Als ich diesen Artikel zu schreiben begann, war einige Wochen vorher der Präsident von Haiti ermordet worden. Jetzt, wo ich ihn beende, erhält er wieder eine erschreckende Aktualität durch das schwere Erdbeben vom 14. August. Beides führt vor Augen, dass Haiti ein von Natur- und humanitären Katastrophen schwer getroffenes Land ist. Aber es ist auch das Land, das bereits 1804, damals noch Saint-Domingue, nach einer erfolgreichen Sklavenrevolution die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte. Der Revolutionsführer Toussaint Louverture starb in einem französischen Kerker, sein Nachfolger Jean-Jaques Dessalines konnte die Franzosen endgültig vertreiben und krönte sich 1804 zum Kaiser des neuen Staates, der nun Haiti hieß.

Bereits 1806 wurde er von seinem General Henri Christophe ermordet, der sich 1811 als Henri I. zum König (oder Kaiser) erklärte. Er stellte mit harter Hand die Ruhe im Land wieder her, baute die Festung La Ferrière und das Lustschloss Sans-Souci und vergab Adelstitel, die er nach auch heute noch existierenden haitianischen Gebieten benannte, zum Beispiel Fürst von Marmelade und Herzog von Limonade. Im Laufe der Zeit stellten sich bei Henri Christophe psychische Probleme ein, die ihn zunehmend irrational handeln ließen, 1820 kam es zu einem Aufstand unter der Führung des Fürsten von Marmelade. Die Aufständischen verschafften sich Gewehre von einem im Hafen liegenden Schiff und Henri Christophe, der die Aussichtslosigkeit seiner Situation erkannte, erschoss sich mit einer silbernen Kugel.

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Schloss Sans-Souci 2017.
Foto: REUTERS/Andres Martinez Casares

Österreichische Gewehre für Haiti

Hier verlassen wir Haiti und seine wechselvolle und oft anarchische Geschichte und wenden uns der Frage zu, was sie mit Wien zu tun hat. Nun – das erwähnte Schiff war von einem Wiener Unternehmer, dem Fuhrwerker Josef Dietrich von Dietrichsberg, zu Handelszwecken ausgesandt und die Gewehre in Wien produziert worden, wahrscheinlich für die Armee von Henri Christophe bestimmt. Nun hatten sie eben die Aufständischen gekauft und dafür mit Kaffee bezahlt. An Bord war auch der von Kaiser Franz gesandte Botaniker Karl Ritter, der die Flora der Insel erkundete und den Bericht über die Begebenheiten in einem Buch überlieferte.

Josef Dietrich von Dietrichsberg war Mitglied einer Fuhrwerkerfamilie, die schon seit dem 18. Jahrhundert den Nachschub an Verpflegung, Fourage und auch Waffen für die habsburgischen Armeen besorgte. Der Firmengründer Peter Dietrich wurde dafür von Maria Theresia als Dietrich von Dietrichsberg geadelt. Das Familienunternehmen führte von nun an, auch in den folgenden Kriegen mit Frankreich, den größten Teil der ärarischen Transportgeschäfte durch. Josef, geboren 1780, war ein begnadeter Geschäftsmann, wurde um die Jahrhundertwende blutjung Chef der Firma "Gebrüder Dietrich" und führte das Unternehmen zu ungeahnten Höhen. Es gab noch keine Eisenbahnen, Fuhrwerksunternehmen spielten eine ungemein wichtige Rolle bei der Besorgung und Kontribution von Gütern. Noch bedeutender waren sie, wenn sie ärarische Transportgeschäfte, die dem Nachschub für die Armeen dienten, durchführten.

Die Kassen klingeln

Josef Dietrich verpasste der Firma eine "corporate identity", indem er das Erscheinungsbild der Fuhrwerke und Livreen vereinheitlichte. Sein Netz an Wirtschaftsbeziehungen erstreckte sich über ganz Europa, was ihm einen Vorteil bei Schnelligkeit und Zuverlässigkeit verschaffte. Das Vertrauen der Krone in das Unternehmen der Gebrüder Dietrich war so groß, dass es 1805 und 1809 mit der Beförderung ärarischer Güter und Schätze, die vor den heranrückenden Franzosen nach Ungarn in Sicherheit gebracht werden mussten, betraut wurde.

1806 verhängte Kaiser Napoleon die Kontinentalsperre, ein Verbot des Imports von englischen Waren nach Europa. Die Firma Dietrich wusste diese für sich zu nutzen, denn einerseits musste die Versorgung durch eine Umschichtung im Wirtschaftsgefüge des europäischen Binnenmarkts sichergestellt werden, andererseits gab es besonders in Südosteuropa beziehungsweise der Türkei Häfen, über die der Schmuggel relativ leicht möglich war und britische Waren nach Wien gebracht wurden. Von hier aus wurden sie über ganz Europa verteilt. Die Kutschen und Fuhrleute der Firma Gebrüder Dietrich waren zu den entferntesten Handelsplätzen Europas unterwegs und in den Kassen klingelte das Geld.

Freiherr Josef Dietrich.
Foto: ONB/Wien Bildarchiv PORT_00019730_01

1810 war für die österreichische Monarchie der Bankrott schon abzusehen und die staatliche Gewehrfabrik, sie befand sich Ecke der heutigen Währinger Straße / Schwarzspanierstraße, wurde verkauft. Josef Dietrich erwarb sie und ließ weiterhin Gewehre produzieren, die er ab 1813 äußerst gewinnbringend an die gegen Napoleon Krieg führenden alliierten Mächte verkaufte. Auch in diesen Kriegen mehrte das Fuhrwerksunternehmen Dietrich sein Vermögen durch die Versorgung der Armeen. In den folgenden Friedenszeiten dehnte Dietrich seine Handelsbeziehungen weit über Europa hinaus aus, was seinen Handelsbeauftragten auch mitten in den Aufstand nach Haiti führte.

