Hat ihre Kindergartenfreunde einst mit Ödipus-Geschichten verschreckt (unabsichtlich): Constantina Bordin (25) leitet heute das Antikentheaterfestival Art Carnuntum.

Foto: Art Carnuntum

Sofia Hill in "Exodos" des Attis Theaters in Athen.

Foto: Art Carnuntum

Amphitheater Petronell-Carnuntum

Foto: A. Hofmarcher

Schon bevor Constantina Bordin Intendantin von Art Carnuntum wurde, hat ihr das Theater den Schlaf geraubt. Etwa wenn sie mit ihren Eltern in Nachtzügen quer durch Europa rollte, um Theateraufführungen zu besuchen. Die heute 25-Jährige hat als Kind an der Seite ihres Vaters, des im März unerwartet verstorbenen Art-Carnuntum-Gründers Piero Bordin, weltweit bei Antikentheaterkonferenzen gelauscht. Und wenn daheim im Kindergarten Petronell-Carnuntum gefragt wurde, was man am Wochenende gemacht habe, dann war "Pariser Oper" die Antwort.

Das Amphitheater von Petronell (nahe dem archäologischen Park sowie dem nun zum Unesco-Welterbe zählenden Heidentor gelegen) war Constantinas Spielplatz. Mit Ödipus-Geschichten hat sie ihre Kindergartenfreunde verschreckt. Unabsichtlich! Die hohe Theaterdosis in jungen Jahren hat aber keineswegs geschadet. Es hat Bordins Interesse, sich wissenschaftlich wie künstlerisch mit der Theatertradition zu befassen, nur vertieft.

Heute, taufrische Absolventin der Studien Byzantinistik, Neogräzistik und Philosophie, geht die Viertelgriechin, seit zwei Monaten wiederum mit einem Griechen verheiratet, selbstbewusst und gut vorbereitet an die ihr unerwartet früh übertragene Aufgabe. Der Art-Carnuntum-Vorstand hat sie kürzlich zur neuen Leiterin des seit 32 Jahren nahe Wien etablierten Festivals gewählt.

Speerspitze des Welttheaters

Hier trudelte in den Anfangsjahren die Speerspitze des Welttheaters ein: Robert Wilson, Heiner Müller, Sir Peter Hall, Peter Stein, Tadashi Suzuki oder das New Yorker La MaMa-Theater. Wie sieht aber die Next Generation der antiken Theaterkunst aus? Wie wird das Festival in die Zukunft gehen?

Constantina Bordin hat klare Vorstellungen. "Ich möchte ein Theater bieten, in dem Menschen zusammenkommen und politisch werden. Seine Meinung kundzutun ist etwas Politisches." Das heißt, es soll Raum geschaffen werden zur direkten Auseinandersetzung mit Stoffen und Aufführungsweisen. Zudem soll das Bewusstsein für die historische Entwicklung des Theaters und seiner Spielstätten wichtiger werden. Dass in einem römischen Amphitheater einst Menschen und Tiere ermordet worden sind, ist vielen nicht bewusst. Die gräulichen Spektakel gehören zur Theatergeschichte, Bordin will das thematisieren.

Einzigartiger Ort

Sie will aber vor allem den im zweiten Jahrhundert nach Christus aus Stein erbauten, ursprünglich für 8000 Zuschauer konzipierten Ort für die ursprüngliche Form des Theaters rückerobern. Dazu soll für das diesjährige Programm ab 27. August (Exodos von Theodoros Terzopoulos) erstmals seit langem wieder ohne das "etwas brutale" Publikumszelt, so Bordin, Open Air im Amphitheater gespielt werden. Der Ort soll in seiner ganzen einzigartigen Atmosphäre strahlen. Dazu will die Philosophin künftig ein großes Augenmerk auf den Kaiser Mark Aurel richten, der hier im Römerlager von Carnuntum einst seine Selbstbetrachtungen verfasst hat; sie zählen zur Weltliteratur.

Bordins unbedingter Wunsch ist es, über diesen philosophischen Teil der Geschichte Carnuntums stärker aufzuklären und diesen auch in der Programmierung widerzuspiegeln. Theater begreift die neue Leiterin ohnehin als philosophische Form des Denkens. Sowohl im Theater als auch in der Philosophie werden ethische und moralische Probleme behandelt. Carnuntum soll also auch ein Ort für Philosophie werden, am besten ganzjährig, damit die Ideen ankern können.

"Es ist auch notwendig, das Festival herunterzubrechen", sagt sie. Es sollen Schulen und Universitäten teilhaben können, mit denen Bordin Kooperationen starten möchte. "Vor allem ist es mir ein Anliegen, diese Themen der Jugend zuzutrauen."

Jüngste Intendantin

Auch Workshops und Residencys schweben ihr vor. Und mit den Kontakten, auf die sie durch die Aufbauarbeit ihres Vaters zurückgreifen kann, und den Künstlern, die sie von Kindesbeinen an kennt, wären dafür auch Persönlichkeiten von Strahlkraft vor Ort. Noch ist es zu früh und der Generationenwechsel zu abrupt verlaufen, um für 2022 Namen zu nennen, aber das Globe Theatre, bei dem Bordin auch assistierte, ist bereits an Bord, wie auch der griechische Theatermethodiker Theodoros Terzopoulos.

Constantina Bordin ist nun vermutlich die jüngste Festivalintendantin des Landes. Sie hat alles, was es für den Job braucht: Unerschrockenheit, Willen und bestechende Klarsicht. (Margarete Affenzeller, 12.8.2021)