Dunkel, hohl, mächtig und laut, das alles kann Klang sein.

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Über das interdisziplinäre Projekt "Metallic Idiophones between 800 BC and 800 AD in Central Europe", bei dem metallische Selbstklinger, ihre Funktion und ihr akustischer Einfluss auf das tägliche Leben der Menschen in Mitteleuropa von 800 v. Chr. bis 800 n. Chr. im Mittelpunkt stehen, haben wir bereits im Blog berichtet. Welchen wichtigen Beitrag die Psychoakustik zur Bedeutung und Interpretation von Klängen leisten kann, erfahren Sie hier.

Was ist Psychoakustik?

Die Psychophysik ist jener Fachbereich, der sich mit dem Zusammenhang zwischen einem objektiv messbaren physikalischen Reiz und dessen subjektiven Wahrnehmung beim Menschen auseinandersetzt. Handelt es sich bei diesen Reizen um Klänge, ist man im Teilbereich der Psychoakustik angekommen. Messbar und damit objektiv sind etwa Parameter wie der Schalldruckpegel, Tonhaltigkeit, Harmonizität und vieles mehr. Diese Eigenschaften werden heute computergestützt durch sogenannte "Feature-Analysen" gemessen. Wie Menschen Klänge subjektiv wahrnehmen, wird in der Regel durch Fragebögen mit verschiedenen Skalen ermittelt. Hier kommen meist Adjektivpaare zum Einsatz, die bestimmte Klangeigenschaften erfassen sollen, wie etwa hell/dunkel, einfach/komplex, spitz/stumpf oder sauber/verzerrt.

Die Hauptaufgabe der Psychoakustik ist nun herauszufinden, in welcher Weise sich diese menschlichen Wahrnehmungen durch die physikalisch messbaren Parameter beschreiben und damit auch vorhersagen lassen. Über beinahe ein Jahrhundert der Forschung wurden so speziell psychoakustische Parameter erstellt, um Eigenschaften wie Lautheit, Schärfe, Rauigkeit, Tonhaltigkeit und vieles mehr zu berechnen. Die vier Genannten bilden ein vielverwendetes Konstrukt der Psychoakustik: den "sensorischen Wohlklang".

Die Abbildung zeigt das Spektrum eines klingenden Schmuckobjekts aus dem 4.–8. Jahrhundert v. Chr. Die Herausragenden Spitzen in der Grafik zeigen die Teiltöne, aus denen sich der Klang zusammensetzt.
Foto: Jörg Mühlhans

Den Beginn sowohl der Psychophysik als auch -akustik markierten die "just noticeable differences" (deutsch: eben noch merkliche Unterschiede) zweier Größen zueinander – denn dieser Unterschied wird erst merklich, wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird. Durch diese Erkenntnis wurde Gustav Theodor Fechner (1801–1887) zum Begründer dieser Disziplinen, seine Formeln wurden in weiterer Folge von Ernst Heinrich Weber und Stanley Smith Stevens noch präzisiert. Durch Stevens wurde 1936 das "sone" als Maß für die Lautheit eingeführt, er war auch Mitentwickler der Mel-Skala, eines Maßes für wahrgenommene Tonhöhe.

Schall kann zum Beispiel kontinuierlich lauter gemacht werden, aber erst wenn eine gewisse Schwelle erreicht ist (die "just notable differences"), können wir den Unterschied bemerken. Dies gilt ebenso für Tonhöhe, -dauer und auch alle psychoakustischen Parameter.

Die Wahrnehmung des Klangs

Über die Jahrzehnte hat sich Psychoakustik von einem eher theoretischen Fach zu einem überaus praktisch orientierten gewandelt. Vereinfacht gesagt geht es dabei oft darum herauszufinden, welche Klänge den Menschen angenehm sein können und welche nicht. Es kann aber viel komplexer sein, denn Klänge können und sollen auch Bedeutungsinhalte vermitteln. Ein Warnsignal soll alarmierend und durchdringend sein, der Klang eines Elektrogeräts soll Qualität und Zuverlässigkeit vermitteln, und das Einrasten einer Schutzvorrichtung soll auch akustisch das Gefühl von Sicherheit entstehen lassen. Gerade in der Industrie und Marktwirtschaft wird hier nichts dem Zufall überlassen, und Klänge werden häufig durch "Sounddesign" nach Wunsch und Vorgabe geformt.

In der Wissenschaft ist es eher von Interesse, wie sich die Klangeigenschaften auf die kognitive Verarbeitung von Klängen auswirken, um ein besseres Verständnis dieser Mechanismen zu bekommen und auch eine Vergleichbarkeit zwischen den Klängen in Bezug auf psychoakustische Parameter zu schaffen.

