Die Impfung schützt vor schweren Verläufen, und sie verringert das Risiko von neuen Virusmutationen.

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Die Impfung, da sind sich Experten einig, liefert den besten und sichersten Schutz vor Sars-CoV-2. Denn sie reduziert das Risiko einer Infektion deutlich, der Schutz vor schweren Verläufen nach einer vollständigen Impfung liegt bei über 90 Prozent. Doch derzeit scheint die Impfwilligkeit zu stagnieren, die Zahl der Stiche ist zuletzt deutlich zurückgegangen, von einem Höchstwert an 143.695 Stichen am 2. Juni auf durchschnittlich 32.668 Impfungen pro Tag in der vergangenen Woche.

Zwar wurden mit 11. August zehn Millionen Impfdosen verabreicht, seit kurzem sind auch 60 Prozent der Bevölkerung zumindest erstgeimpft, knapp 55 Prozent haben einen vollständigen Schutz. Doch um eine flächendeckende Immunität zu bieten, braucht es eine deutlich höhere Quote. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker betonte zuletzt zwar, dass er mit Ende der Ferien auch wieder mit deutlich mehr Impfungen rechne. Bis zu einem flächendeckenden Schutz ist es aber noch ein langer Weg.

Dazu kommt, dass die Zahlen bereits jetzt wieder stark steigen. Am 10. August gab es 902 Neuinfektionen, das ist der höchste Wert seit dem 13. Mai und eine Steigerung gegenüber dem Vortag um über 300 Fälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 46,7.

Zahlreiche Fehlinformationen

Einer der Gründe, warum der Impffortschritt stagniert, dürfte die große Verbreitung von Impfmythen, Halbwahrheiten und falsch interpretierten Daten sein. Ein Glaube etwa ist, dass Impfstoffe Virusmutationen und potenzielle neue "variants of concern", also bedenkliche Mutationen, die die Immunantwort umgehen könnten, fördern würden, weil sie das Virus unter evolutionären Druck setzen. Da besteht aber bereits ein Denkfehler, wie der Molekularbiologe Martin Moder auf Twitter erklärt: "Ohne Impfung würde der gleiche Druck entstehen – mittels Durchseuchung."

Dieser Annahme widerspricht außerdem eine neue Studie am Institute of Marine and Environmental Technology am Columbus Center in Baltimore, USA, die soeben als Preprint erschienen ist. Die Wissenschafter untersuchten für die Studie den Zusammenhang zwischen vollständiger Impfung und Häufigkeit von Mutationen der Delta-Variante in 20 Ländern (Australien, Frankreich, Deutschland, Indonesien, Indien, Irland, Israel, Italien, Japan, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Portugal, Singapur, Spanien, Schweiz, Schweden, Türkei, USA und Großbritannien) auf Basis der kompletten Genomsequenzierung von Delta zwischen 20. Juni und 3. Juli.

Sie stellten fest, dass sich in 16 Ländern die Wahrscheinlichkeit von Mutationen verringerte, je mehr die Durchimpfungsrate anstieg. Das lässt den Schluss zu, dass die vollständige Impfung gegen Sars-CoV-2 dazu führt, dass Mutationen unterdrückt werden. Die Empfehlung der Studienautoren lautet deshalb, weiter zu impfen und auch die Genomüberwachung des Virus fortzuführen.

Impfungen weiter vorantreiben

Was bedeutet das nun für die Impfung? Molekularbiologe Moder betont, dass "sich impfen zu lassen mehr ist als eine (sehr kluge) persönliche Entscheidung. Man reduziert dadurch die Wahrscheinlichkeit, andere anzustecken, aber auch auch die Chance, dass neue Mutanten entstehen."

Denn die Viruslast bei Geimpften mit Durchbruchsinfektion fällt schneller wieder ab als bei Nichtgeimpften, wie eine Studie des National Centre for Infectious Diseases in Singapur zeigt, Infizierte stecken deshalb weniger Menschen an.

Der Schutz vor potenziellen Fluchtvarianten untermauert außerdem die Forderung, die Impfquote so schnell wie möglich voranzutreiben – und zwar nicht nur bei uns, sondern in allen Ländern der Welt. In einer großteils ungeimpften Population entstehen Fluchtvarianten nämlich viel eher, da es keinen breiten Immunschutz gibt. Das ist auch der Grund, warum die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zuletzt einen Stopp der Auffrischungsimpfungen forderte, solange noch viele ärmere Länder auf Impfdosen warten. Das eine schließt das andere zwar nicht aus, aber ein stagnierender Impfstatus in anderen Ländern könnte auch hierzulande negative Folgen haben. (kru, 12.8.2021)