Evgeny Kissin begeisterte im Großen Festspielhaus.

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Der an sich eher verschlossen wirkende Künstler ist, was seine musikalische Weltanschauung anbelangt, an diesem Abend im Großen Festspielhaus von weltmännischer Offenheit. Evgeny Kissin eröffnet mit Alban Bergs tonalitätssprengender Sonate, dem op. 1. Den abstrakten einander übersingenden spätromantischen Gesten und der weit ausholenden Harmonik verleiht er Wärme und Kultiviertheit, die sich aber der Modernität des Werks nie entgegenstellen. Auch nicht beim Folgenden: Tichon N. Chrennikow schrieb markante fünf Stücke für Klavier op. 2, die sich stilisiert folkloristisch geben und zum Teil der Freitonalität annähern. Interessant.

Bemerkenswert auch, dass es sich beim Tonsetzer um einen kulturpolitischen Funktionär handelte, der einem Schostakowitsch kritisierend das Leben erschwerte, in seiner Jugend jedoch selbst recht keck komponierte. Nach diesem Frühwerk landet Kissin dann aber tatsächlich auch noch bei George Gershwin.

Der Zugabenblock

Aus dessen drei bluesigen Präludien sticht hier besonders das zweite hervor als Meisterstück einer weichgezeichneten, hitzigen Stimmung, die Kissin swingend und doch traumhaft-verklärt präsentiert. Die Vielfalt der Stile findet auch im Zugabenblock eine Fortsetzung: Neben seinem eigenen pointierten Dodecaphonic Tango (ein Verweis auf Schönbergs Zwölftontechnik) zelebriert er auch farbenreich und langsam Debussys Clair de lune.

Grandios natürlich vor allem der Chopin-Bock: Es war diese Leichtigkeit, mit der Kissin den glockenhellen Gesang des Nocturne H-Dur op. 62 Nr. 1. erweckte, die berückte. Auch wie er die rasanten Linien zart schweben ließ, die beim Impromptu Nr. 1 As-Dur op. 29. dominieren, verweist auf eine robuste Empfindsamkeit. Dies ermöglicht ihm, im Scherzo h-Moll op. 20 auch maschinell anmutende Passagen mit Ausdruck zu versehen. Toller Abend. Übrigens werden jetzt erstmals vier Kompositionen von Kissin beim Henle-Verlag veröffentlicht. Der Tango ist wohl auch dabei. (Ljubisa Tosic,17.8.2021)