George Herriman: tolles Katz- und Maus-Spiel.

Foto: Taschen Verlag

Vorsicht! Einen der Protagonisten hält die Leserin des Buchs in den Händen: Der Band George Herrimans "Krazy Kat" – Die kompletten Sonntagsseiten in Farbe 1935–1944 aus dem Taschen-Verlag ist ein Ziegel. Zumindest scheint er – mit seinen rund siebeneinhalb Kilo – so schwer wie einer jener berüchtigten Ziegelsteine, um die sich eines der außergewöhnlichsten Comicprojekte der Geschichte dieses Mediums dreht.

Katze, Maus, Hund – und besagter Ziegelstein sind die Hauptfiguren der Comicserie Krazy Kat des US-amerikanischen Comiczeichners George Herriman (1880– 1944). Die Handlung mutet einfach an: Katze liebt Maus, Hund liebt Katze, Maus liebt ...: "I love to hate him."

Genauer: Ignatz Mouse liebt es, einen Ziegelstein auf Krazy Kat zu schleudern, und hasst Offissa Pupp, den Hund mit Sheriff-Stern, den Hüter des Gesetzes, der es als seine Hauptaufgabe sieht, diese Untat zu verhindern und, falls nicht, wie so oft, den Übeltäter eigenhändig hinter Gitter zu bringen. Gerade diese etwas queere Beziehung macht sie unzertrennlich.

Das Unglaubliche ist, dass sich diese Konstellation einer Ménage-à-trois wie ein Perpetuum mobile über drei Jahrzehnte hält und scheinbar ad infinitum fortsetzt. Herrimans Krazy Kat tapste erstmals 1910 aufs Papier. Ursprünglich tummelten sich Katze und Maus auf einem Nebenschauplatz, später erhält Krazy Kat einen eigenen täglichen Strip. Im Lauf der Zeit versammelt sich eine ganze Arche Noah weiterer Tiergestalten um die Hauptgestalten.

Herrimans Lebenswerk

Herrimans Krazy Kat tapste erstmals 1910 aufs Papier.
Foto: Taschen Verlag

Der deutsche Kurator und Comicexperte Alexander Braun hat die Sonntagsseiten des Zeichners, die seit 1935 in Farbe erschienen sind, in Originalgröße und in wunderbarer Aufmachung herausgebracht. Zu Recht hat er dafür vergangenes Jahr einen Eisner Award, die höchste Auszeichnung in der Branche, erhalten. Um sich ein Bild des umfangreichen Werks zu machen: Die nahezu 500 Seiten stellen rund ein Drittel der Sonntagsseiten dar. Weitere 8000 Tagesstrips gehören dem Universum von Herrimans Krazy Kat an.

Braun, der kürzlich eine ebenso einzigartig gestaltete Ausgabe von Winsor McCays Little Nemo besorgt hat, setzt hiermit sein Projekt zur Wiederentdeckung der frühen Comicwerke fort, das sich zugleich als "Korrektur der Wahrnehmung" versteht. Dabei stellt er Herrimans Lebenswerk Krazy Kat an die Seite der Werke von James Joyce, Samuel Beckett oder Pablo Picasso. "Geht das?" "Ja, es geht." Man kann sich vergewissern. Brauns fantastische Einleitung bietet eine Fülle von Darstellungen, Hintergründen und Zugängen, die so fundiert wie begeisternd an das komplexe Zeichenwerk heranführen.

Moderne Stilelemente

Krazy Kat, kann man erkennen, ist nicht allein die "Blaupause" für nachfolgende Tiercomics von Mickey Mouse bis Tom und Jerry, sondern auch ein überbordender Fundus ästhetischer Mittel und Formen der aufkommenden Avantgarde. Tatsächlich erprobt Herriman erstmals eine Reihe moderner Stilelemente im Medium des Comics und nimmt Aspekte des surrealen Theaters von Beckett oder dadaistischer Kunstpraktiken vorweg.

So experimentiert der Zeichner mit Seitenarchitektur und Panelformen, orchestriert Hell-Dunkel-Flächen nach Kriterien der Symmetrie oder Asymmetrie und spielt mit medialen Selbstbezüglichkeiten.

