Auch in der polnischen Hauptstadt Warschau gingen die Menschen auf die Straße, um gegen das umstrittene Mediengesetz zu demonstrieren, das vor allem gegen den Sender TVN gerichtet ist.

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Als die Emotionen im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, hochkochen, verlassen Premier Mateusz Morawiecki von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Parteichef Jarosław Kaczyński sowie einige PiS-Minister und -Abgeordnete den Plenarsaal. Sie haben keine Lust, sich die Vorwürfe anzuhören, wonach sie mit dem Gesetzesprojekt zum Privatsender TVN die Freiheit der Presse in Polen zu Grabe tragen und den polnisch-amerikanischen Beziehungen schaden, und das alles nur, um sich die Macht im Staate über die nächsten Jahre hinweg zu sichern.

Wenn die Polen und Polinnen nur noch PiS-Propaganda zu sehen und zu hören bekommen, so scheint das Kalkül der PiS, werden sie bei den kommenden Wahlen ihr Kreuzchen immer bei der Partei machen. Mehr oder weniger objektive Information kann da nur schaden. Genau dagegen hatten noch am Dienstagabend im ganzen Land tausende Menschen demonstriert.

Jarosław Gowin, der bisher als Wirtschaftsminister und stellvertretender Premier ebenfalls in der sogenannten "Straßenbahn", also auf den Regierungsbänken im Sejm, gesessen hatte, ist während der Debatte nicht zu sehen. Am Dienstag hatte Premier Morawiecki den Chef der Kleinpartei Porozumienie (Verständigung) und Juniorpartner der Regierungskoalition entlassen. Am Mittwoch gab Gowin offiziell den Austritt der Porozumienie aus der Regierung bekannt.

Gefährdete Beziehungen

Unmittelbarer Anlass für das Zerwürfnis der Koalitionspartner ist das PiS-Projekt eines Mediengesetzes, das nicht etwa die Mediensituation Polens allgemein regeln soll, sondern sich speziell gegen einen Fernsehsender richtet. Gowin weigerte sich in den vergangenen Tagen, die sogenannte "Lex TVN" zu unterstützen, da die Neuregelung der Eigentumsverhältnisse bei ausländischen Investoren den amerikanischen Medienkonzern Discovery dazu zwingen würde, sich entweder von 51 Prozent seiner Anteile an TVN zu trennen oder aber Polen ganz zu verlassen. Dies würde den polnisch-amerikanischen Beziehungen enormen Schaden zufügen, so Gowin.

Offiziell hieß es allerdings, dass Gowin und sein Ministerium die neuen Gesetzesvorlagen und Anordnungen für den Corona-Wiederaufbauplan "Polnische Ordnung" zu langsam vorbereiteten. Mit der gleichen Begründung hatte Morawiecki drei Tage zuvor bereits Gowins Stellvertreterin im Ministerium für Entwicklung, Arbeit und Technologie entlassen.

Sie hatte öffentlich Kritik am Corona-Wiederaufbauprogramm geübt. Auch wenn Geringverdienerinnen und -verdiener profitierten, so Anna Kornecka, bürde es doch jenen, die über 2500 Euro monatlich verdienen, sowie den kleinen und mittelgroßen Unternehmen große Steuerlasten auf.

Nach ihrer Entlassung setzte Kornecka allerdings ihre Arbeit fort, da Gowin sie zu seiner Bevollmächtigten im Wirtschaftsministerium ernannte. In der PiS wurde das als Affront wahrgenommen.

Damit zerbricht zwar die bisherige Regierungskoalition "Vereinte Rechte" in Polen, doch die absolute Stimmenmehrheit im Sejm – mindestens 231 von 460 – wird die PiS wohl behalten. Dies zumindest deutete Jacek Sasin, Minister für Staatsbeteiligungen, im Staatsfernsehen TVP Info an. Die meisten der zwölf Abgeordneten, mit denen Gowin 2019 auf der PiS-Wahlliste in den Sejm eingezogen ist, würden nun zur PiS wechseln, so Sasin.

Überläufer stützen PiS

Darüber hinaus, so rechneten bereits Beobachter nach, gebe es noch mindestens drei Abgeordnete der ehemaligen Kukiz’15-Fraktion rund um den Rocksänger Paweł Kukiz sowie einige Abgeordnete der rechtsradikalen Konföderation, die zur PiS wechseln könnten. Anreize gibt es genug. Unlängst hatte die PiS einen abtrünnigen Abgeordneten mit einem lukrativen Bankposten zurück in ihre Reihen geholt.

Hier allerdings scheint sich die PiS verkalkuliert zu haben. Die ersten beiden Abstimmungen zumindest verlor die PiS am Mittwochabend im Sejm. Jetzt soll die Sitzung erst einmal bis zum 2. oder 15. September vertagt werden. Obwohl dies ein Antrag der Opposition war, wird dieser Aufschub der PiS Zeit geben, unter den rechten Abgeordneten der Opposition Stimmen für eine neue PiS-Mehrheit im Sejm zu besorgen.

Problematisch für die PiS-geführte Regierung könnte es allerdings werden, wenn auch der zweite Koalitionspartner, die Minipartei des Justizministers und Generalstaatsanwalts Zbigniew Ziobro Solidarisches Polen, die Reißleine ziehen und ebenfalls die Koalition verlassen würde. Ziobro gilt als Vater der umstrittenen Justizreformen in Polen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs sollen die Reformen zumindest im Fall der Disziplinarkammer für Richter zurückgefahren werden.

Abstimmung vertagt

Das Ultimatum der Europäischen Kommission läuft am Montag, dem 16. August, aus. Danach könnte die Kommission Strafzahlungen beantragen, sollte Polen das EuGH-Urteil nicht umsetzen. Ziobro ist strikt dagegen und erklärte in einem Interview ganz offen, dass Polen "nicht um jeden Preis" in der EU bleiben müsse. (Gabriele Lesser aus Warschau, 11.8.2021)