Birgit Minichmayr in der Titelrolle auf der Perner Insel: Maria Stuart, Königin von Schottland, kurz vor ihrer Hinrichtung.

Foto: APA/Barbara Gindl

Maria Stuarts Widersacherin, Königin Elisabeth von England (Bibiana Beglau), bei den Salzburger Festspielen auf der Perner Insel – mit Norman Hacker (re.) und Oliver Nägele).

Foto: APA/Barbara Gindl

Auch wenn sich zwei Königinnen ein Duell liefern, so ist der Hof zur Tudorzeit doch eine Männerwelt. Das ist die optisch dominierende und auch einzige These Martin Kušejs in seiner Inszenierung der "Maria Stuart" bei den Salzburger Festspielen. Ein wahrer Skulpturenpark nackter Männerpopos bestimmt hier das bildmächtige Theater des Regisseurs, der das Schiller-Drama pandemiebedingt nun nach einem Jahr Verspätung zur Premiere bringen konnte. Mit 5. September übersiedelt es ans Burgtheater.

Erstaunlich ist, dass dieses von Schuld und Vergebung erzählende und von einem alteuropäischen Religionsdisput grundierte Drama erst jetzt das allererste Mal bei den Salzburger Festspielen zu sehen ist. Auf der Perner Insel in Hallein, der Spielstätte für die großformatigen Festspielarbeiten, streifen im fensterlosen Kessel einer dreiseitigen Bühne (Annette Murschetz) diverse Lords, Grafen, Ritter und Gesandte durch die hellhörigen Gänge jenes nach Bedarf choreografierten nackten Menschenspaliers und lauern auf die nächsten Schritte.

Manchmal ist selbst ein ausdauernder Scharfmacher wie der eitle Burleigh (Norman Hacker) froh, sich an einer der Schultern ausruhen zu können. Denn es atmet sich schwer in einer Zeit höchst delikater Entscheidungen. Sauerstoffmasken bezeugen es, der Staat hängt – dem pumpenden Sound Bert Wredes nach – an der Lungenmaschine.

Zu viele Berater

Soll über die schottische Königin Maria Stuart (Birgit Minichmayr), die Feindin, welche Ansprüche auf den englischen Thron erhob, das Todesurteil verhängt werden? Soll die stete Gefahr der machthungrigen Katholikin, die auch vor Mord nicht zurückschreckt, so ein für alle Mal gebannt werden? Elisabeth (Bibiana Beglau) weiß es nicht. Die englische Königin ist eine von allen Seiten überberatene Regentin, deren Einflüsterer – und hier kommt nun Friedrich Schillers Rosamunde-Pilcher-Anteil dieses Historienstücks zum Tragen – von Liebesleidenschaft getrieben sind:

Der seit seiner katholischen Erweckung ganz der Schönheit Marias verfallene junge Mortimer (Frank Pätzold) setzt am Hof ein protestantisches Gesicht auf, plant in Wahrheit aber Marias Befreiung aus dem Kerker. An Janusköpfigkeit übertrifft ihn nur Graf Leicester (Itay Tiran), der in dieser hart choreografierten und kalt gespielten Inszenierung eine vibrierende Koordinate darstellt: Unsterblich in Maria verliebt, ließen die Qualen ihrer Gefangenschaft ihn über die Jahre verwahrlosen. Einem Sandler gleich schleicht er mit Bierdose im Mantelärmel herum und muss sich doch den Anschein geben, einzig der englischen Königin zu dienen, die ihn zu allem Überfluss selbst begehrt. Das Menschliche halten diese Figuren tief drinnen in ihren jeweils zur politischen Skulptur geformten Körpern fest verborgen. Umso aufregender ist es, wenn es doch einmal aufblitzt.

Mächtige Mähne

Die Menschlichste von allen ist natürlich die Stuart, denn sie muss hier (160 pausenlose Minuten) mit allen Mitteln gegen den ihr gewissen Tod anrennen – und Minichmayr löst das bestechend ein. Ihrer Brokatgewänder entledigt, in den abgeschnürten Resten eines Korsetts an einem den schwarzen Bühnenboden dramatisch querenden roten Seil wie ein Hund gefesselt, stimmt sie in ihren Verteidigungsreden die aufrichtigsten Tonlagen an.

Sie hält den schon durch seine mächtige rote Mähne gekrönten Kopf dabei leicht gesenkt, wirft sich vor der Kontrahentin in den Staub, um aber dann – sie kann von ihrem Selbstverständnis nicht abrücken – doch in voller Härte ihre Überlegenheit zu offenbaren. Elisabeth rast. Was Maria an pulsierendem Leben erahnbar macht, verkerkert die Protestantin Elisabeth in sich selbst.

Beglau windet sich in ihrem stets angespannten Amtskörper, der alle Verhärtungen dieses politischen Postens über die Jahre gespeichert hat. Und die Pointe in Kusejs Inszenierung bleibt, dass die beiden Heroinnen am Ende doch Spielball einer Männerwelt geblieben sind, die sich – mit Ausnahme des gewissenhaften Staatsmanns Shrewsbury (Oliver Nägele) – von privaten Empfindungen leiten lässt. Beide Königinnen sind Objekt der Begierde und werden, wie ihrem Geschlecht seit eh und je zugemutet, körperlich bedrängt, an der Taille umfasst, oder – wie es sich für einen Puritanter wie Burgleigh geziemt: nur verboten befingert. Ein bisschen weniger Königinnenschluchzen hätte – apropos Geschlechterklischee – da auch gereicht.

Tante und Nichte

Politische und konfessionelle Beharrlichkeit allein sind eben doch zu dürre Komponenten eines vom Publikum akklamiert sein wollenden Theaters. Der späte Friedrich Schiller hatte seine Lektionen gelernt und den in der Literaturgeschichte zuvor schon viele Male aufgegriffenen Stuart-Stoff herzschmerzmäßig zugespitzt. Auch die persönliche Begegnung der beiden Königinnen ist bekanntlich historisch nicht belegt, sondern eine Idee des Autors. Übrigens waren Elisabeth und Maria im echten Leben Tante und Nichte.

Das Theaterstück ist derart perfekt, die jambischen Dialoge so ausgefeilt und tiefschürfend, dass Kušej es vorzieht, sich ganz auf die Schauspielkunst zu konzentrieren und diese in betörende monothematische Bilder zu platzieren – sein Markenzeichen. Die messerscharfen Reden über gekaufte Politik bekommen aus Minichmayr Mund ausreichend Echo: "Ich sehe diese würd‘gen Peers mit schnell vertauschter Überzeugung unter vier Regierungen den Glauben viermal ändern".

Blutige Spuren

Wuchtig schwingt gleich zu Beginn nach einem schneidenden Guillotinehieb das abgetrennte Haupt der Stuart an einem Seil knapp über den Köpfen des englischen Volkes hin und her. Samt Blutfaden. Da japst das Publikum. Die abwaschbaren Wände des Palasts zu Westminster changieren in kaltem Licht, und einmal hinterlassen die Männer bei einem aufrührerischen Rundlauf (Choreografie: Daniela Mühlbauer) auf ihnen blutige Spuren. Da kommt die vierschrötige Theatermaschine Kušejs dann ins Rollen. Den Glutkern darin bilden die Schauspielerinnen und ihre magnetischen, auch auf Distanz und sogar in jeweiliger absentia hervorragend miteinander korrespondierenden Performances. Für alle gab es stürmischen Applaus. (Margarete Affenzeller, 15.8.2021)