Die Abbildung zeigt die Kurven gleicher Lautheit gemäß DIN ISO 226. Die x-Achse bildet die Frequenz ab, die y-Achse den Schalldruckpegel in Dezibel. Entlang einer Kurve wird Schall als etwa gleich laut wahrgenommen. Das heißt ein Ton mit 125 Hz muss objektiv viel stärker im Schalldruckpegel ein als ein Ton mit 1.000 Hz, um von Menschen durchschnittlich als subjektiv gleich laut empfunden zu werden.
Foto: Jörg Mühlhans

Das menschliche Gehör

Alle Menschen hören anders. Bereits wenn Schall auf die Ohrmuschel trifft, findet eine individuelle Filterung statt, denn jede Ohrmuschel ist anders beschaffen. Am Trommelfell wird Schall in eine mechanische Schwingung (Vibration) umgewandelt, im Innenohr pflanzt er sich zunächst als Wasserwelle fort und wird letztendlich in den Haarzellen in Nervenimpulse umgewandelt. Über die Hörbahn geht es dann weiter zum auditorischen Cortex im Gehirn, aber auch viele andere Hirn-Areale sind bei der Schallverarbeitung aktiv. Nun beginnt die kognitive Verarbeitung des Gehörten.

Wenn Menschen Klänge beschreiben, bedienen sie sich oft einer Reihe an Adjektiven. Denken Sie zum Beispiel an den Klang den Pummerin im Wiener Stephansdom. Wie würden Sie diesen beschreiben? Dunkel, hohl, mächtig und laut? Wie sieht es mit dem Summen einer Gelse aus?

Was die Psychoakustik im Kern versucht, ist das modellhafte Nachbilden beziehungsweise Vorhersagen subjektiver Eindrucksmerkmale durch eine Kombination verschiedener objektiver Parameter. Ein einfaches Beispiel ist die "Lautheit". Sie ist nicht gleichzusetzen mit dem "Schalldruckpegel", der uns von Lärmmessungen ein Begriff ist. Das menschliche Gehör ist nicht in allen Frequenzbereichen gleich empfindlich, deshalb kann es vorkommen, dass wir ein tiefes Geräusch mit großem Schalldruckpegel trotzdem wesentlich leiser empfinden als ein hohes Geräusch mit viel kleinerem Schalldruckpegel.

Das menschliche Ohr ist im Bereich zwischen zwei und fünf kHz ganz besonders empfindlich. In gerade diesem Frequenzbereich haben viele "unangenehme" Geräusche sehr viel Energie. Wenn dazu noch ausgeprägte Tonhöhe kommt (zum Beispiel Fingernägel auf der Wandtafel), fährt es uns nicht selten durch Mark und Bein. Solche Geräusche wiederum werden mit dem psychoakustischen Parameter "Schärfe" beschrieben.

"Rauigkeit" und "Klanghaftigkeit" sind weitere Parameter, die zusammen mit den beiden beschriebenen den "sensorischen Wohlklang" bilden.

Die Abbildung zeigt einen psychoakustischen Parameter (Rauigkeit) desselben Klanges über einen Zeitraum von drei Sekunden. Je heller der Bereich im Bild, desto ausgeprägter ist die Rauigkeit. Oben im Bild sind die hohen Frequenzen, unten die tiefen.
Foto: Jörg Mühlhans

Psychoakustik trifft Urgeschichte

In der Morphologie hat sich das menschliche Ohr über zehntausende Jahre kaum verändert, weshalb angenommen werden kann, dass die Schwellbereiche (Hörschwelle, Schmerzgrenze et cetera) auch in der Steinzeit sehr ähnlich waren. Freilich begibt man sich hier auf eine spekulative Ebene, aber da der schon beschriebene sensorische Wohlklang vorwiegend physiologische Gründe hat, kann man salopp gesagt annehmen, dass Klänge, die uns heute unangenehm sind, wohl auch den Menschen der Steinzeit schon unangenehm waren.

Wir arbeiten im FWF-Projekt "Metallic Idiophones between 800 BC and 800 AD in Central Europe" an der Erforschung der Klänge archäologischer Idiophone (klingender Trachtschmuck, Schellen, Glocken), wo unter anderem auch psychoakustische Messungen gemacht werden. Kollegin Pomberger hat sich speziell zur Aufgabe gemacht, nicht nur Vorkommen, Gebrauch, Material und Klang metallener Klanggegenstände über 1.600 Jahre Menschheitsgeschichte zu erforschen, sondern auch ihre Wirkung auf die menschliche Psyche zu hinterfragen. Ihr Projekt ist am Naturhistorischen Museum Wien in der Prähistorischen Abteilung angesiedelt

Über Funktion und Nutzen klingender Objekte kann oft nur spekuliert werden. Doch vielleicht können auch (psycho)akustische Erkenntnisse zur Klärung der Frage beitragen, ob eine Schelle eher dazu gedacht war, auf sich selbst aufmerksam zu machen, herumlaufende Kinder akustisch orten oder gar wilde Tiere damit vertreiben zu können. (Jörg Mühlhans, Beate Maria Pomberger, 19.8.2021)