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Bald geht es in die Schule, und die Gefühle dabei sind gemischt. (Symbolbild)

Foto: getty images

Frage:

Unser Sohn kommt im September in die erste Klasse Volksschule. Die letzten Tage im Kindergarten sind gezählt und seit einigen Wochen bemerken wir, dass er hin- und hergerissen ist zwischen Vorfreude und Abschiednehmen. Er ist sehr gerne in die Kleinkindergruppe und in den Kindergarten gegangen, es gab nie Klagen, dass er heute mal nicht gehen mag, und genauso freut er sich auch auf die Schule, spielt zu Hause schon mit seinen Schulsachen, kennt sogar schon zukünftige Klassenkameraden, weil sie mit ihm auch in den Kindergarten gegangen sind.

Dennoch spüre ich, dass er seine Gefühle nicht ganz einordnen kann. Einmal will er wieder klein und ein Baby sein, kuschelt viel und sucht Nähe, im nächsten Moment reagiert er aggressiv auf alles. Und auch mit uns als Eltern macht die Verabschiedung der Kindergartenzeit etwas. Bald haben wir ein Schulkind, und wir haben das Gefühl, es geht alles viel zu schnell. Wahrscheinlich sind es ähnliche Gefühle wie bei unserem Sohn. Während wir zwar sentimental sind, können wir aber mit dem Umbruch gut umgehen, aber wie können wir unseren Sohn besser in diesem Übergang begleiten? Vor allem seine aggressiven Phasen lassen uns manchmal ratlos werden, und wir wissen nicht, wie wir damit am besten umgehen sollen.

Vielen Dank!

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Es ist ganz richtig, dass Ihr Sohn wie alle Kinder erst lernen muss, seine Gefühle einzuordnen, die die verschiedenen Lebenserfahrungen mit sich bringen. Und dazu gehört auch, dass das Leben weitergeht und damit immer wieder Umstellungen und Abschiede ins Haus stehen. Doch diese Tatsache muss und sollte kein Drama sein – ganz wie in der folgenden Szene, die wir alle kennen: Ein kleines Kind, das soeben laufen gelernt hat, fällt hin. Was macht es dann? Als Erstes blickt es zu seinen Eltern, um zu sehen, wie diese reagieren. Sind sie entsetzt und panisch, ist auch der Schrecken des Kleinen oft groß und entsprechend heftig das umgehend einsetzende Geheul. Beschwichtigen die Eltern aber das Kind und nehmen sie es falls nötig in den Arm, ist das Ganze meist schnell vergessen. Selbst wenn das Kind sich wehgetan hat, beruhigt es sich meist nach kurzer Zeit wieder.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Andrea Diemand

Bei einer Umstellung wie beim Wechsel vom Kindergarten in die Volksschule gilt dieselbe Regel: das Drama herausnehmen und das Kind dabei unterstützen, dass es den Wechsel als etwas Positives erlebt. Wenn seine Neugier gefördert wird und es sie nutzen lernt, wird die Umstellung kein Verlust des Alten, sondern ein Gewinn des Neuen und zugleich eine wesentliche Grunderfahrung für sein weiteres Leben. Dazu kann es notwendig sein, dass Eltern ihre eigenen Gefühle zurückstellen, also wenn sie sich selbst schwertun mit Umstellungen, ihre Gefühle im Zaum halten und nicht in das Kind hineinprojizieren. Kinder streben aufgrund ihrer angeborenen Neugier von sich aus voran, und das ist gut so für sie. Darin sollten sie unterstützt werden. Schwierig sind Umstellungen für Kinder normalerweise nur, wenn sie Trennungen in der Zeit vor dem Einsetzen des eigentlichen Bewusstseins erleben mussten (Brutkasten, Krankenhausaufenthalte etc.). Dann kann es sein, dass Umstellungen für sie zur Wiederholung der alten traumatisierenden Trennung werden. Hier sollten die Eltern die kindlichen Gefühle mit Verständnis, Erklären und Trösten auffangen. Die Tatsache, dass Ihr Sohn, wenn er müde ist, zum anschmiegsamen Kleinkind mutiert, ist ganz normal. Denn beim Einschlafen gerät jeder von uns in eine Regression, in ein Zurückschalten der Psyche auf ein frühkindliches Niveau. Und dann ist es gut, Sicherheit zu spüren, besonders durch körperliche Nähe. Auch das gilt für jeden Menschen in jedem Alter.

