Um zehn vor zehn am Vormittag steigt die vierköpfige Grazer Familie gut ausgeschlafen aus dem Nachtzug, der Split ohne Stau erreicht hat. Ein Kleinbus wird sie nun zum zweiwöchigen Badeurlaub in einem Hotel an der dalmatinischen Küste gleich südlich der zweitgrößten Stadt Kroatiens bringen.
30 Nachtzugverbindungen – ein sympathischer Rekord
Eine zweite Familie aus Bratislava sieht dabei zu, wie ihr Auto vom selben Zug geladen wird. Sie will im Aktivurlaub mobil bleiben und den Wagen als Zubringer für Wanderungen nutzen. Eine dritte Familie aus Wien hat nur ihre Rollköfferchen dabei und rattert zu Fuß zum einen Kilometer entfernten Fährhafen in Split. Von dort lässt es sich einfach auf die Insel Brač für den Campingurlaub im Tiny House überzusetzen.
Die drei Szenarien eines Familienurlaubs, für den man nicht in den Flieger steigen muss, lassen sich seit Juni 2021 in die Realität umsetzen. Seit diesem Sommer betreibt die ÖBB den Nachtzug nach Split gemeinsam mit der slowakischen Bahn.
Insgesamt sind es nun schon fast 30 Nachtzugverbindungen. Das ist ein sympathischer Rekord, keine andere staatliche Bahn in Europa konzentriert sich so sehr auf dieses Segment. Die Deutsche Bahn etwa hat ihre Nachtzüge vor fünf Jahren sogar ganz aufs Abstellgleis geschoben. Andere versuchen gerade als Neueinsteiger am unerwarteten Erfolg der Nachtzüge mitzunaschen, der sich teilweise durch die Corona-bedingte Flugangst erklären lässt.
Neu durch die Nacht
Flixtrain etwa bietet nach einer pandemiebedingten Unterbrechung nun wieder innerdeutsche Nachtzüge von München via Berlin nach Hamburg – schon ab fünf Euro, dafür aber nur mit Sitzplätzen. Bereits seit 2002 ist in der Schweiz der Urlaubs-Express unterwegs. Seit kurzem fährt dieser aber auch an die Ostsee, und auf vielen Strecken transportiert er Autos.
Schon seit Jahren existieren die Urlaubs-Express-Strecken Düsseldorf–München–Innsbruck–Verona und Hamburg–Wien, die auch für Österreicher interessant sind. Seit Mitte Juli rollt überdies der Alpen-Sylt-Nachtexpress donnerstags und samstags von Sylt nach Salzburg und an den Bodensee sowie freitags und sonntags in die Gegenrichtung.
Ein US-amerikanischer Betreiber hat dieses Angebot 2020 aufgelegt, mit dem eine Familie schon ab 399 Euro ein ganzes Zugsabteil samt Bettzeug und Handtüchern bekommt. Zusammen mit weiteren Verbindungen kommt man im Nachtzug schon recht weit in Europa (siehe Ziele unten).
Klimafreundliche Zubringer
Der neue Nachtzug von Bratislava nach Split ist aber noch aus einem weiteren Grund – hoffentlich – bahnbrechend: Zügen sollen für Familien in Zukunft bequeme, vor allem aber klimafreundliche Zubringer zum allsommerlichen Badeurlaub werden.
Das erscheint einigermaßen dringlich, zumal vor einem Monat die "Fit for 55"-Strategie der EU verkündet wurde. Mit diesem kontinentalen Klimakonzept will man bis 2030 die Senkung von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 erreichen. Züge werden dabei von zentraler Bedeutung sein.
Der Verkehrsclub Österreich etwa rechnet plakativ vor, dass ein Kilometer mit dem Flugzeug 31-mal so emissionsintensiv ist wie ein Bahnkilometer. In diese Berechnung wurden nicht nur die während der Fahrt ausgestoßenen Emissionen aufgenommen, sondern auch die bei der Produktion des Transportmittels entstandenen. Selbst unterschiedliche Auslastungsgrade sind berücksichtigt.
Kurz in der Stadt
Noch relevanter als beim Badurlaub ist der Nachtzugverkehr aber für Städtetrips. Gerade bei urbanen Kurzurlauben muss der Zug dem Flieger in Zukunft den Rang ablaufen. Denn auch wenn Städtereisen derzeit noch schwächeln, erwarten Experten in den kommenden Jahren eine Rückkehr zu den Gewohnheiten vor Corona: Für das Jahr 2020 hatten immerhin vier Millionen Österreicher einen Städtetrip in Europa geplant, elf Millionen Deutsche haben 2019 tatsächlich einen angetreten.
Vergleicht man aktuelle Angebote für Flüge und Züge an einem Oktober-Wochenende 2021 am Beispiel von Rom, kann sich jeder selbst ein Bild machen, wie konkurrenzfähig der Nachtzug bereits ist: Die Fahrzeit von rund 13 Stunden zwischen Wien und Rom ist eigentlich kein Argument gegen den Wochenendtrip im Zug, wenn man diesen erholt in einem Schlafwagen und mitten in der Stadt antreten kann.
Zahlreichere und günstigere Plätze
Auch die späte Abfahrt am Freitag und die frühe Ankunft am Montag ist den meisten Berufstätigen zuzumuten. Allerdings war bei einer Testbuchung im Juli für den Wochenendtrip im Oktober weder ein Platz im Liege- noch im Schlafwagen verfügbar und der Ab-Preis ist selbst an Werktagen selten realistisch.
Ein Hin- und Retourflug um unverschämte 25 Euro ist dagegen auch spontan noch zu bekommen, um 60 Euro bekommt man sogar einen Tagesrandflug, mit dem man das Wochenende ideal auskosten kann.
Müssen die Plätze im Nachtzug also in Zukunft nur zahlreicher und deutlich günstiger werden, damit die Menschen massenweise umsteigen? Zumindest was den Preis betrifft, hat der belgische Klimatologe Jean-Pascal van Ypersele eine Einschätzung, die er anlässlich der Präsentation der EU-Klimaoffensive "Fit for 55" teilte: "Nur höhere Steuern auf Kerosin werden die Leute dazu bringen, vom Flieger auf den Zug umzusteigen." Im Umkehrschluss heißt das: Nachtzüge dürfen nie so billig werden, wie es momentan manche Flüge sind. (Sascha Aumüller, RONDO, 20.8.2021)
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