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Homeschooling bitte nicht mit Distance-Learning verwechseln! Die Katze kann sich hier wie da breitmachen.

Foto: Reuters / Kai Pfaffenbach

Das Thema interessiere sie schon länger, sagt Frau E. (Name der Redaktion bekannt). Es geht um Lernen abseits der Schule – um "Freilernen" und alternativen Unterricht zu Hause. "Ich hatte das Gefühl, wenn meine Kinder hundertmal das Abc oder Zahlen abschreiben müssen, dann ist das nicht unbedingt gut für ihre Motivation." Denn grundsätzlich würden ihre Kinder gerne lernen. Das Angebot der Schule vor Ort werde aber dem, was sie ihren Kindern gerne bieten würde, nicht einmal ansatzweise gerecht.

Frau E. machte sich also auf die Suche nach Gleichgesinnten, online und offline. Sie stieß schließlich auf eine alternative Lerngruppe. Es waren Stichworte wie Potenzialentfaltung, naturnahes und selbst bestimmtes Lernen, die Frau E. angesprochen haben. Sie fuhr zu einem Treffen.

Aufreger Corona

Und dann wurde sie stutzig: Statt um pädagogische Konzepte, wie die Kinder unterrichtet werden sollen, ging es vor allem um die aktuellen und anstehenden Anti-Corona-Maßnahmen an Schulen. "Ich habe mehrmals gefragt, in welche pädagogische Richtung das Projekt gehen soll, aber alle Antworten waren schwammig", erzählt Frau E. Es sei darauf verwiesen worden, dass es viele unterschiedliche Zugänge gebe.

Länger sei aber darüber diskutiert worden, wieso die Eltern ihre Kinder nicht mehr in die reguläre Schule schicken wollen: Man mache sich Sorgen um das Kind, es erleide Gehirnschäden, wenn es Maske tragen müsse. Andere glaubten, dass die Nasenbohrertests gefährlich seien, weil sie gefährliche Stoffe beinhalten würden. Die Rede war zudem davon, dass die verpflichtenden Tests nur der Probelauf der Regierung dafür sei "um zu schauen, wie weit sie gehen können." Ein reales Bedrohungsszenario für viele der Anwesenden: dass es bald zu einer Impfpflicht, auch für die Kinder, kommen werde.

Viele Gründe, viele Sorgen

Die Eltern, die sich Sorgen in diese Richtung machen, dürften mehr werden. Das legen zumindest aktuelle Zahlen nahe: 3400 Kinder wurden mit Stand Anfang August bereits von der Schule abgemeldet. Die Behörden gehen davon aus, dass die Zahl bis Schulanfang noch deutlich größer werden könnte. Das wird nicht zuletzt davon abhängen, welche Regeln die neue Covid-19-Schulverordnung – aktuell in der Koordinierung mit dem Gesundheitsministerium – für den Unterricht ab Herbst mit sich bringt.

Zum Vergleich: Vor Pandemiebeginn zählte man im Bildungsressort 2307 Anmeldungen zum häuslichen Unterricht. Im Schuljahr 2020/21 kamen knapp 300 Anmeldungen dazu.

Welche Motivation hinter den Abmeldungen steckt, lässt sich nicht so einfach nachvollziehen: Denn die Beweggründe werden von den Behörden nicht dokumentiert. Aber es gibt Anzeichen, welche Schwerpunkte es geben könnte: Die Anrufe von besorgten Angehörigen von abgemeldeten Kindern bei der Beratungsstelle für Sektenfragen häufen sich – vor allem im Zusammenhang mit coronaskeptischen Eltern. Auch der Kinder- und Jugendanwaltschaft (Kija) sind Probleme in Bezug auf häuslichen Unterricht schon länger bekannt.

Unkomplizierter Vorgang

Aber wie geht das eigentlich – Kinder von der Schule abzumelden? In Österreich herrscht ein weitverbreitetes Missverständnis vor; es lautet, dass Kinder zumindest neun Jahre lang eine Schule besuchen müssen. Tatsächlich kann aber die Schulpflicht auch außerhalb des regulären Schulsystems umgesetzt werden. Dafür müssen Eltern ihre Kinder zum sogenannten häuslichen Unterricht anmelden. Das funktioniert relativ unkompliziert – eine konkrete Angabe von Gründen muss es nicht geben. Die Bildungsdirektionen können die Abmeldung untersagen, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass der Unterricht nicht gleichwertig zu jenem im Schulsystem wird. In der Praxis werden die Anträge meistens angenommen. Dieses Recht steht hierzulande im Verfassungsrang. Nur einmal pro Jahr kommen die Kinder in Berührung mit dem System: Wenn sie die Externistenprüfung vor Schulschluss bestehen müssen.