Auffallend sind die nicht nach Gesetzen der Logik wechselnden Hintergründe des "Coconino County", in dem das Katz-und-Maus-Spiel angesiedelt ist: Selbst wenn sich die Figuren zwischen zwei Panels nicht vom Fleck bewegen, rotieren im Hintergrund die Landschaften. Der Zeichner ist der alleinige Schöpfer seiner Welt. Daran lässt Herriman keine Zweifel, unbeirrbar hält er an seiner Ästhetik fest.

Gertrude Stein ist Fan

Auch als das Publikum sich irritiert bis empört von ihm abwendet, kommt eine Anbiederung für ihn nicht infrage. Allerdings genießt Herriman ideale ökonomische Voraussetzungen: Zeichner seines Rangs waren bestbezahlt, und ohne den Rückhalt seines Arbeitgebers, des Medientycoons William Randolph Hearst, wäre Krazy Kat in dieser Dimension vermutlich nicht zustande gekommen.

Erst in den 1970er-Jahren wurde der Aufstand der Redakteure bekannt, die die Serie nicht mehr in ihren Zeitungen abdrucken wollten. Andererseits erkennt eine Schar intellektueller Leser die Ausnahmeerscheinung der Serie, darunter Kunstkritiker, Künstler, Autoren und Autorinnen wie George Seldes, John Alden Carpenter, E. E. Cummings sowie Gertrude Stein und Pablo Picasso.

Der Autor Cummings entdeckte in den 1940er-Jahren in den sisyphosartigen Anläufen der einzelnen Protagonisten eine Parabel über die Demokratie, in der Maus und Hund das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft sowie Krazy Kat das Ideal darstellen.

Psychoanalytische Annäherungen haben dagegen den Sadismus der Maus hervorgehoben, die wie besessen der Katze Schaden zufügt, und den Masochismus der Katze, die diese Aktionen als Liebesbeweise wahrnimmt: Der Aufprall des Ziegelsteins ("Pow") an Krazy Kats Kopf ist meist von einem Herzen begleitet.

Abhandlung ernster Fragen

"It’s a shame!" Es ist unklar, ob sich Ente Kwakk Wakk mit diesem Kommentar darauf bezieht, dass Ignatz wieder einmal von Offissa Pupp ins Gefängnis gesteckt wird, oder auf die Tat selbst. "No – it’s a game!", hält Krazy Kat dagegen. In seiner Einleitung stellt Braun Bezüge zu Schillers Theorie des Spiels und Schlegels romantischer Ironie her und zeigt auf luzide Weise, wie unter dem Mäntelchen der Clownerie ernste Fragen abgehandelt werden.

Neben all dem anarchistischen Witz und surrealistischen Humor sticht das unübersetzbare Sprachgemisch von Krazy Kat heraus. Es greift ebenso auf das bunte Sprachengewirr der Tausenden von Immigranten wie auf den kreolischen New-Orleans-Dialekt zurück, in dem sich ein verstecktes Zugeständnis Herrimans an seine Herkunft verbirgt.

Krazy Kats "lengwidge" (language), sein buchstäbliches Kauderwelsch, schillert zwischen kindlicher Naivität, verschmitzter Dummheit und romantischer Poesie und erinnert an dadaistischen Wortwitz wie sokratische Subversion. Zu den Perlen gehören seine Kosewörter für Ignatz Mouse: "L’il ainjil" (little angel), "L’il dollin Mice" (little darling Mouse).

Währenddessen fliegen mit der Dramatik des Immergleichen die Ziegelsteine als "Omen des Bösen" durch die Panels. Doch was für Ignatz "Climax" und "Finale" ist – wenn der Ziegel an Krazy Kats Kopf prallt –, ist für Offissa Pupp nur die "Overture".

Und rate, prahlt Pupp vor Mouse, was im nächsten Panel passiert? – "We rehearse", ergreift Ignatz die Gelegenheit, um seinem "Rendezvous" mit dem Knast zu entkommen: Wir beginnen von Neuem. "A brick – my kingdom – for a brick!" Man achte auf den Possessivartikel: Mein Königreich für einen Ziegelstein! (Martin Reiterer, ALBUM, 14.8.2021)