Mal schnell einspringen, wenn Bedarf besteht, oder selbst bestimmen, wann und wie viel man arbeitet: Zur Art der Flexibilisierung der Arbeitszeit gibt es unterschiedliche Perspektiven.

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Die magische Zahl lautete lange Zeit acht: acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf. So hatte es der walisische Unternehmer und Sozialreformer Robert Owen bereits Anfang des 19. Jahrhunderts gefordert – und damit die als normal geltende Arbeitszeit für die darauffolgenden Jahrhunderte eingeleitet. Das hieß meist auch: zu einer festgelegten Zeit mit dem Arbeiten beginnen und zu einer festgelegten Zeit wieder damit aufhören – der Nine-to-five-Job war geboren.

Was früher als Errungenschaft der Arbeiterbewegungen gefeiert wurde und später den Fließbandarbeitern den Tag diktierte, scheint heute – und spätestens mit der Corona-Pandemie – aus der Zeit gefallen zu sein. Laut einer kürzlich erschienenen Umfrage wünschen sich 85 Prozent aller jungen Menschen in Österreich eine flexibel einteilbare Arbeitszeit; die Mehrheit erwartet sich bei der Arbeit keinen klassischen Achtstundenjob mehr. Das gilt auch auf internationaler Ebene: 54 Prozent aller Arbeitnehmer in 16 Ländern würden sich, wenn sie die Wahl hätten, für mehr zeitliche Flexibilität entscheiden, heißt es in einer Umfrage des Unternehmensberaters EY. Für die Mehrheit seien fehlende flexible Arbeitszeiten sogar ein Grund zu kündigen.

Zeitlich flexibel sein: Das heißt, an manchen Tagen erst gegen Mittag mit der Arbeit zu beginnen und dafür am Abend (wenn nötig) länger zu bleiben oder schon früh zu beginnen und früh wieder aufzuhören, statt fünf nur vier Tage die Woche zu arbeiten oder mal fünf, sechs, sieben oder mehr Wochen Urlaub zu nehmen. Für viele Arbeitnehmer ist Flexibilität der Schlüssel zur richtigen Work-Life-Balance, für viele Unternehmen der Weg in Richtung erhöhte Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit. Aber wie weit kann Flexibilität in unserer zukünftigen Arbeitswelt gehen?

Flexibilität ist nicht gleich Flexibilität

Klar ist: Der klassische Nine-to-five-Job ist in vielen Branchen schon seit längerem Geschichte. Egal ob im IT-Bereich, als Freelancer, in Projektteams oder als Beraterin – gearbeitet wird dann, wenn Arbeit anfällt oder wenn sich diese am besten einteilen lässt. Die voranschreitende Digitalisierung beschleunigt für viele diesen Trend.

Aber Flexibilität für die eine bedeutet nicht unbedingt Flexibilität für den anderen. Während sich manche Betriebe Mitarbeiterinnen wünschen, die "flexibel" genug sind, um auch am Wochenende oder in der Nacht zu arbeiten, und "spontan" einspringen, wenn gerade Bedarf besteht, schauen die Vorstellungen von Flexibilität bei vielen Arbeitnehmern anders aus: genug Freizeit haben, um Familie und Arbeit unter einen Hut zu bringen, oder einmal länger Pause machen können.

"Es können nicht beide Seiten gleichzeitig flexibilisieren", sagt Ulrike Huemer, Arbeitsmarktexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut Österreich (Wifo). Irgendjemand müsse sich immer die Zeit nehmen, um je nach Bedarf flexibel zu sein. Für Betriebe gehe es vor allem darum, Arbeitskräfte effizient einzusetzen und Überstunden und zusätzliches Personal so gut wie möglich zu vermeiden.

Ein Gewinn für alle

Laut Österreichs Wirtschaftskammer sind flexible Arbeitszeiten für alle Beteiligten ein Gewinn: Mehr Jobs, bessere Services, höheres Gehalt und eine leichtere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollen damit möglich sein. Eltern können auch am Abend, wenn die Kinder schon schlafen, im Homeoffice arbeiten, oder an manchen Tagen bis zu zwölf Stunden arbeiten, um sich die Kinderbetreuung besser nach Tagen aufzuteilen. Lasse sich nur schwer eine externe Betreuung für die Kinder finden, heiße das schlicht, dass Kinderbetreuungseinrichtungen zu wenig flexibel seien, heißt es vonseiten der Wirtschaftsvertretern.

Geht es nach der Wirtschaftskammer, müsste die gesamte Arbeitswelt künftig noch weit flexibler werden. Österreich hinke anderen Ländern hinterher, in denen Mitarbeiter leichter bis zu zwölf oder dreizehn Stunden am Tag arbeiten dürfen. Demnach brauche es auch hierzulande in den Betrieben mehr Gestaltungsmöglichkeiten, um Mitarbeiter bei Bedarf auch an Wochenenden oder Feiertagen arbeiten zu lassen. Gewerkschaften sind von solchen Vorschlägen erwartungsgemäß wenig begeistert.

