Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, hat Reinhard Mey in einem seiner bekanntesten Lieder getextet. Unterhalb der Wolkendecke sieht die Realität anders aus, touristische Strukturen zu verändern fällt dort mehr als schwer.

Foto: Nationalpark Region Hohe Tauern / Gnantschnig

Weiter so wie bisher, das wird es nicht spielen nach Corona. Auch wenn das Virus mit fortschreitender Immunisierung der Bevölkerung seinen Schrecken verlieren und in den Hintergrund treten wird – mit der menschengemachten Erderhitzung steht eine weit größere Herausforderung an. Das wiederum hat Auswirkungen auf den Tourismus, die nicht weggeimpft werden können, sondern nur durch nachhaltige Eingriffe in die Strukturen des Wirtschaftens und mobilen Lebens halbwegs erträglich gehalten werden können.

Mit weniger CO2 beim Reisen, im Hotel oder beim Verzehr der Lebensmittel ist es nicht getan. Es geht auch um Entzerrung von Gästeströmen an touristischen Hotspots, damit die dort lebende Bevölkerung nicht rebelliert. Man erinnere sich: Vor Ausbruch von Corona schien "Overtourism" das größte Problem der Branche zu sein. Zwangsschließungen und das Ausbleiben vor allem internationaler Gäste haben den Blick auf Strukturen freigelegt, die Veränderungen erschweren.

Betten über Betten

Es sind über Jahrzehnte gewachsene Strukturen, die sich nur mühsam und nicht kurzfristig ändern lassen. Tourismusintensive Destinationen in Tirol oder Salzburg haben in den vergangenen Jahrzehnten auf Teufel komm raus in Bettenkapazitäten investiert. Weil die Aufenthaltsdauer der Gäste stetig gesunken ist und weiter sinkt, braucht es immer mehr Menschen zur Befüllung der Betten.

Wird der Tourismus nachhaltiger nach Corona? "Warum sollte er das werden?", fragt sich der Tourismusexperte Harald Friedl. "Wir hatten einen tiefen Einschnitt durch Corona. Jetzt sagen die Leute: ‚Wir müssen so schnell wie möglich wieder Geld verdienen.‘ Zu sagen, nutzen wir die Chancen, werden wir nachhaltig im Tourismus, das ist illusorisch."

Viele Themen liegen auf der Hand

Auch Hubert Siller, Leiter des Departments für Tourismus am Management Center Innsbruck (MCI), ist darauf bedacht, vor allzu großen Erwartungen im Zusammenhang mit einer Neubuchstabierung von Urlaub zu warnen. "Den Tourismus angesichts der vielen Herausforderungen neu zu erfinden, das ist nicht mein Zugang", sagt er dem STANDARD. "Aber neu denken und sich mit Themen, die auf der Hand liegen, auseinandersetzen, das schon."

Skeptisch ist Siller auch, was die Forderung "mehr Qualität statt Quantität" betrifft. "Das wird sich im Alpenraum nicht ausgehen. Zu viele Menschen leben hier vom Tourismus. Wir müssen Qualität mit Quantität verbinden."

Es muss schmerzen

Für Friedl, Experte für angewandte Tourismuswissenschaften an der FH Joanneum im steirischen Bad Gleichenberg, sind es die gewachsenen Strukturen, die eine Neuausrichtung der Tourismusbranche so unglaublich schwermachen. "Das kann man vergleichen mit einer Region, in der sich Pfade mit der Zeit zu Wegen, dann zu Straßen und zu Autobahnen entwickelt haben. Alles passt sich rundherum an. Wenn plötzlich das Autobahnnetz grundlegend verändert werden soll, ist das unglaublich aufwendig bis fast unmöglich", sagt Friedl. Es müsse richtiggehend schmerzen, dass sich etwas ändert.

Wörthersee, von Velden aus betrachtet: Anfang der 1970er Jahre war das Wasser voll Algen. Erst mit dem Bau der Ringkanalisation um den See bekam das Wasser wieder Trinkqualität.
Foto: apa/gindl

Das sei beim Wörthersee in Kärnten der Fall gewesen. "Anfang der 1970er-Jahre ist er gekippt. Es gab eine Algenpest, weil von den Gemeinden alles in den See geleitet wurde. Dann wurde die Ringkanalisation gebaut, und der See hat seit vielen Jahren wieder Trinkwasserqualität."

Könnte man Tabula rasa machen und den Tourismus von Grund auf neu denken, was wäre dann? "Man würde wahrscheinlich nicht alles anders machen, wohl aber mehr Gewicht darauf legen, dass regionale Wirtschaftskreisläufe funktionieren", sagt Siller.

85 Prozent der Gäste reisen mit Pkw an

In Tirol reisten 85 Prozent der Gäste mit dem Auto an, nur zehn Prozent mit der Bahn. Ziel sei es, den Anteil der Bahnankünfte bis 2035 auf 20 Prozent zu verdoppeln. Das sei insofern bedeutsam, als rund 80 Prozent des CO2-Ausstoßes auf die An- bzw. Abreise entfallen, sagt Siller.

Das Vorhaben sei mehr als anspruchsvoll, weil die Anreise Hand in Hand mit einem entsprechenden Mobilitätsangebot in den Tourismusdestinationen gehen müsse. "Kann sich der Gast nicht darauf verlassen, steigt er nicht in den Zug."

Tourismusexperte Friedl hofft auf die junge Generation, in der das Besitzstandsdenken nicht mehr eine so große Rolle spiele. Begeisterung und Leidenschaft seien jedenfalls wichtig. Friedl: "Ein bisschen versetzt der Glaube schon Berge." (Günther Strobl, 13.8.2021)