Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) will keinen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan verlautbaren.

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Wien– Es gebe keinen Abschiebestopp nach Afghanistan: Verbal versuchen die ÖVP und ihr Innenminister Karl Nehammer immer noch, diesen Eindruck zu erwecken. Man prüfe laufend die Situation und beurteile Abschiebungen individuell: So lautet seit Tagen die türkise Floskel. De facto sind Rückführungen aber angesichts des rabiaten Vormarsches der Taliban schon aus pragmatischen Gründen nicht mehr möglich. Das hat mehrere Gründe: Zum einen hat die Regierung in Kabul, die in Windeseile Gebiete verliert, deutlich gemacht, dass sie die Landung von Abschiebeflugzeugen aktuell nicht mehr bewilligt. Zum anderen sind Österreich auch die europäischen Partner abhandengekommen, um überhaupt von hier aus mit Fliegern abheben zu können.

Die EU-Grenzagentur Frontex hat die Durchführung von Abschiebungen nach Afghanistan schon seit längerem ausgesetzt, ab Mittwoch verkündeten neben anderen EU-Staaten auch Deutschland, mit dem Österreich kooperieren wollte, und Dänemark einen Stopp. Ob Österreich einen Alleingang bewerkstelligen könnte, ist mehr als fraglich.

"Unvorstellbar"

Das weiß auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der am Donnerstag auf "oe24.tv" sagte: "Auch wenn die eine oder andere Stimme aus dem Innenministerium anderes sagt: Abschiebungen gibt es derzeit nicht nach Afghanistan." Sie seien eingedenk der dramatischen Sicherheitslage auch in den kommenden Wochen "so gut wie unvorstellbar".

Abgesehen von der FPÖ, die weiter für Abschiebungen in das Bürgerkriegsland plädiert, unterstützen auch die Oppositionsparteien einen Stopp. SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner und Neos-Mandatar Helmut Brandstätter nannten Abschiebungen "unmöglich".

Verbot von Abschiebungen

Doch neben logistisch-praktischen Erwägungen gibt es auch rechtliche Gründe, die gegen die türkise Inszenierung eines harten Kurses sprechen. Der Wiener Völkerrechtler Ralph Janik wies darauf hin, dass aus der im Verfassungsrang stehenden Europäischen Menschenrechtskonvention folge, dass man niemanden in ein Land abschieben darf, in dem ihm Folter oder unmenschliche Behandlung droht. Dieses Verbot gelte absolut, also auch für Menschen, die straffällig geworden sind. Hinzu kommt, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) Anfang August Österreich durch eine einstweilige Verfügung die Abschiebung eines Afghanen nach Kabul untersagt hat.

Begründet wurde das vom EGMR mit der Entwicklung der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, von der naturgemäß auch andere vom Innenministerium zur Abschiebung vorgesehene Afghanen betroffen wären.

Appell des Roten Kreuzes

Auch aus dem ÖVP-Umfeld mehren sich die Stimmen, die einer offiziellen und beherzten Verkündung eines Abschiebestopps das Wort reden. So berichtete der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer – vormals steirischer ÖVP-Landesrat –, am Freitag in Ö1, dass ihm vor Ort befindliche Mitarbeiter die Lage in Afghanistan als "Hölle auf Erden" schilderten. Die heimische Politik solle den "aufrechten Gang" wählen, ihre rechtlichen Verpflichtungen einhalten und Menschen daher nicht den Taliban ausliefern. (ta, 13.8. 2021)