Stefan Hornbach, "Den Hund überleben". 22,70 Euro / 288 Seiten. Hanser, München 2021

Cover: Hanser Verlag

Die Mehrzahl von Tumor lautet Tumoren. Dies ist eine von vielen medizinischen Erkenntnissen, die wir während der Lektüre von Stefan Hornbachs Debütroman Den Hund überleben gewinnen. Dabei lässt sich das Leben anfangs noch gut an für Sebastian, der zu Beginn des Buches nicht mehr "Basti" genannt werden möchte.

Er, Anfang zwanzig und lustloser Germanistikstudent in Gießen, ist bei seiner Freundin Su in Paris zu Besuch: Secondhandladen in Marais, Batikshirts, Fotos vorm Eiffelturm – das volle Touristenprogramm, das nicht ohne Klischees auskommt.

Harte Prüfung

Am letzten Abend vor seiner Abreise organisiert ihm Su noch ein Date mit einem "Boy", im Club läuft La Isla Bonita. Mit Adrien geht er nach Hause, dessen Pariser Dachwohnung ist – erwartbar – superklein. Sebastian entdeckt seine Homosexualität. Das Leben liegt vor ihm, er kann alles probieren, erwachsen werden.

Es ist eine Art Coming-of-Age-Geschichte, die sich Stefan Hornbach, bereits preisgekrönter Theaterautor, hier ausgedacht hat. Und die Prüfung, die er sich dabei für seinen Helden ausgedacht hat, ist eine der härtesten: Drei Tumoren wachsen in seinem Körper, Non-Hodgkin-Syndrom. Sein "kleiner Hausarzt" hatte zuvor auf eine dritte Niere getippt und Sebastians zunehmende Schwäche samt Fieberanfällen falsch gedeutet.

Ebenso ausführlich wie anschaulich erleben wir mit Sebastian den Moment der Diagnose, detailliert beschreibt der Autor die Schritte hin zur Therapie: Ärzte, Krankenhäuser, Nadeln, Kanülen, Befunde, Warten, Therapien. Entlang der acht Zyklen seiner Chemotherapie bewegt sich die Geschichte voran.

Nichts Heldenhaftes

Während man als Leser wie erschlagen ist, schenkt der Autor seinem Protagonisten nichts Heldenhaftes, im Gegenteil: Sebastian lässt das alles erstaunlich gelassen über sich ergehen. Er zieht wieder bei seinen Eltern in Neustadt ein, ins Haus, in dem auch Hund Bora lebt, der eigentlich eine Hündin ist, die er aber immer nur "Hund" nennt.

Seine Schulfreundin und alte Liebe Jasna, die auch wieder hier lebt, kommt nun wie früher jeden Tag ganz selbstverständlich zu Besuch, sie deckt den Bereich "alternative Medizin" ab und bringt ihm Bücher zum Thema. Außerdem empfiehlt sie ihm ein Wochenende mit Don Gustavo, einem Schamanen aus dem peruanischen Dschungel.

Während einer "Session" hat Sebastian sogar ein klassisches Initiationserlebnis mit Drogen, Schweben und einer "Du bist gesund, geh nicht mehr zum Arzt!"-Empfehlung. Neben ihm sitzen der junge Fernando, mit dem er sich das Zimmer teilt, sowie die alte Louise, die später zum Sterben in den Dschungel nach Peru fliegen wird.

Sich-treiben-Lassen

Auf der Toilette eines Clubs lernt Sebastian noch Linus kennen, der ein Stricher ist und ihn will, aber auch wieder irgendwie nicht. Irgendwann schreibt er ihm, dass er jemand anderen kennengelernt hat. Er gehört der Generation der Millennials an, wie Sebastian auch.

Das "Sich-treiben-Lassen" eignet den meisten Charakteren des mit Personal – und Symbolik – überfrachteten Buches. Freundin Su besucht Sebastian aus Paris und teilt ihm mit, dass sie nach Istanbul gehen wird, zuvor aber die Oma in Korea besuchen möchte. Seine eigene Oma ist eine rüstige Oldtimer-Fahrerin und vermeidet zunächst den Kontakt mit ihrem Enkel. Es ist immer was los, und auch wieder nicht.

In der Vorschau zu diesem Buch wird auffällig prominent der Lektor erwähnt, der den Autor entdeckt und während des Schreibprozesses begleitet hat. Ihn – und andere "Begleiter" wie Josef Haslinger – merkt man dem Text auch an, allzu geschmiert läuft die Erzählmaschine in Richtung "Das sollte ein Bestseller werden".

Alles, was zum Thema Krebs zu sagen ist, wird in betont lakonischer Sprache erwähnt (bis hin zu einem bekannten Zitat von Susan Sontag), und alles, was man in Büchern zum Thema Erwachsenwerden schon gelesen hat, muss rein – bis hin zum Satz des Vaters: "Ich hoffe, ihr nehmt Kondome!"

Ohne Überraschungen

Der Lektor soll dem Autor zwar die meisten "Pointen" ausgeredet haben, nicht jedoch Ideen wie diese: Sebastian kann mit Anfang zwanzig keine Luftballons aufblasen, denn: "Wie man Luftballons aufbläst, ohne dabei ohnmächtig zu werden, das war mir bis dahin immer ein Rätsel geblieben."

Man fragt sich beim Lesen auch, warum Sebastian ausgerechnet am 20. April, Hitlers Geburtstag, geboren worden sein musste, warum Jasna plötzlich überall die Zahl 666 lesen muss, als sie schwanger ist, und warum ihr später geborener Sohn ihn, den Krebspatienten Sebastian, ausgerechnet "Onko" nennt?

Ein tödlicher Autounfall, den sein Vater beobachtet, reißt Sebastian kurz aus seiner Lethargie, bevor er dann aber doch wieder aufhört, sich "zu wehren". Nicht einmal, dass man ihn "Basti" nennt, stört ihn noch. Ins Zentrum seines Lebens rückt "der Hund" Bora, der ihn dazu drängt, mit ihm in den Wald zu gehen.

Bora hat einen Tumor, der nicht, wie man anfangs vermutete, eine harmlose Fettzellengeschwulst ist, sondern ... richtig! Überraschungen bleiben meist aus, wenn man alles richtig machen will. Ein Debütroman sollte aber ruhig überraschen dürfen. (Manfred Rebhandl, ALBUM, 14.8.2021)