ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann wurde am Dienstag zum neuen ORF-Generaldirektor gewählt.

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Wien – Die ORF-Generaldirektorenwahl ist geschlagen. ORF-Vizefinanzdirektor Roland Weißmann hat sich dank türkis-grüner Unterstützung mit einer Zweidrittelmehrheit durchgesetzt. Im Folgenden ausgewählte nationale und internationale Pressestimmen zur Bestellung am Dienstag.

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Kommentar im STANDARD:

"Diese türkise ÖVP des Sebastian Kurz hatte seit Regierungsantritt der Grünen, seit der gemeinsamen Besetzung der Regierungsmandate im ORF-Stiftungsrat die alleinige Mehrheit. Und sie hat sie genutzt, um einen schon seit den existenziellen Angriffen von ÖVP und FPÖ ab 2017 sehr entgegenkommenden, aber vielfach anpassungsfähigen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz durch einen eigenen Kandidaten zu ersetzen. (...) Ab 1. Jänner 2022 muss Roland Weißmann zeigen, wie ernst er es mit der vielfach beschworenen Unabhängigkeit nimmt. Er und der ORF werden unter besonderer Beobachtung stehen."

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Kommentar in der "Kronen Zeitung":

"Die Macht hätten sie alle gerne. Und wenn sich eine Möglichkeit bietet – dann nützen sie alle Parteien kraftvoll, auch die Grünen. (...) Nur weil ein Generaldirektor von der regierenden Partei protegiert wird, muss er noch lange nicht unfähig sein. Roland Weißmann sagt man viele Fähigkeiten nach. Man wird genau beobachten: Hält er sich ans Kanzleramt? Oder ans ORF-Gesetz, in dem es heißt: 'Der Generaldirektor ist an keinerlei Weisungen und Aufträge gebunden.' Tut er Letzteres – dann wird er den Misstrauensvorschuss ausräumen können."

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Leitartikel im "Kurier":

"Die türkisgrüne Bundesregierung hat also nach 15 Jahren einen neuen ORF-Chef bestellt. Die einen nennen das einen 'politischen Durchmarsch der ÖVP'. Die anderen kontern, die SPÖ solle sich nicht aufpuddeln, sie habe als Kanzlerpartei auch nicht anders agiert. Beide haben recht. Leider. Der ORF war immer ein parteipolitisches Schlachtfeld, diverse Reformen waren diesbezüglich nie mehr als Schminke. (...) Weil die Grünen schwächer als einst die SPÖ sind, räumt die ÖVP mehr ab. Diese Art von Proporz ist übel, aber keine 'Orbanisierung'."

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Leitartikel in der "Presse":

"Dass der Vize-Finanzdirektor des ORF ab 2022 das Unternehmen leiten würde, war ausgemachte Sache. Dass die ÖVP die Gelegenheit nützt, ihren Kandidaten an die Macht zu bringen, ist logische Konsequenz der Möglichkeiten, die das ORF-Gesetz in Sachen Einfluss auf den ORF-Stiftungsrat einräumt. Es ist höchst an der Zeit, die geltenden Regelungen zu erneuern – am besten im Zuge einer möglichst breiten öffentlichen Debatte. Denn der ORF gehört allen Gebührenzahlern, nicht den politischen Parteien. Eine 'Wahl' wie diese sollte es nicht mehr geben."

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Leitartikel in den "Salzburger Nachrichten":

"Dass sich sämtliche Räte, die einer der Regierungsparteien zumindest nahestehen, für denselben Kandidaten entscheiden haben, ist wohl Beleg dafür, dass es politische Absprachen gegeben hat. Oder wie wahrscheinlich ist es, dass just diese Stiftungsräte dasselbe Konzept für das Beste befunden haben? (...) In einem der Hearings vor der Wahl hat Roland Weißmann postuliert, einen Kulturwandel bewirken zu wollen. Das muss ihm gelingen. Denn nur so kann der ORF beweisen, dass das Konzept eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks 2021 noch zeitgemäß ist."

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Leitartikel in der "Kleinen Zeitung":

"Weißmann startet nicht aus einer Position der Stärke, die Öffentlichkeit ahnt ihn an einem Gängelband, dessen Ende Kanzler Sebastian Kurz oder dessen mächtiges Mediensprachrohr Gerald Fleischmann ziehen. Der künftige ORF-Chef muss beweisen, dass er seine Wahl nicht abzahlen muss. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, dann wird die 'Tiroler Tageszeitung' recht behalten, die ihn als 'Thomas Schmid des ORF' vorverurteilt hat. Gelingt ihm der Beweis, kann Weißmann einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk absichern."

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Kommentar in "Österreich":

"Noch nie stand ein ORF-Generaldirektor bereits vor seinem Start derart unter Beobachtung. Jede Weißmann-Entscheidung wird öffentlich bis ins kleinste Detail seziert werden. Man sollte dem neuen ORF-Generaldirektor also zumindest eine Chance geben. Und seine Wahl endlich dafür nützen, diese unsäglichen Polit-Bestellungen künftig abzuschaffen."

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"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Weil der ORF kein Privatunternehmen, sondern öffentliches Gut in Form einer Stiftung ist, ist er seit jeher ein beliebtes Ziel für staatliche Einflussnahme. Dieses Mal wurde die Stellenausschreibung auch in internationalen Medien veröffentlicht. Doch dass ein Ausländer zum Zug kommt, ist dabei eher Wunschdenken. Schließlich wäre ein Deutscher oder Schweizer wohl ein unkalkulierbares Risiko für die hiesige Politik."

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"Süddeutsche Zeitung":

"Die Abstimmung ist vorbei, die Schlacht geschlagen. Wobei es am Ende dann eher ein sorgsam durchkalkulierter Deal war, mit dem er bisherige Vize-Finanzdirektor und Chef-Producer Roland Weißmann am Dienstag zum neuen Generalintendanten des ORF gekürt wurde. (...) Dass die Kurz-Regierung, die auf präzise Message-Control setzt und dafür bekannt ist, wahlweise mit direkter Kritik oder mit hohen Anzeigenbudgets unverhohlenen Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen, sich zurückhalten würde, damit hatte ohnehin niemand gerechnet." (APA, 11.8.2021)