Schatten über einer Wahl: Der neue ORF-Chef Weißmann kämpft gegen den Ruf des ÖVP-Günstlings.

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Die Grünen sind – wieder einmal – gespalten. Was die eine Seite beschlossen hat und verteidigt, stößt die andere vor den Kopf. Vielfach hätten sich Parteifreunde in E-Mails empört, berichtet ein erfahrener Funktionär, der anonym bleiben will: "Die finden das genauso entsetzlich wie ich."

Das Blut in Wallung gebracht hat die Wahl des neuen ORF-Generaldirektors am Dienstag. Die ÖVP hat ihren Wunschkandidaten Roland Weißmann mit komfortabler Mehrheit durchgebracht – auch dank freundlicher Mithilfe der Grünen. Die Vertreter der kleinen Regierungspartei im ORF-Stiftungsrat haben ihre drei Stimmen beigesteuert.

Die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger hat das in einer Weise verteidigt, die in den eigenen Reihen für Erstaunen bis Kopfschütteln gesorgt hat. Im STANDARD-Gespräch bestätigte sie unverblümt, dass es im Vorfeld einen Deal gegeben habe: Im Gegenzug zu den Stimmen für Weißmann erhielten die Grünen die Möglichkeit, bei der Besetzung des vierköpfigen Direktorenteams unter dem neuen Chef entscheidend mitzureden, erläuterte die Parlamentarierin. Konkret sollen die grünen Stiftungsräte das Recht bekommen, die Direktoren für Finanzen und Programm zu nominieren.

Blimlinger verweist darauf, dass die ÖVP Weißmann dank ihrer Mehrheit im Stiftungsrat so oder so gewählt hätte: Indem die Grünen mitgestimmt haben, könnten sie nun kompetente Kräfte im Team durchsetzen – auch als Korrektiv zum ÖVP-Einfluss.

Vorwurf der Packelei

Die Kritiker überzeugt diese Argumentation freilich nicht. "Über Jahre prangern wir Postenschacher an, und dann packeln wir so etwas aus", sagt der auf Anonymität bedachte Funktionär. Selbst wenn – was er bezweifle – bei der Besetzung der versprochenen Direktorenposten keine grünen Seilschaften, sondern allein die fachlichen Kriterien den Ausschlag geben sollten, hafte den Betroffenen von vornherein die Punze der parteipolitischen Günstlinge an: "Und sie müssen Weißmanns Programm umsetzen." Vielmehr hätten die Grünen als Bedingung Garantien für die Unabhängigkeit der ORF-Redaktionen aushandeln sollen – doch da sei offenbar nichts Handfestes erreicht worden.

Das ist der zentrale Punkt der Kritiker: Weißmann gilt ihnen schlicht als türkiser Parteisoldat, der den ORF im Stil einer Orbánisierung gefügig machen soll.

Lothar Lockl widerspricht da vehement. "Ich verwehre mich entschieden dagegen, hochqualifizierte Menschen im ORF reflexartig in ein parteipolitisches Eck hineinzudrängen", sagt der grüne Wortführer im Stiftungsrat: "Ich glaube, Roland Weißmann wird mit der Punzierung als Parteisoldat ebenso unrecht getan wie den anderen Kandidaten bei der Wahl am Dienstag."

Dass sich die Grünen der ÖVP unterworfen hätten, wie es Robert Menasse, Elfriede Jelinek und andere namhafte Schriftsteller via Facebook anprangerten, nennt Lockl "komplett absurd". Er habe Weißmann nach bestem Gewissen gewählt, weil ihn dessen Konzept überzeugt habe – und zwar aus mehreren Gründen.

Grüne Gründe für Weißmann

Erstens habe Weißmann jene Bedrohung erkannt, die von digitalen Konkurrenten ausgehe. Dass Google, Facebook und Co zunehmend ins Geschäftsmodell klassischer Medien einsteigen, könne demokratiepolitisch fatale Folgen haben, warnt der Grüne: "Der ORF hat bisher nicht entschlossen genug reagiert." Zweitens wolle der Neue ein starkes, unabhängiges Team um sich scharen: "In Sachen Teamwork war bisher – diplomatisch ausgedrückt – nicht das nötige Level erreicht." Drittens hält Lockl auch Weißmanns Zusage für glaubwürdig, die Unabhängigkeit des ORF zu stärken.

Und die von Blimlinger zitierte Zusage, zwei Direktorenposten besetzen zu können, hat keine Rolle gespielt? Lockls Antwort fällt ausweichend aus: "Ich habe die Einschätzung, dass der Stiftungsrat mehrheitlich für ein Team mit starken, unabhängigen Direktorinnen und Direktoren eintreten wird." (Gerald John, 12.8.2021)