Die Suche nach Opfern in der Stadt Les Cayes im Westen Haitis geht weiter.

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Port-au-Prince – Bei einem verheerenden Erdbeben in Haiti sind laut offiziellen Angaben 1.419 Menschen ums Leben gekommen. Rund 6.900 Personen seien verletzt worden, teilte die Zivilschutzbehörde am Sonntag mit. In der Stadt Les Cayes, in der rund 126.000 Menschen leben, stürzten laut Behördenangaben etliche Gebäude ein, darunter Wohnhäuser und Kirchen. Premierminister Ariel Henry rief einen 30-tägigen Notstand aus. Es kam zu mehreren Nachbeben. Zudem droht ein Tropensturm zusätzlichen Schaden anzurichten.

Es regnete bereits am Montagabend stark im Erdbebengebiet auf der Tiburon-Halbinsel um Les Cayes und Jérémie. Laut US-Hurrikanzentrum wurde erwartet, dass das Zentrum des Tiefdruckgebiets Grace mit Windgeschwindigkeiten von etwa 55 Stundenkilometern in der Nacht über die Halbinsel zieht. Die US-Behörde warnte vor möglichen Überschwemmungen und Erdrutschen. Viele Überlebende übernachteten bisher im Freien.

Hilfsteams

Die Opferzahlen wurden immer wieder nach oben korrigiert, es gebe vorerst keine abschließende Beurteilung der Lage, hieß es vonseiten des Österreichischen Roten Kreuzes. Am Montag sollten die ersten Rotkreuzteams aus umliegenden Ländern eintreffen. "Die Hilfsteams des Roten Kreuzes versorgen die Menschen derzeit mit Nahrung, Trinkwasser und leisten Erste Hilfe", schilderte ÖRK-Generalsekretär Michael Opriesnig. "Im zweiten Schritt wird es um Notunterkünfte und psychosoziale Unterstützung gehen."

Das Zentrum des Bebens der Stärke 7,2 lag nahe der Ortschaft Petit Trou de Nippes, etwa 150 Kilometer westlich der Hauptstadt Port-au-Prince, in einer Tiefe von zehn Kilometern, wie die US-Bebenwarte USGS mitteilte. Es war bis Kuba und Jamaika zu spüren. Das Hauptbeben ereignete sich gegen 8.30 Uhr, es folgten mehrere Nachbeben. Eine anfängliche Tsunami-Warnung wurde wenig später aufgehoben.

Nur wenige Krankenhäuser

Das Beben richtete in mehreren Städten schwere Schäden an. Zahlreiche Gebäude stürzten ein, darunter ein mehrstöckiges Hotel in Les Cayes. Zahlreiche Einwohner beteiligten sich an den Bergungsarbeiten. Dank der raschen Reaktion von Rettungskräften und Bürgern seien viele Verschüttete lebend geborgen worden, teilte der Zivilschutz mit. Regierungschef Henry rief einen einmonatigen Ausnahmezustand in den vier von dem Beben betroffenen Verwaltungsbezirken aus. Er appellierte an die Bevölkerung, Solidarität zu zeigen und nicht in Panik zu geraten.

In der vom Beben betroffenen Region gibt es allerdings nur wenige Krankenhäuser. Das Gesundheitsministerium entsandte zwar Personal und Medikamente, doch wurden die Hilfseinsätze durch die prekäre Sicherheitslage erschwert. Die einzige Straßenverbindung in die Katastrophenregion führt durch das Armenviertel Martissant von Port-au-Prince, wo Anfang Juni kriminelle Banden die Kontrolle übernommen haben.

Die haitianische Menschenrechtsorganisation RNDDH kritisierte den Umgang der Regierung mit der Katastrophe als "totales Chaos". "Sie sind völlig sich selbst überlassen", hieß es in Bezug auf die Erdbebenopfer.

Stärker als Beben 2010

Das Erdbeben war sogar noch etwas stärker als das verheerende Beben vom Jänner 2010, bei dem in Haiti mehr als 200.000 Menschen ums Leben kamen und mehr als 300.000 verletzt wurden. Rund 1,5 Millionen Menschen wurden damals obdachlos. Der Schaden an Wohnhäusern und Infrastruktur war immens.

Haiti – der ärmste Staat des amerikanischen Kontinents – hat sich bis heute nicht von den Folgen des damaligen Bebens erholt. Noch tiefer in die Krise rutschte das Land seit dem vergangenen Jahr durch die Corona-Pandemie, die Zunahme der Bandenkriminalität und den Mordanschlag auf Präsident Jovenel Moïse.

Die USA boten Soforthilfe an. Es mache ihn traurig, dass Haiti in einer ohnehin schwierigen Zeit von einem Erdbeben getroffen worden sei, erklärte Präsident Joe Biden. Nach seinen Angaben wollen die USA bei der Bergung von Verletzten und beim Wiederaufbau helfen. Auch mehrere lateinamerikanische Staaten sowie Spanien stellten rasche Hilfe in Aussicht.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach den Menschen ihr "tief empfundenes Beileid" aus. "Die Solidarität von allen kann die Konsequenzen der Tragödie mildern", sagte Papst Franziskus. Das Österreichische Rote Kreuz gab am Sonntag bekannt, 75.000 Euro aus dem Katastrophenfonds zur Unterstützung der Opfer bereitzustellen. "Bitte helfen auch Sie", forderte Generalsekretär Opriesnig. (red, APA, Reuters, 15.8.2021)