Am 9. November inszenierte Karl Nehammer (ÖVP) die Razzia gegen vermeintliche Muslimbrüder in Österreich noch groß. Seither wurde der Innenminister immer stiller in Bezug auf die Operation.

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Am 9. November 2020, sieben Tage nach dem Terroranschlag von Wien, führten hunderte Polizeikräfte in Österreich Razzien durch. Im Visier der Operation Luxor: vermeintliche Muslimbrüder. Es war eine Aktion, die nichts mit dem Anschlag zu tun hatte.

Um fünf Uhr Früh starteten Beamte in Graz den Zugriff auf dem Gelände eines Vereins und dessen Moschee. Diese wurde von einem Imam aufgesperrt, der in den 21.000 Observierungsstunden der gesamten Operation bisher nicht weiter aufgefallen war. Aufmerksam wurden die Ermittler erst, weil ein Datenkabel aus der Moschee in seine Wohnung im Nebenhaus führte.

Die Ermittler besorgten sich einen weiteren Hausdurchsuchungsbefehl und vernahmen den Mann folglich auch – unter anderem wegen des Verdachts der terroristischen Vereinigung und Terrorfinanzierung. Er bestritt, etwas mit der Muslimbruderschaft zu tun zu haben. Nach der Vernehmung durfte der Imam gehen.

Heuer, Ende Juni, wurde der Imam verhaftet. Allerdings nicht in Österreich, sondern in Kairo. Das zeigen Recherchen von STANDARD und "Presse". Er sei auf dem Weg zu seiner Familie gewesen, erzählt sein Anwalt Wolfgang Schlegl. Dort sollte er aber nie ankommen. Schlegl hat eine Befürchtung, wie es dazu gekommen sein könnte.

Bitte um Auslieferung

Unter den vielen Tausend Seiten des Akts zur Operation Luxor findet sich eine Antwort der Sicherheitsorganisation Interpol Kairo auf eine Anfrage zur Personenfeststellung durch das heimische Bundeskriminalamt. Die Antwort erging am 10. Dezember 2020 und bezieht sich in diesem Fall neben dem Imam auf zwei weitere Beschuldigte in der Causa aus Österreich mit ägyptischer Staatsbürgerschaft. Darin führt die ägyptische Behörde aus, dass es sich um Mitglieder der "terroristischen Muslimbruderschaft" handle und sie von der ägyptischen Justiz wegen der Finanzierung der Gruppierung gesucht würden. Interpol bat auch um ihre Auslieferung.

Was danach passierte, ist – noch – nicht Teil des Akts. Ebenso wenig der Wortlaut der Anfrage aus Österreich. Ob und wie stark Österreich und Kairo in dieser Causa zusammenarbeiten, blieb auf Nachfrage unbeantwortet.

"Ägypten ist ein Überwachungsstaat, wo jede Bewegung, auch von Ägyptern aus dem Ausland, genau verfolgt wird", gibt der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker zu bedenken. "Jegliche Datenweitergabe muss man gegenüber Ländern, die nicht nach demokratischen Maßstäben funktionieren, genau überprüfen." Der Vorwurf, Muslimbruder zu sein, reiche schnell aus, um in Ägypten ins Gefängnis zu kommen und dort schlecht behandelt zu werden.

Ägyptens Ex-Präsident Mohammed Morsi, ein Muslimbruder, wurde 2013 – mit Unterstützung weiter Teile der Zivilgesellschaft – vom Militär gestürzt , Proteste seiner Unterstützer brutal niedergeschlagen. Der damalige Armeechef und Verteidigungsminister Abdelfattah al-Sisi folgte 2014 als Präsident nach. Die Muslimbruderschaft gilt in Ägypten seither als Terrorgruppe und ist verboten. Viele der Islamisten wurden nach dem Regimewechsel per Gericht zum Tod verurteilt. In Österreich sind nur die Symbole der Bruderschaft verboten, als Terrororganisation gilt sie nicht.

Staatsanwaltschaft schließt Verbindung aus

Es ist unklar, ob der Imam der Grazer Moschee schon vor der Anfrage unter Beobachtung der ägyptischen Behörden stand. Davor dürfte er aber ohne Probleme gereist sein. Bei seiner Einvernahme erzählte er, dass er an der Al-Azhar-Universität in Kairo Islamwissenschaften studierte und dann als Seelsorger arbeitete. Von 2013 bis 2016 sei er erstmals für die Moschee in Graz tätig gewesen. Vermittelt worden sei er damals über die ägyptische Botschaft, sagt sein Anwalt.

Der Imam gibt zu Protokoll, 2016 wieder nach Ägypten zurückgekehrt zu sein. Da war al-Sisi in etwa zwei Jahre im Amt. Dann sei seine Nachfolge in Graz erkrankt. Seit 18. Jänner 2020 war er als Vertretungsimam wieder in Österreich.

Laut Anwalt soll sich sein Mandant noch im September beziehungsweise Oktober 2020, also knapp vor der Razzia, für zumindest sechs Wochen in Ägypten aufgehalten haben. Damals habe es keine Probleme gegeben. Heuer wurde der Imam in Kairo festgenommen – vermutlich am 22. Juni.

Die in der Operation Luxor zuständige Staatsanwaltschaft Graz weiß davon. Allerdings schließt man eine Verbindung mit den Ermittlungen aus. Laut einem Sprecher wurden von den Strafverfolgungsbehörden "nach meiner Information" keine Details über die Causa an die ägyptischen Behörden weitergegeben. Im Akt halten die Ermittler aber fest, dass Kairo weitere Daten auch zu "anderen in diese Terror-Akte verwickelten Verdächtigen" in Aussicht stellt. Eine solche Personenabfrage bei einem anderen Staat muss jedenfalls gut begründet sein.

Keine konkreten Vorwürfe

Für Schlegl beginnt die Sache am Kopf zu stinken: In den beiden Einvernahmen des Imams nach der Razzia seien "keinerlei konkrete Verhaltensvorwürfe strafbaren Verhaltens" vorgebracht worden. Mehr als der Umstand, dass der Mann als Imam in der Moschee predigte, sei gegen ihn nicht vorgelegen.

Erst kürzlich grätschte das Oberlandesgericht Graz den Ermittlern der Operation Luxor mit einem Beschluss gehörig in die Parade. Neun Beschuldigte brachten Beschwerden gegen die Razzia ein und bekamen recht. Der Verdacht reichte in allen Fällen nicht aus, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Mit weiteren Beschwerden ist zu rechnen. Zudem befand das Gericht, dass nicht jeder Muslimbruder pauschal als Mitglied einer Terrorgruppe wie der Hamas angesehen werden könne, und verwies auf die "Vielfältigkeit der Strömungen". Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. (Jan Michael Marchart, 13.8.2021)