Überschattete Kindheit: Freunde konnten nicht getroffen, Sportveranstaltungen nicht besucht und Erfolge nicht mit der ganzen Familie gefeiert werden. Die notwendigen Covid-Maßnahmen stürzten Kinder weltweit in eine Krise.

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Soziale Isolation, geschlossene Schulen, wachsende Verunsicherung – die Welt der Jungen ist aus den Fugen geraten. Medizinerinnen und Mediziner warnen bereits seit Monaten vor einem Anstieg psychischer Störungen. Nun zeigt eine Metaanalyse im Fachblatt "JAMA Pediatrics" mit rund 81.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in 29 Einzelstudien, dass weltweit jeder fünfte Jugendliche mit Angststörungen belastet ist. Jeder vierte leidet unter den Symptomen einer Depression.

Gehäuftes Auftreten

Verantwortlich für die Zunahme während der Covid-Pandemie ist, so die Einschätzung der Forscherinnen und Forscher, vor allem die soziale Isolation. Da junge Menschen emotional stark auf die Unterstützung von Mitschülern, Lehrern, Schulpsychologen oder Beratern angewiesen sind, war ein Anstieg von mentalen Störungen zu befürchten. Denn die Schule ist für Junge häufig die erste Anlaufstelle bei Problemen.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie waren psychische Probleme unter Heranwachsenden häufig. Frühere Kohortenstudien haben die Prävalenz von Angststörungen auf etwa 11,6 Prozent und die Häufigkeit von depressiven Symptomen auf 12,9 Prozent geschätzt. Zu den Symptomen zählen Traurigkeit, Verlust von Interesse und Freude an Aktivitäten sowie Schlaf- und Essstörungen. Angstsymptome manifestieren sich häufig in einer unkontrollierbaren Sorge, Angst und Übererregbarkeit, heißt es.

Studiensetting

Die vorliegende Metastudie ist die weltweit erste Auswertung eines Teams der Universität von Calgary in Kanada zur Entwicklung mentaler Gesundheit unter Jugendlichen während der Pandemie. Insgesamt wurden 29 Studien berücksichtigt. Demnach dürfte die Häufigkeit von Depressionen bei durchschnittlich 25,2 Prozent liegen, die von Angststörungen bei 20,5.

16 Studien wurden in Ostasien, vier in Europa, sechs in Nordamerika, zwei in Mittel- und Südamerika und eine im Nahen Osten durchgeführt. Insgesamt haben die Forscherinnen und Forscher Daten zu 80.879 Kindern und Jugendlichen ausgewertet, die zwischen Jänner 2020 und März 2021 befragt worden waren. In drei der Studien hatten die Eltern statt der Kinder die Symptome eingeschätzt. Das gewährt einen guten Einblick und ist eine Art Bestandsaufnahme für gemachte Fehler.

Marathon für die Seele

Die Häufigkeit der Störungen scheint mit der Dauer der Pandemie zugenommen zu haben. Das könnte an den mehrmals wiederkehrenden Einschränkungen und Veränderungen liegen, die immer mehr Kinder zermürbten. Auch die finanziellen Belastungen und Verluste der Familien könnten sich erst nach einer gewissen Zeit ausgewirkt haben.

Ältere Kinder sind häufiger erkrankt als jüngere. Das könnte an einer höheren Anfälligkeit liegen, die mit der Pubertät und den hormonellen Veränderungen einhergeht. Außerdem ist gerade in dieser Altersgruppe der soziale Kontakt zu Gleichaltrigen wichtig, da sich Jugendliche mit der Pubertät langsam von ihrer Familie distanzieren. Aber auch zwischen den Geschlechtern ergaben sich deutliche Unterschiede: Mädchen erkrankten öfter als Buben.

Während ältere Heranwachsende deutlicher gesundheitliche Sorgen, Stress oder allgemeine Unsicherheit verspürten, dürfte sich auf Kinder vor allem die Störung der täglichen Routine ausgewirkt haben. Psychologinnen und Psychologen raten Eltern dazu, feste Abläufe beizubehalten oder neue einzuführen. Fixe Schlafens- und Aufstehzeiten, das Erledigen von Schulaufgaben und körperliche Bewegung sollten festen Regeln folgen.

Nachwirkungen nicht ausgeschlossen

Überhaupt seien Altersgenossen zur wichtigsten Quelle sozialer Unterstützung geworden, berichten die Psychologinnen und Psychologen, da der Rückhalt durch Peer-Gruppen in der Pandemie nur eingeschränkt möglich war. Teenager hätten zudem wichtige Lebensereignisse wie Schulabschlüsse, Sportveranstaltungen und verschiedene Erfahrungen des Erwachsenwerdens verpasst.

Sheri Madigan von der Universität von Calgary geht davon aus, dass die meisten Kinder sich mit dem Ende der Pandemie von den psychischen Störungen wieder erholen werden. In der jungen Generation bestehe eine gute Resilienz gegen Langzeitfolgen, da sind sich Expertinnen und Experten einig. Vermutlich werde es aber eine Gruppe geben, die langfristig mit den Nachwirkungen zu kämpfen hat.

In dem Fall empfehlen die Experten den Eltern, ihre Kinder gut zu beobachten, ob sich Beschwerden verschlimmern, etwa durch eine neuerliche Stresssituation. Dann sollte man eine Fachstelle kontaktieren und die Probleme abklären lassen. Denn wenn man eine schwere psychische Belastung rechtzeitig diagnostiziert, kann man auch gut gegensteuern. (Julia Palmai, 13.8.2021)