Und was die Aggressionen Ihre Sohnes angeht, gilt ebenfalls wie immer die Regel, dass alle Gefühle erlaubt sind, weil sie aufgrund der Art und Weise, wie unser Gehirn arbeitet, gar nicht verboten werden können. Hier besteht eine zentrale Aufgabe von Erziehung darin, dass ein Kind am vorgelebten Beispiel seiner Eltern lernen muss, seine Gefühle zu erkennen, einzuordnen und mit ihnen umzugehen. Ganz besonders gilt das für Aggressionen, weil der Umgang mit ihnen oft schwierig ist, und weil es notwendig ist, sie in gesellschaftlich angemessenen Formen zu beherrschen. Das heißt, Eltern sollten ihren Kindern auch aggressive Gefühle erklären, sie erkennen lassen, was für ein Gefühl sie gerade haben, warum es da ist und zugleich was sie mit diesem Gefühl anfangen können, es nutzen, wo das geht, oder es begrenzen und abbauen helfen, wo es keine Möglichkeit gibt, es zu nutzen. Dabei sollte der Blick darauf gelenkt werden, dass alle Gefühle in meist recht kurzer Zeit wieder vorübergehen. Als Vergleich kann die Verdauung dienen: So wie Nahrung müssen auch Gefühle eben psychisch regelrecht verdaut werden. Je selbstverständlicher Eltern ihren Kindern das beibringen und vorleben, desto leichter lernen sie das, und desto leichter tun sie sich im Leben. (Hans-Otto Thomashoff, 16.8.2021)

Antwort von Linda Syllaba

Oh ja, die Zeit vergeht tatsächlich wie im Flug mit kleinen Kindern, schließlich ist da immer was los! Eine Phase folgt auf die nächste und jedes Mal bedeutet es, Abschied zu nehmen von der davor. Leben ist nun mal Veränderung, und Kinder führen uns das besonders deutlich vor Augen. Ich finde, Sie können Ihre Gedanken zum anstehenden Wechsel mit Ihrem Sohn teilen. Er selbst wird von sich aus vielleicht nicht verbalisieren können, was ihn beschäftigt. Da kann es ihm helfen, wenn Sie es tun. Er kann dann für sich prüfen, ob er ähnliche Gedanken und Gefühle hat. So wie Sie ihm bestimmt Nähe geben, wenn er sie sucht, bleiben Sie verfügbar, wenn er aggressive Gefühle hat. Er braucht Sie in diesen Momenten mindestens genauso. Selbst wenn Sie ratlos sind, was genau der Auslöser dafür ist, können Sie erst einmal benennen, was Sie wahrnehmen. "Ich merke, dass du sauer bist, ich weiß nur nicht, woran das liegt." Je nachdem, wie er reagiert, können Sie weiters sagen, was Ihre Idee dazu ist (sofern er selbst nichts sagt): "Kann es sein, dass es dich ärgert, dass …?" So können Sie mit ihm in Beziehung gehen, empathisch begleiten, was vorgeht.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: Bianca Kübler Photography

Zeigen Sie Verständnis, es ist ja grundsätzlich nichts Schlimmes dabei, auch Gefühle wie Ärger oder Frust zu haben. Mit sechs Jahren hat er ja bereits die eine oder andere Strategie entwickelt, damit umzugehen. Manches muss er vielleicht erst lernen, also wie er sozialverträglich seine Gefühle managt. Leben Sie ihm vor, wie es gelingen kann – Vorbildwirkung ist immer am wichtigsten. Und den Rest begleiten Sie, klar, falls notwendig ("Nein, hauen lasse ich mich nicht! Hör auf damit!"), und ansonsten empathisch, wie oben beschrieben. Wichtig ist für Ihren Sohn, dass er nicht alleingelassen wird in seiner "Not" und auch nicht bestraft wird dafür, dass er sie überhaupt verspürt. Doch Ihren Zeilen entnehme ich, dass Sie ohnehin sehr bemüht sind, auf ihn einzugehen. Nur noch ein Gedanke: Vielleicht ist es ja nicht allein der Wechsel in die Schule, die ihn beschäftigt? Mich würde interessieren, was sonst noch so in seinem Leben los ist. Neue Geschwister, andere innerfamiliäre Veränderungen oder schlichtweg körperliche Wachstumsschübe? Oft ist es ja doch eine Mischung aus mehreren Faktoren. (Linda Syllaba, 16.8.2021)