Josef Dietrich als Philanthrop, Theaternarr und Sammler

1815 kaufte Josef Dietrich die Herrschaften Feistritz und Kirchberg am Wechsel. Er renovierte die Burg Feistritz, ließ dort ein kleines Theater einbauen. Er stiftete einen neuen Kirchturm und erwies sich auch sonst als Mäzen und Wohltäter seiner Herrschaften. Später wurde die Burg Feistritz für ihn zum Problem, da er enorm dick wurde und angeblich die vielen Stufen nur mit der Hilfe von vier Lakaien bewältigen konnte.

Große Verdienste erwarb sich Josef Dietrich um die Gemeinde Matzleinsdorf. 1841 ließ er eine eigene Wasserleitung vom Wienerberg nach Matzleindsdorf anlegen, die in einem Brunnen hinter der Kirche St. Florian mündete und den Bewohnern von Matzleinsdorf, Nikolsdorf, Laurenzgrund und Hungelbrunn (heute Teile des fünften Bezirks) Trinkwasser lieferte.

Seine Liebe galt – neben den Frauen und gutem Essen – dem Theater. Er, inzwischen mehrfacher Millionär und Besitzer von Liegenschaften in allen Teilen der Monarchie, seit 1824 in den ungarischen Freiherrenstand erhoben, unterstützte immer wieder Theaterdirektoren, wie Franz Pokorny, den Direktor des Josefstädter Theaters, für den er 1845 das Theater an der Wien ersteigerte.

In seinem Palais, das aus vier Häusern bestand, damals Matzleinsdorfer Straße 45, 47, 49, 51, heute Wiedner Hauptstraße 123 a, ließ er 1837 ein Haustheater einbauen, bei dessen Aufführungen auch seine einzige Tochter Anna mitwirkte. Es war Dietrich gelungen, sie mit einem Adeligen, dem polnischen Fürsten Ludwig von Sulkowski, zu verheiraten. Das Theater war allgemein als "Sulkowskitheater" bekannt. Es wurde einige Jahre nach dem Tod Dietrichs verkauft und zu einer Art Probebühne des Burgtheaters, wo junge Schauspieler wie Josef Kainz und Max Reinhardt ihre ersten Schritte auf der Bühne machten. 1895 wurde das Theater aufgelassen, das Palais 1905 abgerissen.

Das Sulkowskitheater auf der Matzleinsdorfer Straße (heute Wiedner Hauptstraße 123).
Foto: Public Domain

Auch als Sammler gab sich Dietrich nicht mit Kleinigkeiten ab. Als Krönung kaufte er 1822 die Ritter von Schönfeld'sche Sammlung, die zu einem großen Teil aus Stücken der Prager Kunstkammer Kaiser Rudolphs II. bestand. Teile der rudolphinischen Sammlung waren 1782 auf Veranlassung Kaiser Josefs II. zur Versteigerung gekommen, wo sie Schönfeld erworben und dafür ein Museum eingerichtet hatte.

Dietrich stellte diese Exponate in mehreren seiner Häuser aus, teilte sie dann allerdings zwischen der Burg Feistritz und seinem Palais in der Matzleinsdorfer Straße auf. Nach seinem Tod wurde die Sammlung in alle Winde zerstreut, es wurde vermutet, dass Dienstboten wertvolle Gegenstände an Trödler verschleudert haben. Ende 1858 verkaufte der Vormund des minderjährigen Erben die verbliebenen Stücke aus der rudolphinischen Sammlung für 28.000 Gulden an einen Frankfurter Antiquitätenhändler, der sie 1860 bei Christie's in London versteigern ließ und dabei einen Erlös von 77.000 Gulden erzielte.

Berühmt war auch die Waffen- und Rüstungssammlung auf der Burg Feistritz, die angeblich die Rüstung des Götz von Berlichingen sowie eine original Eiserne Jungfrau, ein mittelalterliches Folterinstrument, enthielt.

Tod und Nachkommen

Dietrichs Tochter Anna verstarb schon 1852, sie hinterließ einen vierjährigen Sohn, Joseph Maria Ludwig Sulkowski, der nach dem Tod Josef Dietrichs 1855 dessen gesamtes Vermögen, das sechs Millionen Gulden betrug, erbte. Mit dieser Erbschaft leistete er sich einen exzentrischen Lebenswandel. Mit seinen zwei Ehefrauen zerstritt er sich, aber er baute in Feistritz einer früh verstorbenen Geliebten ein Mausoleum mit einem aufwändigen Grabmal. Er starb 1920 völlig verarmt und wurde in diesem Mausoleum in einem schlichten Sarg begraben. Die Reste der einst riesigen Sammlungen des Großvaters wurden im November 1923 im Wiener Dorotheum zur Tilgung seiner Schulden versteigert.

In Wien erinnert nichts mehr an den Freiherrn Josef Dietrich von Dietrichsberg und seine Wohltaten. In Feistritz am Wechsel wird er nach wie vor in hohen Ehren gehalten. In Haiti sind die Ruinen der Festung La Ferrière mit dem Grab Henri Christophes und des Schlosses Sans-Souci heute Teil des Weltkulturerbes der Unesco. (Friederike Kraus, 20.8.2021)