Gerd Müller (1945–2021)

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Müller mit dem WM-Pokal von 1974.

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Er war der König.

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Die Ballannahme war nicht optimal. Rainer Bonhofs flache Hereingabe sprang Gerd Müller leicht vom Fuß, weg vom Tor. Andere hätten jetzt vielleicht für den am Sechzehner freistehenden Uli Hoeneß aufgelegt, aber nicht Gerd Müller, denn Gerd Müller schoss Tore.

Der Stürmer machte zwei schnelle Schritte, zog aus der Drehung ab – und brachte Westdeutschland 2:1 in Führung. "Tore, die Müller macht – die eigentlich nur Gerd Müller macht, weil er die kürzesten Reflexe hat", kommentierte Rudi Michel an diesem 7. Juli 1974 für das deutsche Fernsehen.

Es blieb bei diesem 2:1, Westdeutschland wurde im Münchner Olympiastadion Weltmeister. Und Müller war endgültig eine Legende. Am Sonntag ist der "Bomber der Nation" in einem Pflegeheim südlich von München im Alter von 75 Jahren gestorben.

"Die Welt des FC Bayern steht still", schrieb der deutsche Rekordmeister. "Es ist ein trauriger, schwarzer Tag für den FC Bayern. Gerd Müller war der größte Stürmer, den es je gegeben hat – und ein feiner Mensch, eine Persönlichkeit des Weltfußballs", sagte Präsident Herbert Hainer. Müller galt als bester Stürmer, den Deutschland je hatte. Der Strafraum war sein Revier, dort traf er aus allen Lagen und auf alle Arten. "I hau halt immerzu aufs Tor", sagte Müller, "wenn ich drei Sekunden zum Überlegen hätte, wär's vorbei."

Vor gut sechs Jahren hatten die Bayern öffentlich gemacht, was nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten wusste: Der ewige Torjäger war an Alzheimer erkrankt und lebte in einem Pflegeheim. Dort kämpfte er bis Sonntag gegen das Vergessen.

Schon vor Wochen hatte seine Ehefrau Uschi in der "Sport Bild" erzählt, dass ihr geliebter Gerd sich in einer "traurigen Lage" befinde. "Er schläft langsam hinüber." Sie hoffe nur, "dass er nicht nachdenken kann über sein Schicksal, über eine Krankheit, die dem Menschen die letzte Würde raubt".

Still

Müller war immer der Stille, der schüchterne und bescheidene Star, der von all dem Trubel um seine Person wenig hielt. Als ihn der FC Barcelona in den 1970er-Jahren mit dem astronomischen Jahresgehalt von 600.000 Mark köderte, lehnte er ab. "I mog ned, i kann doch ned mehr als ein Schnitzel am Tag essen", sagte er.

"Kleines dickes Müller", wie ihn der frühere Bayern-Coach Tschik Cajkovski einst liebevoll genannt hatte, erzielte in 62 Länderspielen 68 Tore. 1972 wurde er Europameister, nach dem WM-Triumph 1974 trat er verärgert über den DFB aus der Nationalmannschaft aus.

In der Bundesliga müllerte er weiter: 365 Tore gelangen ihm, allein 40 in der Saison 1971/72 – diesen Bestwert knackte im Sommer erst Robert Lewandowski mit 41 Toren. Auch der aktuelle Torjäger wehrte sich stets gegen Vergleiche mit dem "Bomber". Gerd Müller, sagte Lewandowski, werde "immer unerreicht bleiben. Ein Idol."

Während Beckenbauer oder Uli Hoeneß nach der Karriere im Rampenlicht blieben, scheute Müller die Öffentlichkeit. Der gelernte Weber war kein Charismatiker, er hatte Probleme mit dem Leben außerhalb des Fußballs. In den 1980er-Jahren verfiel er dem Alkohol, auch finanziell und privat soll er damals in Not geraten sein.

