Den Vorarlbergern war die Konfiguration des Schnellbahnzugs Desiro ML von Siemens, der bei der ÖBB unter der Flagge Cityjet fährt, im Jahr 2016 nicht genehm.

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Wien – Im Streit mit Alstom-Bombardier über die Elektrotriebzüge für Vorarlberg springt die ÖBB-Personenverkehr AG auf die nächste Eskalationsstufe. Angesichts der Verspätung von zwei Jahren bekommt nun Siemens den Zuschlag für die Ersatzbeschaffung im Ländle. Abgerufen werden vorerst 21 Schnellbahnzüge des Typs Desiro ML, weitere 25 Stück (für Tirol) können zu einem späteren Zeitpunkt folgen. Das erfuhr DER STANDARD am Montagabend nach der außerordentlichen Sitzung des ÖBB-Aufsichtsrats.

Die ÖBB bestätigte den Vorgang, der sich bereits bei der Ausschreibung im Dezember abgezeichnet hatte. Denn binnen Jahresfrist liefern, wie in der Ausschreibung verlangt, kann nur ein Anbieter, der bereits Fahrzeuge bei der ÖBB auf Schiene hat. Das ist bei Siemens der Fall, gut hundert Desiro-Schnellbahnen sind bei der Bundesbahn unter der Marke "Cityjet" im Einsatz.

Eskalation

Mit dieser im ÖBB-Beschaffungswesen einzigartigen Ersatzbeschaffung verschärft sich der Konflikt zwischen der ÖBB und dem französisch-kanadischen Bahnausrüsterkonzern Alstom/Bombardier. Die von Alstom übernommene Bahnsparte von Bombardier hatte 2016 den Rahmenvertrag für die Lieferung von bis zu 300 Elektrotriebzügen gewonnen, aber bis heute für den Schnellbahnzug des Typs Talent-3 von der Eisenbahnbehörde keine Betriebsbewilligung erhalten. 2019 sollten die 21 speziell für Vorarlberg konfigurierten Züge ausgeliefert werden, sind aber bis heute nicht auf Schiene.

Im Unterschied zu S-Bahn-Garnituren im großen Rest von Österreich haben die Vorarlberger deutlich mehr Platz für Fahrräder (jedes Jahr im Frühjahr werden dutzende Sitze ausgebaut, bei der ÖBB gelagert und im Herbst wieder eingebaut) sowie spezielle Vorrichtungen für den Transport von Skiausrüstung. Ob und wie Siemens die speziellen Ausstattungsmerkmale für das Ländle erfüllen wird und zu welchem Preis, wird spannend. 2016 waren Siemens und Stadler Rail von der inzwischen mit Alstom fusionierten Bombardier ausgestochen worden.

Millionenzahlungen

Im Hintergrund wird längst über Pönalezahlungen spekuliert, die sich laut Insidern auf bis zu 1,5 Millionen Euro pro nichtgelieferten Zug belaufen könnten. Wie viel davon schlagend wird, bleibt abzuwarten, das dürfte Gerichte auf Jahre gut beschäftigen. Vorgesorgt hat der Alstom-Bombardier-Konzern längst, insgesamt 1,1 Milliarden Euro wurden für wackelige oder "belastete" Bombardier-Aufträge rückgestellt. Gezahlt hatte Alstom im Februar für die Bombardier-Bahnsparte 4,4 Milliarden Euro.

Schadenersatz steht dem Vernehmen nach auch dem Ländle zu, diesfalls freilich seitens der ÖBB, die dem Land Vorarlberg als Besteller im Rahmen des Verkehrsdienstvertrags 2019 verpflichtet ist. Die ÖBB meint, allfällige Ansprüche ausschalten zu können: "Mit den neuen Garnituren und dem Ersatzkonzept bis zur Anlieferung können die ÖBB dieAnforderungen aus dem Verkehrsdienstevertrag für Vorarlberg erfüllen", betonte die ÖBB am Dienstag via Aussendung. Siemens garantiere dem Besteller ÖBB die vertraglich vereinbarte Konfiguration, und damit jenes Fahrzeug, das den Anforderungen für den Einsatz im Schienenpersonennahverkehr in Vorarlberg entspreche.

Alte statt neue Züge

Bis die bei der ÖBB als "Cityjet" kurvenden Siemens-Desiro-Züge Ende 2022 ausgeliefert werden, kommen in Vorarlberg modernisierte "Cityjet Talent 1"-Züge zum Einsatz – die allerdings in der Ostregion dringend gebraucht würden. Dort bleiben stattdessen die blau-weißen Schnellbahnzüge im Einsatz.

Nicht zu verwechseln sind die nun georderten 21 Züge mit der Mega-Ausschreibung über bis zu 540 Elektrotriebzüge, die von der ÖBB vor ein paar Wochen lanciert wurde. Der Lieferant dieses Rahmenvertrags steht noch nicht fest, das Verhandlungsverfahren mit qualifizierten Bewerbern hat gerade erst begonnen. (Luise Ungerboeck, 17.8.2021)