Interessenvertreter warten nach wie vor auf die Umsetzung der Pflegereform.

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Es sollte eigentlich das zentrale Projekt des Gesundheits- und Sozialministeriums in dieser Regierungsperiode werden: die langangekündigte Pflegereform. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt erklärte der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Pflege zur wesentlichen Herausforderung. Doch dann kam Corona, und die Reform trat in den Hintergrund. Die Probleme, deren Bearbeitung jetzt auf Nachfolger Wolfgang Mücksteins (Grüne) Agenda steht, blieben derweil jedoch die gleichen – oder verschärften sich.

Der Bereich gilt insgesamt als Riesenbaustelle. Der Fachkräftemangel ist bereits jetzt eine Herausforderung, 2030 sollen dann etwa 80.000 Pflegekräfte fehlen. Kürzlich appellierte ein breiter Zusammenschluss von Hilfs- und Pflegeorganisationen von Caritas über Rotes Kreuz bis Volkshilfe zusammen mit Gewerkschaft und Arbeiterkammer in einem offenen Brief an die Regierung, die dringend nötige Reform anzugehen. Sie forderten einen Pflegegipfel.

Mehrere Ministerien in Pflicht

Nun mahnt auch die Vorsitzende der Interessengemeinschaft Pflegender Angehöriger, Birgit Meinhart-Schiebel, rasch Reformschritte ein, wie sie am Freitag in einem Interview mit dem Ö1-Morgenjournal sagte: "Es wird jetzt wichtig sein, zumindest einen Anfang zu machen." Dieser Anfang betreffe allerdings nicht nur das Sozialministerium, auch Bildungs-, Arbeits- und Finanzministerium stünden unter Zugzwang.

Die bereits Anfang 2020 von der Regierung einberufene Taskforce Pflege hat bereits fünf Themenfelder als wesentliche Herausforderungen identifiziert, etwa die "Verlässlichkeit in der Pflege und Sicherheit des Systems", die Anerkennung der Leistung Pflegender durch angemessene Rahmenbedingungen und die Entlastung pflegender Angehöriger.

Als Interessensvertreter habe man darauf gedrungen, dass auch die Personen, die stark in die Arbeitsgruppen der Taskforce involviert waren, in die Verhandlungen zur Reform eingebunden werden, sagt Meinhart-Schiebel. "Nur so können wir das, was wir dort formuliert haben, in eine Reform bringen."

Psychosoziale Unterstützung

Eine Million Menschen pflegen eine Angehörige oder einen Angehörigen in Österreich. Ein Rechtsanspruch auf psychosoziale Unterstützung wäre wesentlich, sagte Meinhart-Schiebel dem STANDARD: "Wenn dieser Pflegedienst zusammenbricht, dann steht alles andere auch." Den Versuchen mancher Bundesländer, pflegende Angehörige anzustellen, steht Mückstein jedoch skeptisch gegenüber: "Care-Arbeit ist Frauenarbeit, und mir ist wichtig, dass Frauen in Vollzeitbeschäftigung gehen können."

Gleichermaßen Alarm schlagen aber die Pflegerinnen und Pfleger im stationären Bereich. Auch in der 24-Stunden-Pflege gibt es große Herausforderungen, Interessenvertreterinnen weisen immer wieder auf das Problem der Scheinselbstständigkeit in dem Bereich hin.

Ausbildung

Ein wesentlicher Punkt wird die Reform der Pflegeausbildung sein. Verstärkt sollen auch jene für die Branche gewonnen werden, die sich im zweiten Bildungsweg dafür entscheiden würden. Für diese Personen brauche es ein Stipendium, fordert Meinhart-Schiebel. In einzelnen Projekten sei man bereits "gut aufgestellt", man müsse aber das große Ganze sehen: "Sonst existiert da ein Pflänzchen und dort ein Pflänzchen. Man muss große Schritte setzen."

Hilfs- und Pflegeorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass Corona Pflegerinnen und Pfleger extrem belaste: "Die Pandemie hat gezeigt, dass das österreichische Pflegesystem mit seinen Akteuren in der Lage ist, auch in einer derartigen Krise die Versorgung sicherzustellen. Der Preis dafür ist jedoch hoch. Zahlreiche Umfragen belegen, dass Gesundheits- und Betreuungspersonal weit über seine Grenzen hinaus belastet ist und viele Beschäftigte erwägen, aus dem Beruf auszusteigen", hieß es in dem jüngst an die Regierung gerichteten offenen Brief. Eine adäquate Versorgung sei ohne entschlossene Maßnahmen nicht aufrechtzuerhalten. Man werde sich "nicht länger hinhalten lassen".

Mückstein kündigte Ende Juli an, im Herbst "erste Schritte" gehen zu wollen. Verhandlungen mit Ländern und dem Koalitionspartner ÖVP würden laufen. (van, 13.8.2021)