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Foto: AP Photo/Michael Sohn

Zwar wurde auf gesamtdeutscher Ebene schon 1848 und damit noch im Kaiserreich eine erste Nationalversammlung demokratisch bestimmt, es sollte aber weitere 71 Jahre dauern, ehe auch Frauen wählen und gewählt werden durften. Im Februar 1919 nahmen 37 weibliche Abgeordnete ein Mandat in einem deutschen Parlament an.

Die Sozialdemokratin Marie Juchacz trat am 19. Februar in der Weimarer Nationalversammlung als Erste ans Podium: "Meine Herren und Damen! Es ist das erste Mal, dass eine Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat."

In ihrer Grundsatzrede fährt sie fort: "Wir Frauen sind uns sehr bewusst, dass in zivilrechtlicher wie auch in wirtschaftlicher Beziehung die Frauen noch lange nicht die Gleichberechtigten sind. Wir wissen, dass hier noch mit sehr vielen Dingen der Vergangenheit aufzuräumen ist, die nicht von heute auf morgen aus der Welt zu schaffen sind. Es wird hier angestrengtester und zielbewusster Arbeit bedürfen, um den Frauen im staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Leben zu der Stellung zu verhelfen, die ihnen zukommt."

Weniger als ein Drittel Frauen

Wahrscheinlich hätte weder Juchacz noch ihre pessimistischste Zeitgenossin angenommen, dass dieses Ziel hundert Jahr später noch immer nicht erreicht ist. Denn von einer Geschlechterparität in der Volksvertretung ist in Deutschland auch 2021 nichts zu erkennen: Der Bundestag besteht in der 2017 vereidigten und nun zu Ende gehenden Gesetzgebungsperiode nicht einmal zu einem Drittel aus Frauen. 217 weibliche standen 497 männlichen Abgeordneten gegenüber.

Verglichen mit den Zuständen in früheren Jahrzehnten ist das freilich eine Verbesserung. Denn nicht nur in der jungen Bundesrepublik der Nachkriegszeit, sondern bis in die 1980er-Jahre hinein lag die Zahl der Parlamentarierinnen bloß im mittleren zweistelligen Bereich und betrug damit immer weniger als zehn Prozent. (Die Volkskammer der DDR wird hier übrigens nicht berücksichtigt.)

Weder die sexuelle Revolution noch die Selbstbestimmtheit durch die Pille in den 1960er- und 1970er-Jahren vermochte einen solchen gesellschaftlichen Umschwung herbeizuführen, dass er auch in der Zusammensetzung der Legislative Ausdruck fand; erst mit der Umweltschutzbewegung der 1980er und dem Einzug der Grünen in den Bundestag verdoppelte sich der langjährige Schnitt von rund 40 Mandatarinnen auf 80 im Jahr 1987. In etwa demselben Ausmaß erhöhte sich die Zahl der von Frauen besetzten Abgeordnetenstühle bei den drei darauffolgenden Wahlen. 1998 übertraf sie erstmals die 200er-Latte.

Neue gläserne Decke

Dort aber machte sich eine neue gläserne Decke bemerkbar, die sich bis heute hält. Der Anteil der Volksvertreterinnen stagniert seit Ende des vergangenen Jahrhunderts bei rund einem Drittel. Schlimmer noch: 2017 sank die Frauenquote erstmals wieder unter die 30,9 Prozent von 1998.

Geschuldet ist diese Tatsache den Parteien in der konservativen bis rechten Hälfte der Versammlung. Obwohl die CDU von 2000 bis 2018 mit Angela Merkel eine Vorsitzende hatte, blieb die Frauenquote bei der Wahlgemeinschaft aus Christlich-Sozialer und Christlich-Demokratischer Union in dieser Zeit konstant unter einem Viertel.

Fast verlaufsgleich mit jener der Union war die Kurve der liberalen FDP; noch weit darunter liegt der Frauenanteil der 2017 erstmals in den Bundestag eingezogenen rechtspopulistischen AfD: zehn Frauen bei 84 Männern.

Der Sozialdemokratie gelang es, einer Ausgewogenheit mit rund 40 Prozent deutlich näher zu kommen; doch auch dort stagniert ihr Wert seit mehreren Wahlgängen. Lediglich Grüne und Linke schaffen es seit Jahrzehnten, sich bei einer Geschlechterverteilung nahe der 50-Prozent-Marke zu bewegen.

Insgesamt nahmen damit seit der ersten Bundestagswahl 2.036 Frauen und 8.727 Männer auf Parlamentsstühlen Platz. Allein die Union entsandte in diesem Zeitraum 4.170 und damit mehr als doppelt so viele Männer ins Parlament wie Frauen von allen Parteien zusammen nominiert wurden.

Österreich steht im Übrigen nicht viel besser da. Der Frauenanteil im Nationalrat beschreibt seit 1949 einen nahezu parallelen Trend zum deutschen Bundestag – mit Abweichungen hie und da.

(Michael Matzenberger, 24.9.2021)