Diverse Szene

Die Szene der Schulabmelder ist divers, die Motivation der einen hat mit jener der anderen oft wenig bis gar nichts am Hut: So sind etwa auch Schülerinnen und Schüler, die in Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht unterrichtet werden, zum häuslichen Unterricht angemeldet.

Viele kommen aus einem alternativen Milieu und sehen sich der Reformpädagogik verpflichtet, andere sind spezialisiert auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Manche werden aus religiösen Gründen zuhause unterrichtet. Einige haben einen wohl durchaus strengen "Stundenplan", werden von den Eltern oder dem ein oder anderen Privatlehrer unterrichtet, andere Eltern setzen auf völlig freies Lernen.

Theorie und Praxis

Was jedenfalls nicht erlaubt ist, in der Praxis aber oft gelebt wird: der Zusammenschluss in sogenannten Lerngruppen. Das wird von Paragraph 11, Abs. 2 des Schulpflichtgesetzes nicht gedeckt. Ob das allen Eltern, die sich für häuslichen Unterricht entscheiden, überhaupt bewusst ist?

Die steirische Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner hat ihre Zweifel. Auch daran, ob allen Erziehungsberechtigten klar ist, dass sich häuslicher Unterricht vom zuletzt praktizierten Distance-Learning doch deutlich unterscheidet. Sie möchte ganz grundsätzlich darüber nachdenken, wie das Recht auf Bildung und wohl auch auf Teilhabe am sozialen Leben angesichts der gehäuften Schulabmeldungen gesichert werden kann.

Die jüngsten Zahlen aus der Steiermark: 960 Anmeldungen zum häuslichen Unterricht. Anfang August hielt man bei 775, im Vorjahr waren es lediglich 423. Unterstützung kommt aus Niederösterreich: Hier fordert Bildungsdirektor Johann Heuras (aktuell über 1140 Schulabmeldungen, "da müssen wir reagieren") ein verpflichtendes Beratungsgespräch für Eltern, die ihre Kinder vom Schulbesuch abmelden. Derzeit habe er dafür keine rechtliche Grundlage. Die Kollegen aus der Steiermark haben genau das bereits vielfach getan – "das hatte leider wenig Effekt, es braucht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema", appelliert Meixner.

In Einzelfällen melden auch Eltern, die sich von der Gesellschaft abgekapselt haben, ihre Kinder ab, vor allem in esoterisch bewegten Kreisen, die auf "naturnahes Lernen" setzen.

Fragwürdige Konzepte

Diese Erfahrung machte auch Frau E. Pädagogische Diskussionen blieben bei der von ihr kontaktieren Lerngruppe wie erwähnt weitgehend aus – bis auf wenige Ausnahmen: Manche hegten Sympathien für Ideen, die auf besonders "naturnahes" Lernen setzen. Da wurde es E. dann zu steil: Dabei ging es auch um Konzepte, die davon ausgehen, dass eine Stunde Lernen pro Tag reichen würde. Inspiriert sind diese Vorstellungen von Konzepten, die davon ausgehen, dass alles Wissen in den Kindern bereits angelegt sei und noch seinen Weg "nach draußen" finden müsse.

Nervös machte E. auch, dass manche Eltern davon sprachen, dass man darauf hoffe, dass die Externistenprüfungen wegen Corona ausgesetzt oder lockerer gehandhabt werden. "Wenn Kinder ein oder zwei Jahre in so einer paranoiden Welt aufwachsen, ohne dass sie Kontakt zu Behörden haben, finde ich das gefährlich", sagt die Mutter. Aus dem Bildungsministerium heißt es, dass die Prüfungen in gewohnter Weise durchgeführt wurden. Wahlweise war es jedoch auch digital möglich. Für E. selbst geht die Suche nach einer passenden Lernumgebung für ihre Kinder jedenfalls weiter. (Vanessa Gaigg, Karin Riss, 19.8.2021)