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Menschen verbringen die Nacht im Garten des Spitals in Les Cayes, nachdem das Beben ihre Häuser zerstört hat.

Foto: AP / Joseph Odelyn

Port-au-Prince – Nach dem schweren Erdbeben im Südwesten Haitis ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 304 gestiegen. Mindestens 1.800 Menschen wurden verletzt und hunderte weitere sind nach wie vor vermisst. In der Stadt Les Cayes, in der rund 126.000 Menschen leben, stürzten laut Behördenangaben etliche Gebäude ein, darunter Wohnhäuser und Kirchen. Premierminister Ariel Henry rief einen dreißigtägigen Notstand aus. Es kam zu mehreren Nachbeben, zudem naht ein Sturm.

Das Beben der Stärke 7,2 ereignete sich gegen 8.30 Uhr etwa 125 Kilometer westlich der Hauptstadt Port-au-Prince in einer Tiefe von rund zehn Kilometern. Es weckt Erinnerungen an das verheerende Erdbeben im Jahr 2010, das mehr als 200.000 Menschenleben gefordert hatte. Interims-Premier Henry sprach von einer "dramatischen" Situation und rief zu Solidarität auf.

In der vom Beben betroffenen Region gibt es nur wenige Krankenhäuser. Das Gesundheitsministerium entsandte zwar Personal und Medikamente, doch wurden die Hilfseinsätze durch die prekäre Sicherheitslage erschwert. Die einzige Straßenverbindung in die Katastrophenregion führt durch das Armenviertel Martissant von Port-au-Prince, wo seit Anfang Juni kriminelle Banden die Kontrolle übernommen haben.

Das Erdbeben suchte Haiti zu einem Zeitpunkt heim, in dem das bitterarme Land mitten in einer schweren politischen Krise steckt. Diese war durch tödliche Attentat auf den Präsidenten Jovenel Moïse von Anfang Juli ausgelöst worden.

USA sagen Hilfe zu

US-Präsident Joe Biden hat Haiti die Unterstützung der USA zugesagt. "Die Vereinigten Staaten bleiben dem haitianischen Volk ein enger und beständiger Freund, und wir werden auch nach dieser Tragödie da sein", hieß es in einer Mitteilung des US-Präsidenten am Samstagnachmittag (Ortszeit).

Der Nationale Wetterdienst der USA (NOAA) gab nach dem Beben zunächst eine Tsunami-Warnung heraus – hob diese aber kurze Zeit später wieder auf. Die US-Erdbebenwarte USGS rief mit Blick auf mögliche Todesopfer die Alarmstufe Rot aus: Das bedeutet, dass eine hohe Opferzahl möglich ist. Sie zog Parallelen zu dem verheerenden Beben von 2010, das die Stärke 7,0 erreicht hatte. Dieses habe sich nur rund 75 Kilometer östlich auf derselben Halbinsel ereignet.

Nachbeben bis zu Stärke 5,2

Im weiteren Verlauf des Samstags wurde Haiti von mehreren Nachbeben erschüttert, die nach USGS-Angaben Stärken bis zu 5,2 erreichten. Die US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit (USAID) schrieb auf Twitter, Experten für Katastrophen seien vor Ort, um die Schäden zu beurteilen.

Die Karte der US-Behörde USGS zeigt die betroffene Region.
Foto: EPA / USGS Handout

Die Landesdirektorin der Welthungerhilfe für Haiti, Annalisa Lombardo, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man versuche in Erfahrung zu bringen, wie viele Menschen betroffen seien. Es sei klar, dass es erhebliche Schäden an Gebäuden gebe. In der Hauptstadt Port-au-Prince, wo Lombardo sich aufhielt, hätten zwar die Wände ihres Hauses stark gewackelt. Größere Schäden habe das Erdbeben in der Hauptstadt aber wohl nicht angerichtet.

Versorgung unterbrochen

Lombardo rechnete damit, dass es bei der Versorgung von Opfern auch Probleme wegen der Infrastruktur geben wird. Der Weg aus Port-au-Prince führe durch eine Gegend, die von Gangs kontrolliert werde. Diese würden auf vorbeifahrende Autos schießen. Offenbar sei auch eine Brücke beschädigt worden, die zur Versorgung der Menschen gebraucht werde.

Das Epizentrum des Erdbebens von 2010 lag nahe der dicht besiedelten Hauptstadt Port-au-Prince. Damals starben rund 222.000 Menschen, mehr als 300.000 wurden verletzt. Mehr als eine Million Menschen verloren ihr Zuhause. Die Schäden durch das Beben wurden auf 8 Milliarden US-Dollar (6,2 Milliarden Euro) geschätzt. Der Wiederaufbau kam auch durch die politische Instabilität nur schleppend in Gang.

Der bitterarme Karibikstaat Haiti wird immer wieder von schweren Beben heimgesucht. Zuletzt stürzte eine politische Krise das Land weiter ins Chaos. Im Juli war Präsident Jovenel Moïse ermordet worden. Er wurde in seiner Residenz von einer schwer bewaffneten Kommandotruppe überfallen und erschossen. (APA, dpa, 15.8.2021)