenden sollte, aber stattdessen Amok läuft? Spoiler-Warnung: Das passiert nicht, zumindest sehen wir davon nichts.

The Watcher überschaut alles.
Foto: Marvel Studios 2021

Diese wirklich tiefgehenden Fragen könnten vielleicht etwas zu viel verlangt sein. What If...? ist, zumindest was die Anfänge angeht, eine kurzweilige (Folgenlänge: rund 30 Minuten) Spin-off-Serie, die vor allem für große Fans des MCU sehr viel an Service für ihresgleichen bietet. Auch wenn man sich manchmal gern über das vielleicht etwas einfache Stilmittel der alternativen Zeitlinien lustig macht – in dem Fall ist es ein guter Griff ins große Trickbuch der Autoren. (Thorben Pollerhof, 12.8.2021)

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