Als John Allen das Kommando der Isaf übernahm, der Nato-Schutztruppe in Afghanistan, unterstanden ihm mehr als 130.000 Soldaten. Für den amerikanischen Viersternegeneral sollte der Einsatz am Hindukusch, von 2011 bis 2013, das Sprungbrett für eine steile politische Karriere sein: Hillary Clinton hatte ihn für eine prominente Rolle in ihrem Kabinett vorgesehen.

Vor knapp 20 Jahren sicherten US-Soldaten die amerikanische Botschaft in Kabul mit Stacheldraht ab. Dieses Kapitel endet dieser Tage.
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Doch daraus wurde nichts, weil es bekanntlich der Republikaner Donald Trump war, der 2016 die Wahl schließlich überraschend gewann. Statt eines Minister- oder höchstrangigen Beraterpostens übernahm Allen die Leitung der Brookings Institution, eines der angesehensten Thinktanks in Washington.

Allens Wort hat Gewicht, weshalb ein Essay, in dem er dem nunmehrigen US-Präsidenten Joe Biden in letzter Minute zur Kursänderung in Afghanistan riet, für Aufsehen sorgte. Dem Pentagon empfahl Allen, auf die Drehscheibe amerikanischer Militäroperationen zurückzukehren und auf die erst im Juli von den USA aufgegebene (und am Sonntag von den Taliban eroberte) Luftwaffenbasis Bagram. Luftschläge müssten intensiviert, rings um Kabul müsse eine rote Linie gezogen werden, um den Vormarsch der Islamisten wenigstens vor der Hauptstadt zu stoppen, schrieb Allen. Sollten die Taliban die Linie überschreiten, müsse man militärisch intervenieren.

Kritik auch von Demokraten

Was der Meinungsbeitrag verdeutlicht? Dass sich die Kritik am Weißen Haus, verbunden mit dem Appell, das Ruder doch noch herumzuwerfen, nicht auf einige wenige Republikaner beschränkt. In Teilen erfasst sie auch das Establishment der Demokraten, dem Allen zugerechnet werden kann, obwohl die Wortwahl zurückhaltender ausfällt als beispielsweise bei Mitch McConnell.

Der konservative Hardliner McConnell, die Nummer eins seiner Partei im Senat, wirft Biden vor, in Kabul eine noch größere Demütigung in Kauf zu nehmen, als es schon im nunmehr fernen, aber immer noch traumatischen Jahr 1975 beim Fall von Saigon der Fall war.

Biden und die Glaubwürdigkeit

Allen, der Brookings-Direktor, formuliert es höflicher, aber kaum weniger eindringlich. "Falls das Schlimmste eintritt, wird die Geschichte den Präsidenten Biden und seine Regierung womöglich persönlich dafür verantwortlich machen", warnt er. Es wäre ein schwerer Schlag für die Glaubwürdigkeit des Präsidenten und die seiner zentralen Botschaft, der Zeile "Amerika ist wieder da".

Es sieht nicht danach aus, als würde der Staatschef dem Rat des Viersternegenerals a. D. folgen und sich auf einen letzten großen Kraftakt einlassen. Sein Hauptaugenmerk gilt der beschleunigten Evakuierung der in Kabul verbliebenen Amerikaner. War noch vor drei Tagen die Rede von einer "diplomatischen Kernpräsenz", die in der US-Botschaft erhalten bleiben sollte, so sehen neuere Pläne offenbar die Evakuierung ausnahmslos aller Diplomaten aus der Stadt vor.

Wie CNN berichtete, soll die Botschaft schon bis Dienstag komplett geräumt werden. Biden, der das vergangene Wochenende in Camp David verbrachte, auf seinem Landsitz in den Catoctin Mountains, werde stündlich unterrichtet und behalte sich die rasche Korrektur bereits getroffener Entscheidungen vor, hieß es.

5.000 Soldaten

Am Grundsätzlichen dürfte sich indes nichts mehr ändern. Zwar hat das Pentagon die Zahl der ad hoc nach Kabul beorderten Militärs nach oben geschraubt, von 3.000 Soldaten, wie am Donnerstag angekündigt, auf nunmehr 4.000 – zusätzlich zu den knapp 1.000 Marine-Infanteristen, die zum Schutz amerikanischer Einrichtungen bereits in der afghanischen Hauptstadt stationiert waren. Das scheint jedoch allein in der Absicht zu geschehen, die Evakuierung zu unterstützen. Bereits am Samstag hatte der 78-jährige Präsident seinen Beschluss, Afghanistan zwei Dekaden nach dem Einmarsch zu verlassen, gegen lauter werdenden Widerspruch verteidigt: Verlängerte man die Militärpräsenz der USA um ein Jahr oder auch um fünf Jahre: Es würde keinen Unterschied machen, wenn die afghanische Armee "ihr eigenes Land nicht behaupten kann oder will", erklärte er.

Nicht weiter akzeptabel

Eine Präsenz ohne Ende, inmitten des "zivilen Konflikts" eines anderes Landes, das sei für ihn nicht weiter akzeptabel gewesen. Beim Einzug ins Weiße Haus habe er eine von seinem Vorgänger mit den Taliban getroffene Vereinbarung geerbt: einen Rückzug bis zum 1. Mai 2021 sowie eine Reduzierung der US-Truppen auf ein absolutes Minimum von 2.500 Soldaten. Damit habe er vor der Wahl gestanden, sich entweder an Trumps Deal zu halten, eine geringfügige Verschiebung des Abzugsdatums eingeschlossen, oder aber das Kontingent massiv aufzustocken. Bei seinem Amtsantritt, fügte Biden hinzu, sei er der vierte US-Präsident mit einer Truppenpräsenz in Afghanistan gewesen. "Ich wollte und will diesen Krieg nicht auch noch einem fünften Präsidenten aufbürden." (Frank Herrmann aus Washington, 15.8.2021)