Eine hervorragende Krassimira Stoyanova in Grafenegg

Foto: Johannes Ifkovits

Zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts (…) mehr selbstverständlich ist." Der berühmte Beginn von Th. W. Adornos Ästhetischer Theorie ließe sich leicht adaptiert auf die pandemische Gesamtsituation übertragen. Alles kann sich ständig ändern, und so kann es einem Festival wie jenem in Grafenegg passieren, dass die Eröffnung Anno Coronae 1 (also 2020) ins Wasser fällt. Und dass im Jahr darauf (A. C. 2 aka 2021) am Vorabend der Eröffnung ein Mitglied des Wiener Singvereins ein positives Testergebnis erhält und trotz Impfung dieser Person und fast aller anderen Chormitglieder die niederösterreichische Landessanitätsdirektion verfügt, dass der Chor bei Verdis Messa da Requiem nicht auftreten darf.

Möglich wäre dann, das Programm zu ändern und zum Beispiel – dramaturgisch schlüssig – die Ouvertüre zu Verdis Oper Die Macht des Schicksal zu spielen (was auch gemacht wurde). Doch in Grafenegg entschloss man sich zu einem weitaus originelleren Schritt – nämlich das Requiem für vier Solisten, Chor und Orchester kurzerhand ohne Zweiteren (und mit Streichung nur einiger weniger Passagen) zu spielen. Eine "Weltpremiere", wie Intendant Rudolf Buchbinder diese Entscheidung lächelnd beschönigte.

Ungläubig ließ sich beobachten, wie der Plan vom Tonkünstler-Orchester und seinem Chefdirigenten Yutaka Sado tatsächlich mit vollem Einsatz und allem Ernst umgesetzt wurde. Ein "Experiment", wie manche meinten? Ein "gelungenes", wie ebenfalls zu lesen war? Leider nein. Es erscheint hier deshalb leider auch unpassend, die Tessitura des Tenors, die Behändigkeit des Basses, die Strahlkraft des Soprans oder die Messa di voce des Mezzos zu loben (und ja: Krassimira Stoyanova, Clémentine Margaine, Piotr Beczała und René Pape waren natürlich hervorragend).

Schlichtweg absurd

Eigentlich unnötig zu sagen, aber: Der Chor in Verdis Requiem hat – um vom für die Botschaft des Werks auch nicht ganz unbedeutenden Text einmal zu schweigen – derart zentrale Passagen, dass die Aufführung hinsichtlich ihres musikalischen Sinns schlichtweg absurd war. Macht das Beispiel Schule, werden jedoch ganz neue Festivalideen denkmöglich: Otello ohne Jago, Jedermann ohne Buhlschaft, ein Violinkonzert ohne Sologeige oder ein Liederabend nur mit Klavierbegleitung. Und in der Pause Sandwiches ohne Belag.

Im Ernst: Grafenegg bietet bis zum 5. September ein hochkarätiges Programm. Möge es unter einem guten Stern stehen. (16.8.2021)