Vorbild Schweden

Vorbild für viele Arbeitszeitflexibilisierer ist Schweden. Tatsächlich gibt es laut Daten der Europäischen Agentur Eurofound, die sich europaweit für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen einsetzt, kaum ein Land in Europa, in dem unregelmäßiger gearbeitet wird. Rund die Hälfte aller Betriebe mit zehn oder mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben bereits flexible Arbeitszeiten eingeführt.

Das Erstaunliche: Nicht nur Betriebe, sondern auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer scheinen davon zu profitieren. Laut Daten der OECD gehört Schweden zu den zehn Ländern mit der besten Work-Life Balance. Zum Vergleich: Österreich schafft es innerhalb der 38 Mitgliedsstaaten der OECD bei der Work-Life Balance nur auf den 25. Platz.

Freiheit unter Verantwortung

Demnach haben in Schweden nur ein Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr lange Arbeitszeiten und können bei der Wahl der Arbeitszeit kräftig mitentscheiden. Das zeigen auch Daten von Eurofound: Über 80 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geben an, ihre Arbeitsweise selbst bestimmen und ändern zu können (EU-Durchschnitt: 69 Prozent), 73 Prozent haben die Möglichkeit, Mehr- oder Überstunden für einen Zeitausgleich zu verwenden.

"Freiheit unter Verantwortung" nennt sich das Prinzip, wonach es in vielen Betrieben weniger darum geht, seine Stunden abzusitzen, als vielmehr darum, seine Aufgaben zu erledigen. Die Angestellten sollen selbst einschätzen, wie lange sie für die Aufgabe brauchen, und auch früher nach Hause gehen dürfen, wenn sie das Gefühl haben, damit fertig zu sein.

Das wichtigste Element ist laut vielen Experten aber die Unterstützung bei der Karenz: 480 Tage bezahlten Elternurlaub – fast zwei Jahre in Arbeitstagen – bekommen Eltern in dem Land. Damit auch mehr Väter in Karenz gehen, gibt es drei sogenannte Vatermonate, die nur von einem Partner genutzt werden können und andernfalls verfallen.

Macht über Dienstplan

Für viele lautet die große Frage bei der Flexibilitätsdebatte: Wer hat in Zukunft die Macht über den Dienstplan? Die Mitarbeiter oder doch eher die Manager und Chefs? Dass in Schweden die Entscheidung über den Dienstplan zu größeren Teilen in den Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter liege, sei Teil des Erfolgsrezepts einer besseren Work-Life-Balance und gleichzeitiger höherer Produktivität, heißt es seitens der Arbeitnehmervertreter.

Tatsächlich kommt auch eine Studie in Großbritannien zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmer, die ihre Arbeitszeit selbst flexibel gestalten und gegebenenfalls auch reduzieren können, unter weniger Stress leiden und laut eigenen Angaben Beruf und Familie besser vereinbaren können.

Nicht alle haben die Wahl

Fakt ist aber: Aussuchen können sich Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten nur in bestimmten Berufen. Laut einer Studie der Statistik Austria von 2019 haben es Menschen, die in Gesundheitsberufen, in der Bildung, im Verkehr oder in der Gastronomie tätig sind, erwartungsgemäß schwerer, zeitlich flexibel zu arbeiten.

Gleichzeitig würden rund 40 Prozent aller Erwerbstätigen in Österreich immer oder häufig unter Zeitdruck arbeiten, ebenfalls 40 Prozent würden in der Freizeit dienstlich kontaktiert, und rund ein Viertel werde zumindest einmal wöchentlich aufgefordert, früher zur Arbeit zu kommen oder länger zu bleiben. Ständige Erreichbarkeit, mehr Stress und ein Verschwimmen von Arbeit und Privatleben sind für einige die Kehrseiten der wachsenden Flexibilisierung.

Teilen des Arbeitsplatzes

Dabei haben viele Beispiele gezeigt, dass ein Ausgleich der Interessen durchaus möglich ist. Schließlich scheinen auch die Möglichkeiten, flexible Arbeitszeiten künftig in vielen weiteren Berufsfeldern besser umzusetzen, immer vielseitiger zu werden: Jobsharing, bei dem sich zwei oder mehr Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz aufteilen, wird hierzulande bereits in jedem fünften Betrieb angeboten, hinzu kommen Dienstplanung per App, über die alle Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten und -orte steuern können, und neue Arbeitszeitkonten, bei denen Mitarbeiterinnen flexibler Stunden aufbauen oder reduzieren können.

Nach dem klassischen Nine-to-five-Job – mit einem geregelten Feierabend und besserer Planbarkeit – werden sich wohl aber auch in Zukunft noch einige Menschen sehnen. Nur die stumpfsinnige Fließbandarbeit – mit der ein solcher seit jeher in Verbindung steht – muss es dann vielleicht nicht mehr sein. (Jakob Pallinger, 28.8.2021)