Seine Spezln Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß fingen ihn auf, gaben ihm eine Aufgabe als Co-Trainer der Bayern Amateure und wieder Halt. "Ohne die Hilfe meiner Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft", sagte Müller einmal. "Nach vier Wochen bin ich aus der Kur gekommen. Es in so kurzer Zeit zu schaffen, das war schon eine Leistung." Bis zuletzt standen die Bayern ihrem "Gerdchen" (Ex-Trainer Dettmar Cramer) zur Seite. (schau, sid, 15.8.2021)

Reaktionen

Herbert Hainer (Präsident Bayern München): "Heute ist ein trauriger, schwarzer Tag für den FC Bayern und all seine Fans. Gerd Müller war der größte Stürmer, den es je gegeben hat – und ein feiner Mensch, eine Persönlichkeit des Weltfußballs. Wir sind in tiefer Trauer vereint mit seiner Frau Uschi sowie seiner Familie. Der FC Bayern wäre ohne Gerd Müller heute nicht der Klub, wie wir ihn alle lieben. Sein Name und die Erinnerung an ihn wird auf ewig weiterleben."

Oliver Kahn (Vorstandsvorsitzender Bayern München): "Die Nachricht von Gerd Müllers Tod macht uns alle tief betroffen. Er ist eine der größten Legenden in der Geschichte des FC Bayern, seine Leistungen sind bis heute unerreicht und werden auf ewig Teil der großen Geschichte des FC Bayern und des gesamten deutschen Fußballs sein. Gerd Müller steht als Spieler und als Mensch wie kaum ein anderer für den FC Bayern und seine Entwicklung zu einem der größten Vereine weltweit. Gerd wird für immer in unseren Herzen sein."

Rainer Koch (DFB-Co-Interims-Präsident): "Wir sind traurig, von dieser Ikone unseres Sports Abschied nehmen zu müssen und mit den Gedanken bei seiner Familie und seinen Angehörigen. Was bleibt ist die Erinnerung an einen großartigen Fußballspieler und die Dankbarkeit von ganz Fußballdeutschland für unglaublich viele großartige Tore und ganz besonders den für immer unvergesslich bleibenden Siegtreffer zum 2:1 im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in München gegen die Niederlande."

Hansi Flick (Deutscher Bundestrainer): "Die Nachricht von Gerd Müllers Tod macht mich unendlich traurig. Er hat über seine aktive Zeit hinaus ganze Fußballer-Generationen geprägt. Gerd Müller bleibt ein Vorbild an Bescheidenheit und Bodenständigkeit. Er bleibt unerreicht."

Hans-Joachim Watzke (Geschäftsführer Borussia Dortmund): "Gerd Müller war eines der größten Idole meiner Kinder- und Jugendzeit. Ich hatte die große Ehre, ihn persönlich als einen sehr bescheidenen und angenehmen Menschen kennenlernen zu dürfen. Er war ein außergewöhnlicher Spieler, dem der FC Bayern und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft unendlich viel zu verdanken haben."

Rudi Völler (Geschäftsführer Sport Bayer Leverkusen): "Gerd Müller war einer der größten Torjäger aller Zeiten, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Natürlich war er auch für mich als Stürmer ein Vorbild. Es ist ein trauriger Tag für den Fußball, Gerds Leistungen werden unvergessen bleiben."

Bastian Schweinsteiger (bei Twitter): "Danke Gerd! Ohne diesen Mann wäre der FC Bayern nicht das, was er heute ist – und die meisten unserer Karrieren wären wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Meine Gedanken sind bei seiner Familie, ich bin dankbar, ihn einen meiner Trainer nennen zu dürfen."

Stefan Effenberg (Ex-Nationalspieler und Ex-Bayern-Kapitän bei t-online): "Ob für den FC Bayern, den deutschen Fußball oder den Weltfußball: Mit Gerd Müller ist ein ganz Großer gegangen. Es ist schwer, Worte zu finden. Für mich persönlich war es immer eine riesige Ehre, mich beim FC Bayern mit ihm austauschen zu dürfen. Er war auch menschlich und einfach in jeder Hinsicht ein ganz, ganz Großer."

Gary Lineker (ehemaliger Torjäger aus England): "Es tut mir sehr leid zu hören, dass Gerd Müller verstorben ist. Ich habe ihm als Kind gerne zugesehen und dabei so viel gelernt. Der beste Strafraumstürmer, den ich je gesehen habe."